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Rico macht keine Anstalten, Scar zu folgen. Gleichzeitig weiß er allerdings auch, dass er Scar nicht von ihrem Vorhaben abbringen kann, dazu ist sie viel zu stur.
"Flieg los und gib auf dich acht. Ohne mich bist du schneller. Wenn Spark im Astralraum unterwegs ist, muss auch jemand nach seinem Körper schauen."
Damit hat sich Rico dazu entschieden, bei Spark und Perdana zu bleiben.
Sie laufen los. Es gilt nun, keine Zeit mehr zu verlieren und so rasch es geht zu den Bikes zu kommen.
"Wir werden deine Fähigkeiten sicher brauchen können", raunt er noch Perdana zu, während sie sich beeilen. Dann erreichen sie die Bikes. Rico stellt sicher, dass Spark zusätzlich gesichert ist, bevor sie losfahren und der Wujen seinen leiblichen Körper verlässt und den Weg durch den chaotischen Astralraum des Sprawl antritt. Ein Glück, dass er den Anblick gewohnt ist, und mehr noch auch den Weg durch dieses Chaos zum Quartier der Jade Blades zu finden weiß. Eine Aufgabe, die - wie er weiß - kein leichtes Unterfangen darstellt. Der Astralraum Jakartas ist nämlich, sofern es überhaupt möglich ist, noch undurchsichtiger als das Gewirr aus Straßen und Gassen, welches den urbanen Moloch durchzieht. Aber Spark findet sich zurecht. In diesem Teil des Sprawl dominieren noch immer die kampung, die voneinander abgetrennten, dorfähnlichen Viertel inmitten der urbanen Strukturen. Und jedes kampung hat im Astralraum seinen ganz eigenen Charakter, bedingt durch die zentralen Orte, Tempel, Moscheen, alte Häuser, welche jedes kampung prägen. Die meisten davon stammen noch aus Zeiten, als dieser Teil des Sprawl nicht derart dicht bebaut und zusammenhängend gewesen ist wie es nun der Fall ist. Orte, die im Astralraum herausstechen und dem Astralreisenden als Markierungen dienen.
Der Wujen erreicht den Ort des Geschehens als erster, noch vor Scar und sogar eher als Li, der sich wohlweislich nur bis zur Kreuzung gewagt hat, um erst einmal abschätzen zu können, wie die Lage wirklich ist.
Explosionen sind zu hören. Die Heimat der Jade Blades steht bereits in Flammen. Eine Woge aus Emotionen fegt über Spark hinweg, aber nach einem Schauer realisiert er, dass es nicht seine verbrennenden Brüder und Schwestern sind, die diese Woge ausgelöst haben, sondern seine eigenen Erinnerungen an eine Heimat, die er nun verloren hat. Zuerst fühlt er sich orientierungslos, kann keine Einzelheiten ausmachen, aber dann erkennt er die grauen Schatten und die schillernden Auren, die sich von der Rückseite des brennenden Gebäudekomplexes entfernen. Er hofft nur, dass es alle nach draußen geschafft haben.
Einige Hunderte Meter entfernt, auf der anderen Seite von dem, was einmal das Quartier der Blades gewesen ist, ruht der graue Schatten des Panzers. Er verharrt dort bewegungslos. Auch die Schuttberge werfen nur bizzare graue Schatten in den Astralraum, zeugen von toter Materie. Ein mächtiger Feuergeist sollte hier schon aus weiter Ferne zu erkennen sein, lodern wie eine Fackel in einem dunklen Verlies. Aber Spark kann nichts erkennen. Niemand anders scheint hier außer ihm im Astralraum zu verweilen.
Mit mehr Ruhe als er für möglich gehalten hätte, beobachtet Li, wie das Quartier in Flammen aufgeht. Es brennt bereits, als er einen Punkt erreicht, von dem aus er zumindest die Schuttberge und Teile des Gebäudes erkennen kann, das die Blades ihr Zuhause nennen. Dann hört er das Zischen. Er kann den Panzer nicht sehen, aber er weiß, dass es eine Rakete gewesen ist, die das Fahrzeug abgefeuert hat. Kurze Zeit später grollt der Donner einer weiteren Explosion bis zur Kreuzung. Mittlerweile hat sich dort eine Meute versammelt, die neugierig und teils verängstigt zu der Rauchsäule in der Ferne aufschaut. Li erkennt Ibu Moy, die mit ihren Kunden aus dem Warung kommt.
"Pak, Li... was geht dort vor sich?"
Li weiß, dass er nichts tun kann. Er hat Vertrauen in Yon, dass dieser alles in seiner Macht Stehende getan hat, um so viele Blades wie möglich zu retten. Er weiß, dass sich das Militär nicht auf einen ungünstigen Häuserkampf in einem der Gang vertrauten Häuserkampf einlassen wird. Sie sind hier, um die Lebensgrundlage der Blades zu zerstören. Ihren Rückzugsort in Schutt und Asche zu verwandeln und sie damit zu zerstreuen. Aber warum? Die Blades stellen keine Gefahr für das Militär dar. Durch die Hände der Blades sind bisher auch keine Militärangehörigen umgekommen, sodass ein Racheakt zu vermuten wäre. Vielmehr arbeiten die Blades zurzeit sogar für das Militär in einer Sache, die Li mehr Kopfzerbrechen bereitet, als ihm lieb ist.
Dann erreicht ihn Yons nächste Nachricht.
>> Wir sind raus. Nach erster Zählung haben es fast alle geschafft. Es tut mir Leid, Li, ich konnte nicht alle retten. Ein Teil der Rückseite ist zuerst eingestürzt und hat einige von uns sofort begraben. Wir haben ein paar zusätzliche Verletzte durch Splitterwirkung. Wir brauchen erste Hilfe. Führe die Gruppe zum Ort des großen Trainings. <<
Li weiß, welchen Ort Yon damit anspricht. Es handelt sich um ein größeres Areal einer alten, bereits längst zerfallenen Schule weiter im Süden, auf dem Yon und einige andere Blades aus dem inneren Kern der Gang verschiedene Kletter- und Kampftechniken trainiert haben.