16. November 2078
Flughafen Moskau-Wnukowo, im Sudwesten von Moskau-Stadt
Schneefall, -5°C (gefühlte -12°C)
12:25
Eine Reihe ominöser Pakete und Kisten wurde über einen Frachtflug versandt und letztendlich mittels Schneepflügen, welche ununterbrochen über das Flughafengelände brummen, an einen Lieferanteneingang gebracht, wo Marina Pawlowna Tschetschnewa, aktuell als Night Witch im Auftrag von Herrn Nikogo* unterwegs, diese entgegen nimmt und sie in ihren russischen Straßenpanzer laden lässt. Sie bezahlt Herrn Gasparov von der Flughafensicherheit sowie Herrn Gregorjiev vom Schneedienst den üblichen Obulus und verlässt das Gelände in Richtung Norden.
* eigentlich Gospodin Nikogo, wobei Gospodin lediglich die Anrede darstellt, welche man gut mit „Herr“ übersetzen kann. Herr Nikogo ist in Russland das, was man in den UCAS als Johnson, in den ADL als Schmidt (oder Schmitt) kennt.
Flughafen Moskau-Scheremetjewo, etwa 30 Kilometer nordwestlich von Moskau Stadt
Schneefall, -6°C (gefühlte -18°C)
13:40
Der stärker werdende Schneefall hat die Landebahnen C und F – wie auch alle anderen Bahnen – schwer zugänglich gemacht. Jene Bahnen C und F jedoch erwarten ankommende Flugzeuge im Landeanflug, und so ist gerade eine Armada von Schneepflug-tragenden Tatras dabei, die riesigen Betonflächen von dem matschigen Weiß zu befreien.
13:50
Ein Airbus A1570 HSCT der American Airlines aus New York setzt auf der soeben geräumten Landebahn des großen, außerstädtischen Flughafens auf. Es bildet sich bereits ein neuer, dünner Schneefilm.
Einen Direktflug von Seattle nach Russland gibt es nicht, und obwohl Flugzeuge heutzutage schneller und effizienter sind als früher, wurde in New York zwischengelandet, um einen weiteren Schwung Passagiere mit an Bord zu nehmen. Außerem wurde erneut getankt. Mit leichterem Tank bei Zwischenstops hat man weniger Gewicht an Bord, also geringeren Verbrauch, geringere Kosten.
Der Flug war ruhig gewesen und es gab kaum Turbolenzen. Die paar Luftlöcher auf dem Weg wurden durch die fortschrittlichen Atmosphäre-Sensoren erfasst und von dem Rigger im Cockpit sanft umflogen. Eine Flugzeitverlängerung von insgesamt 2 Minuten und 34 Sekunden erachten die meisten Passagiere als durchaus angemessen für einen störfreien und komfortablen Flug.
13:55
Eine weitere Maschine, eine Federated-Boeing 7255 unter der Flagge der Lufthansa AG, landet auf einer anderen Landebahn desselben Flughafens. Sie kommt aus Hamburg, Direktflug. Ebenfalls keine Zwischenfälle, kaum Turbolenzen. Ein recht kurzer und fast angenehmer Flug.
13:56
Nachdem die Maschine aus New York endgültig steht und die Turbinen abgeschaltet sind, verlassen zwei Shadowrunner aus Seattle, die sich noch nie gesehen haben, die Business Class des Airbus und betreten das Terminal F. Sie erreichen die große Abfertigungshalle, um ihr Gepäck entgegen zu nehmen. Gepäck, was natürlich nicht die übliche Runner-Ausrüstung enthält, denn die Sicherheitsvorkehrungen hier sind hart. Das Ministerstwo Wnutrennich Djel, kurz MWD, überwacht den Passagierverkehr mit Adleraugen und etlichen Scannern und Sensoren. Das russische Innenministerium hat ein gesteigertes Interesse daran, die harschen Waffen- und Einfuhrgesetze einzuhalten, und die Beamten haben ein ebenso großes Interesse daran, durch Bestechungsgelder eben jene Adleraugen geschlossen, und ihre Taschen voll zu halten.
13:59
Ein weiterer Runner, diesmal aus den ADL, verlässt die Boeing, mit der er aus Hamburg nach Moskau gereist ist. Die wenigen Sekunden, die er im Freien ist, bevor er den Passagiertunnel zur Halle von Terminal C erreicht, erinnern ihn an früher: Schwacher, aber eisiger Wind, starker Schneefall.
Sein Gepäck ist leicht. In weiser Voraussicht hat er das wichtigste separat liefern lassen. Mit etwas Glück ist es schon an seinem Zielort angekommen.
