Ich werd jetzt nicht jedes Einzelbeispiel durchkauen, sondern eher allgemein antworten.
"Asleif" schrieb:- Schafft ihr viele Hausregeln, die einzelne Situationen behandeln (z.B. wie die im nebenstehenden Thread diskutierte zu den SINs)?
- Habt ihr generelle Mechanismen geändert, um das Spiel konsistenter zu machen (z.B. Serbitars "skill critical"-Regel, welche die Zahl der verwertbaren Erfolge direkt vom Fertigkeitswert abhängig macht)?
- Ignoriert ihr viele Regeln und setzt auf Meisterwillkür bzw. Vereinfachung im Sinn von "höhere Stufe gewinnt Vergleich"?
- Ist euch das Schisma Regeln//Hintergrund egal, weil es euch gar nicht interessiert, wie die Welt aussehen würde, wenn wirklich alles nach RAW abliefe?
In einigen Fällen hab ich Hausregeln, bspw. bei SINs oder Emotitoys.
Im Allgemeinen passe ich lieber den Hintergrund den Regeln an, wenn es Differenzen gibt bzw. die Regeln sind für mich eine wichtige Grundlage, um Prognosen über das Setting zu machen.
Dabei ist zu unterscheiden zwischen grundlegenden Möglichkeiten, die die Regeln bieten (den eigentlichen Regeltexten, die für mich an erster Stelle stehen) und offiziellen Beispielen, wie die Regeln in der Praxis angewandt werden (bspw. Werten für Beispiel-NSC).
Bei mir ist es bspw. normal, dass Johnsons und andere Charaktere, die gut davon leben, Leute zu belabern, mit einer ganzen Reihe charismaverbessernder Bioware ausgestattet sind (Biosculpting, Vocal Range Enhancer, Tailored Pheromones), auch wenn die Beispielwerte für offizielle NSC das nicht nahelegen.
Zitat- Was denkt ihr, sind die Ideale, nach denen Rollenspielregeln allgemein konzipiert werden sollten, inwiefern wurden die bei SR beachtet oder links liegen gelassen?
Da gibt es die unterschiedlichsten Prioritäten.
"Realismus" ist nicht unbedingt ein Punkt, der mich groß interessiert.
Mir ist in Grundzügen bewusst, dass bspw. der Umgang von SR mit Feuerwaffen wohl schon immer ziemlicher Quatsch war.
Taugt aber fürs Spiel, also ist das okay für mich.
Balancing muss auch nur so weit vorhanden sein, dass absolute No-Brainer vermieden werden (was leider bei SR selten der Fall ist).
Total gebalancete Systeme bieten nun mal leider auch null Raum zur Optimierung, was ich als nachteilig für mein Spielerlebnis empfinden würde.
Weltmodellierung ist eine nützliche Eigenschaft, die dem SL vieles erleichtern kann, aber die Regeln können nicht alles abbilden, dafür ist eine Welt einfach zu komplex.
Manchmal muss man als SL auch selber Plausibilitäten abwägen.
Dabei kann einen ein Spiel unterstützen, auch ohne harte Regeln, s. hierzu den Text zu Tempo in Ghost Cartells, mit dem man hervorragend arbeiten kann. Ein Spiel kann den SL aber auch komplett mit der Plausibilitätenabwägung allein lassen - s. die Informationen zu Drogen im GRW und Arsenal, die ohne umfangreiche Vorkenntnisse zur Thematik nicht angemessen im Spiel umsetzbar sind.
Ich habe trotz guter Allgemeinbildung zum Thema Stunden auf Wikipedia damit verbracht, mich über einige der exotischeren Rauschmittel zu informieren, dann festzulegen, welche SR-Droge am Ehesten mit welcher RL-Droge vergleichbar ist und jetzt kann ich nicht nur genau erklären, welche Halluzinogene untereinander Kreuztoleranzen bilden, sondern nach nur drei Abenden Recherche auch Abhängigkeit vernünftig im Spiel umsetzen.
