14. Juli 2076
Maersk Incorporated Assets HQ
Im Öresundplex in Dänemark; Kopenhagen
Sonne, 23 Grad, lauer Wind
Im 64. Stockwerk des vergleichsweise schlanken Maersk-Towers, der sich wie ein Segel über den Rest des Plexes erhebt, ist es ziemlich hitzig. Nicht etwa wegen des Wetters. Hier in Kopenhagen, an der Küste, wird es selten wärmer als 25 Grad Celsius, der Wind kühlt das gefühlt 10 Grad herunter, und natürlich hat ein Doppel-A in seinen Büros Klimaanlagen.
Aber hitzig ist es, weil eine Gruppe von Hitzköpfen gerade über die nächste Marketing-Kampagne diskutiert. Und wie das oftmals so ist, entscheiden dabei Leute über Köpfe hinweg, die weit unter ihnen Leben, ohne zu wissen, wie es dort unten aussieht.
Anwesend ist einiges, was Rang und Namen hat. Natürlich, im HQ in Kopenhagen arbeiten viele Leute, die was zu sagen haben. Danske Bank, Hapag-Lloyd, Lufthansa, Maersk Medical, Maersk Matrix und Tyr Inc waren vertreten. Selbstredend waren auch Militärs anwesend. Nicht solche Generale wie die der Bundeswehr, sondern Konzerner, die sich nicht an Menschenrechtskonventionen oder das Kriegswaffenrecht halten müssen, wenn sie ihr Spielzeug verteidigen. Der Konzerngerichtshof geht da zumeist nicht mit der eigentlich nötigen Härte vor. Freilich stört das hier keinen.
Man hat sich inzwischen in zwei Fronten aufgeteilt. Eine Front, hauptsächlich die Produktion und Dienstleistung, ist der Meinung, man müsse attraktiver auftreten, kundenfreundlicher sein. Die andere Front ist primär das Militär, welches der Meinung ist - kaum anders zu erwarten - man müsse Stärke zeigen, weil Stärke nicht nur den Konkurrenten abschreckt, sondern auch attraktiv für neue Mitarbeiter und Kunden ist.
Die Differenzen mit S-K haben sich in letzter Zeit etwas gelegt, sodass man nun frei gewordene Energien in eine Marketing-Kampagne investieren kann. Schließlich will man irgendwann einmal das dritte A erhalten, und dazu muss man einige Anforderungen erfüllen.
Kundenfreundlichkeit, sagen die Einen.
Stärke, sagen die anderen.
Brigadeadmiral Thore Sleipnirsson ist ein Norm gehobenen Alters. Noch nicht wirklich alt, aber eben auch lange nicht mehr jung, und er würde auch nicht mehr unbedingt in einen Kampf gehen wollen. Das können andere besser. Jüngere.
Seine Frisur ist längst nicht mehr so adrett wie zu seiner Versetzung. Sein Blick nicht mehr so hart. Seine Rasur nicht mehr so frisch. Die Strähnen werden grau, und es ist ihm egal. Man könnte meinen, er würde sich gehen lassen, wäre da nicht eine Reife und Erfahrung in seinem Blick, welche ihm diesen Rang verschafft hat. Er trägt sein Alter mit Stolz.
Der maßgeschneiderte, schlichte Anzug von Vashon tut sein übriges dazu bei, diesem Mann eine Autorität zu geben, die nur wenige anzweifeln.
Eine erschreckend große Anzahl dieser wenigen sind heute hier versammelt. Sie leiten irgendeine (Unter-)Abteilung und sind es nicht gewohnt, Vorgesetzte zu haben. Nicht, dass er deren Vorgesetzter wäre. Zum Glück. Damit könnte er nicht das geringste anfangen.
Er räuspert sich.
Die Diskussion geht weiter, niemand schenkt dem Mann aus der Militär-Ecke, der bisher gerade so zugehört hat, Beachtung.
Gut, was hatte er auch erwartet.
"Meine Damen und Herren." spricht er mit kräftiger, autoritärer Stimme. Die Stimme, die er früher für seine Ansprachen vor Einsätzen genutzt hat. Sie verfehlt ihre Wirkung selten, so auch heute. Ein Teil der Anwesenden vergisst vielleicht nur aus Verwirrung, zu diskutieren, wo doch ein ansonsten außen Stehender sich plötzlich zu Wort meldet.