14:25
JC, Fairy und Iwan verlassen (jeder für sich) die Terminals und begeben sich – derzeit noch unwissend über die Anwesenheit ihrer zukünftigen Kollegen – zur großen Eingangshalle des Moskau-Scheremetjewo. Eine schlanke, eigentlich fast drahtige Frau gehobenen Alters, mit Aschgrauen Haaren, hat das Flughafengelände inzwischen auch erreicht und steht zwischen etlichen Metas verschiedenster Ethnien und hält ein Schild mit der Aufschrift:
Smirnow
Das ist der Name, welcher den dreien mitgeteilt wurde. Das Zeichen, welches ihren Fahrer identifiziert. Für gewöhnlich rechnet man dabei vermutlich eher mit einem kräftigen jungen Mann in schwarzem Anzug, mit Sonnenbrille. Vor allem, wenn man bedenkt, weshalb die drei hier sind. Aber stattdessen werden sie in Empfang genommen von einer, sagen wir, nicht mehr ganz jungen Frau, die kaum aussieht, als könne sie die Koffer tragen.
Nicht, dass sie das vorgehabt hätte.
Moskau – Butovo Barrens, Metro
Etwa 1 °C
13:45
Weit unter den Straßen Moskaus, zwischen den Gleisen längst verlassener und zum Teil vergessener Metro-Strecken macht es sich dieser Tage eine stattliche Auswahl an Crittern gemütlich. Das liegt neben dem Klima hier unten auch an der relativen Ruhe vor Metas und den unendlichen Möglichkeiten, sich zu verstecken. Neben den üblichen Teufelsratten und verschiedenen mutierten Hunden- und Katzenrassen zieht es auch ländlichere Critter hinter die Mauern der Stadt, sobald es draußen Winter wird. Die Temperatur liegt in den Tunneln halbwegs konstant meistens über dem Gefrierpunkt, neben manchen alten Rohren, Leitungen oder Tanks ist es sogar fast warm. Zumindest warm für einen russischen Winter. Und das ist der Grund, warum die Behörden zuweilen Leute wie Mackenzie anwerben, um die Tunnel zu säubern. Das ist weder ein besonders schöner, noch ein allzu lukrativer Job, aber jemand muss ihn ja machen, und man muss eben sehen, wo man bleibt.
Ein paar Höllenhunde hat sie schon erlegt, und eigentlich nichts Besseres zu tun, da dringt ein Signal zu ihr nach unten durch. Ihr KOM meldet den Eingang einer Nachricht von Oscar.
>>Ist soweit. Treffen um 16:30 Ortszeit im Restaurant des Azimut Olympic in der Innenstadt.
Kontaktname Smirnow.<<
Zeit zu gehen. Die Tiere werden markiert und einfach eingesammelt. Oder auch nicht, dann werden sie von was anderem gefressen.
Das entsprechende Hotel ist am anderen Ende der Stadt, und vielleicht möchte man sich noch Blut und Jauche aus den Klamotten wischen.
Moskau – Innenstadt
Schneefall, -2°C (gefühlte -14°C)
13:47
Zwischen Kreml und der Basilius-Kathedrale liegt der Rote Platz. Das ist einer der wenigen öffentlichen Orte in der Moskauer Innenstadt, in der es heutzutage noch echte Bäume gibt, und deshalb stark frequentiert von Touristen und Konzerndrohnen gleichermaßen. Im näheren Umkreis sind etliche Cafés und Restaurants zu finden, sowie einige wenige, dafür aber sehr exclusive Clubs. Letztere haben um diese Zeit jedoch noch nicht geöffnet.
Neben der Draco Foundation, welche (abseits von Evo) die einzige echte Konzernpräsens innerhalb des goldenen Rings ist, sitzen hier auch die Rote Armee, der Uprawlenije Gossudarstwennoy Besopasnosti (UGB, Russischer Geheimdienst und direkter Nachfolger des ehemaligen KGB), die Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (GRU, Nachrichtendienst der Roten Armee), das MWD (Innenministerium sowie Exekutive) sowie etliche kleinere Behörden und Rucorps, Konzerne in Hand von Mütterchen Russland, die dem Verwalten (und Kontrollieren) des Staates dienen. Entsprechend hoch sind hier Sicherheit und Überwachung.
Außenstehende behaupten oft scherzhaft, dass es hier gar keine Touristen gäbe, und jeder, der sich hier aufhält, wohl einem der ansässigen Konzerne angehört oder ein verdeckter Ermittler der vielen Verwaltungsorganisationen der Republik sei. Auch wenn das sicherlich übertrieben ist, ist möglicherweise auch ein Körnchen Wahrheit dabei.
Billy sitzt gerade in einem der angrenzenden Cafés, dem Zum Zaren. Sie hatte dort eine Unterredung mit ihrem Kontakt, welcher ihr einen neuen Auftrag zugetragen hat. Ziemlich kurzfristig, aber es ist ja nicht so, als könne Billy damit nicht umgehen.
Um 16:25 solle sie sich im Azimut Olympic einfinden und nach einem Smirnow fragen. Es geht wohl um was Großes. Weit ist das von hier nicht, und ein Wenig Zeit verbleibt bis dahin, um die Annehmlichkeiten der durchaus höherklassigen Gegend zu genießen.