Na ja, war nicht uninteressant, hätte man aber auch einfacher haben können.
Ein weiterer Punkt sind leichte Erlernbarkeit und Anwendbarkeit der Regeln.
Hier kommt SR4 ganz gut weg, frühere Editionen fand ich in der Hinsicht weniger gelungen.
Gute Regeln kann man ohne intensives Studium im Kopf behalten und jederzeit anwenden.
Zu viele Ausnahmen können sich hier sehr störend auswirken.
Ein expliziter Detaillversessenheitsanspruch ist also kontraproduktiv zu diesem Punkt.
Flexibilität ist ein weiterer zentraler Punkt.
Gerade weil Regeln nicht jede denkbare Situation erfassen können, sollte man sie leicht auf unvorhergesehene Situationen adaptieren können.
Die einfachen Grundmechaniken von SR4 sind ein ganz guter Ansatz, wenn auch nicht so überraschend vielseitig wie das typische Oldschool-RPG mit seinen gerade durch extremen Minimalismus immer adaptierbaren Mechaniken.
Bei DSA1 zB kann ich mir immer eine wirklich passende Probe aus dem Ärmel schütteln, ohne groß überlegen zu müssen, bei SR ist das etwas schwieriger.
Regeln sollen weiterhin eine Grundlage für taktisch und strategisch anspruchsvolles Spiel bilden, ein Punkt,der für mich von sehr zentraler Bedeutung ist.
Da ist SR4 im Mittelfeld.
Leider bietet das Spiel durch den Wegfall früherer Pools weniger Ressourcenmanagement, trotzdem kann man in der Hinsicht aber noch seinen Spaß damit haben.
Auch der Kampf mit Bodenplänen wird sträflich vernachlässigt, das System hat tatsächlich keinerlei expliziten Regeln für die Bewegung pro Kampfphase, sondern nur pro Runde.
Sehr gut schneidet es dagegen im Bereich Strategie durch Charakteroptimierung ab, hier ist das System ein wunderbarer Baukasten, an dem ich viel Freude habe.
Ich würde mir aber etwas mehr Unterstützung bei Strategie und Taktik im tatsächlichen Spiel wünschen.
Dann gibt es noch den Punkt, inwieweit Regeln bei der Charakterdarstellung und beim Geschichtenerzählen helfen.
Den Ansätzen, die viele moderne RPGs da haben, stehe ich mittlerweile etwas skeptisch gegenüber, mir reicht es, wenn mich ein System zur Erschaffung interessanter Charaktere mit vielen Plothooks inspiriert, was SR ganz gut hinkriegt- man muss sich aber sowohl als SL als auch als Spieler sehr deutlich dessen bewusst sein, woran es oftmals zu hapern scheint und bei storyverwertbaren Eigenschaften gleich "Spotlighthugging!" geschrien wird.
Was ich weniger dem System als den Spielern anlaste, die es einfach nicht kapieren und immer nur BlackOps-Corestory-SR wollen.
Insgesamt halte ich SR4 für ein System, das meinen Ansprüchen recht gut entgegenkommt, aber noch durchaus verbesserungsfähig ist.
Zitat- Ist bei einem Rollenspiel allgemein / bei Shadowrun speziell Regeln oder Hintergrund wichtiger, oder stehen beide gleichberechtigt nebeneinander?
Mir sind Regeln wichtiger, weil sie im Idealfall eine klarere, weniger interpretationsbedürftige Grundlage sind.
Der Hintergrund dagegen sollte eher offen gehalten sein und mir Raum für meine eigene Vorstellung der Spielwelt lassen bzw. meine Fantasie anregen und mich dadurch bei der Gestaltung meiner eigenen Kampagnen unterstützen.
Zitat- Inwiefern sind konsistente und hintergrundkonforme Regeln notwendig für ein "gutes" Rollenspielerlebnis? Sind sie das überhaupt oder ist das rein vom Spielstil abhängig?
Letzteres.