Alle Augen sind auf ihn gerichtet.
"Meine Damen und Herren. Ich habe einen Vorschlag zu unterbreiten."
Da nicht sofort Paroli geboten wird, fährt er fort.
"Die Maersk Marines sind so ziemlich das härteste, was wir zu bieten haben."
Er blickt kurz zu der Militanten Fraktion der Anwesenden.
"Sie sind, wenn ich das aus Erfahrung sagen darf, sogar das Härteste, was viele andere jemals sehen werden. Sie sind gut geschult, diszipliniert, loyal und hochwertig ausgerüstet."
Fragende Gesichter. Worauf der alte Mann wohl hinaus will?
"Wir sollten genau diese Frauen und Männer zum Aushängeschild für Maersk machen.
Renraku hat die Roten Samurai. Shiawase die Kami no Bushi. Aztech die Jaguare.
Und wir? Wir haben die Maersk Marines. Ich behaupte, diese Männer und Frauen können es mit jeder der anderen Spezialeinheiten aufnehmen. Und ich finde, das sollten wir vermarkten."
Kurze Stille. Dann etwas Gemurmel, Geraune. Interessanterweise kommen die ersten Gegenstimmen aus der Militärsparte.
"Ist das Ihr Ernst? Glauben Sie wirklich, auch nur einer der Marines wird sein Gesicht auf ein Poster drucken lassen?"
Dieser Gegensprecher ist ein vergleichsweise junger General in den Sicherheitskräften von Maersk. Vielleicht hat er sogar Befehlsgewalt über Marines, Thore weiß das nicht. Möglich, dass er sogar weiß, wovon er redet. Auf seiner Uniform steht 'Kramer', und die Sterne sprechen von einem Generalmajor, was schon relativ hoch ist. Technisch gesehen auch höher als Thores Rang.
Sein Äußeres ist deutlich militärischer als das des Brigadeadmirals. Kurze Haare, akkurate Rasur, straffe Haltung.
"Nicht nur einer, sondern fünf, ja. Ein einzelner Trupp, dessen Feedbacks wir senden können. Kameras sind da doch sowieso überall, wir müssen die Daten nur filtern und senden."
"Das ändert nichts daran, dass keiner dieser Männer da mitmachen würde."
Sleipnirsson bleibt ruhig, besonnen. Innerlich muss er lachen. Männer. Kramer sieht nur das vermeintlich starke Geschlecht, offensichtlich.
"Ich kümmere mich darum. Ich wähle die Mitglieder aus, stelle das Team zusammen, und übergebe dann an die Marketing-Abteilung."
Kramers Blick wird wird härter.
"Wen haben Sie im Sinn."
Sleipnirsson schmunzelt mit einem Mundwinkel.
"Viggo Haraldson."
Kramer schüttelt den Kopf, zuckt die Schultern.
"Nie gehört."
"Und genau das ist ihr Problem."
Thore wird wieder ernst. Blick zur IT und Marketing-Abteilung.
"Sie wissen, wen ich meine, richtig?"
Stummes nicken. Einer wirft ein paar Bilder in den Raum. Der Mann, der durchaus einen Blick wert ist, wedelt mit Reichtum und Wohlstand. Wohl alles von seinem Vater, einiges von Sponsoren. Seit er erfolgreicher wurde, bekommt er regelmäßig Gegenstände aller Art, die er in seinen Video-logs testet. Es kommt an.
Seit etwa einem halben Jahr beim Dänischen Militär. 3. Einsatzflotte Nord, Marine. Kein nennenswerter Rang, Unteroffizier, aber er macht sich gut.
"Das kann nicht Ihr Ernst sein."
Kramers Gesicht entgleist.
"Das ist ein Modepüppchen. Der überlebt kaum die Grundausbildung!"
"Doch, ich denke schon."
"Niemals, keine Chance."
"Ich halte ein Jahresgehalt gegen."
Stille. Gemurmel. In Kramers Kopf rattert es.
"Ist das ein Spiel für Sie?"
Offenbar ist er nicht so wirklich sicher, ob er darauf eingehen soll. Ist ne Menge Geld.
"Ich bin mir einfach ziemlich sicher."
Kramer überdenkt das.
"Regelmäßige Überprüfung der Fortschritte. Berichte an die Vorgesetzten. Einsatz spätestens sechs Monate nach Zusammenstellung."
Thore lächelt.
"Deal."