Heilige oder Sünder

  • ACHTUNG: Ich gehe hier teilweise auf die Handlung von "Harlekins Rückkehr" und "Brainscan" ein. Wer diese Kampagnen nicht kennt, und noch spielen will, sollte nicht weiterlesen.




    Moin.


    In vielen offiziellen SR-Kampagnen - so ist mein Eindruck - wird von den Runner verlangt, sich auf eine Mission einzulassen, mit bestenfalls geringen Überlebens- bzw. Erfolgschancen, und zwar nur, weil es das Richtige ist, weil man die Menschheit rettet, oder sowas in der Art.
    In einer Welt, die ach so finster und düster ist, wie die von SR eine etwas idealistische, um nicht zu sagen naive Einstellung, finde ich.



    Ein paar Beispiele:
    In der Kampagne "Harlekins Rückkehr" werden die Runner in die Handlung gezogen, ohne den Hauch einer Wahlmöglichkeit. Entweder, sie ziehen die Sache durch, oder sie sind hin... natürlich retten sie die Welt vor dem Feind, aber sie tun es nicht freiwillig...


    Im letzten Run der "Brainscan"-Kampagne werden die Runner in die Ren-Arc geschickt, um es mit Deus persönlich aufzunehmen (auch wenn sie im Endeffekt dann doch nur Zuschauer sind...). Der Autor ging einfach davon aus, das die Runner irgendwas schreien, wie: "Für's Licht, ihr Heckenpenner!", und losstürmen. Und auch hier sind die unausweichlichen Konsequenzen tödlich, wenn die Runner sich weigern...


    Und dann ist da noch dieser Einsteiger-Run, an dessen Namen ich mich nicht erinnern kann... Ihr wisst schon... Die Runner werden angeheuert, einen Kanister mit einem "harmlosen Grippevirus" im Ventilationssystem einer Firma zu platzieren. Später finden sie heraus, das es sich jedoch um ein tödliches Virus handelt, und die Handlung sieht vor, das die Runner ein zweites Mal in die Firma eindringen, um den Kanister rechtzeitig zu beseitigen, weil sie nicht die Schuld an dutzenden von Toten tragen möchten...



    Nun, zumindest in den beiden ersten Fällen wird erwartet das die Runner sich freiwillig auf ein Himmelfahrtskommando einlassen, und es wird von der Handlung hart bestraft, wenn sie die Unverfrohrenheit besitzen, zu sagen, das die Welt ihretwegen ruhig zur Hölle fahren kann, wenn für sie dabei nichts rausspringt...


    Auch in den SR-Romanen wird oft der einsame Kampf eines oder mehrer Runner gegen böse, ungerechte Verschwörungen/Konzerne/Drachen und so weiter, geschildert... Aber ist das Bild des Shadowrunners als letztem Helden, oder Idealisten, bis auf ein paar Einzelfälle, nicht etwas weit hergeholt?


    Wie seht ihr das, und vor allem, wie handhabt ihr es in euren Spielgruppen? Sind eure Runner Weltverbesserer, oder hargesottene, rein profitorientierte Söldner? Heilige, oder Sünder?


    Gruß,
    Blackspell


    PS: Sollte Shadowrun weiter an diesem Heldenimage festhalten?

  • Naja so allgemein kann man das nicht sagen.


    Denn das was einen Helden ausmacht, bleibt den Runnern verwehrt: Der Ruhm.


    Denn wenn jeder weiss das die Runner "die Welt gerettet haben" ist ihr Ruf am Arsch und sie werden hinter Gitter gebracht, da Lone Star jederzeit weiss wann und wo sie sich aufhalten. Und was einen guten Shadowrunner ausmacht ist nunmal die Tatsache das er nicht gesehen wird. Ein Held dagegen will das möglichst viele Leute ihn dabei sehen wie er die Welt rettet, damit man später Lieder usw. über ihn schreiben kann. ;)


    Unsere Gruppe ist so eine Art Mittelding, weder gut noch böse. Das einzige was bei unsrer Gruppe als Auftrag ausscheidet ist Wetwork o.ä., auch das unnötige Töten von Unschuldigen ist "tabu".

  • "Blackspell" schrieb:

    Und dann ist da noch dieser Einsteiger-Run, an dessen Namen ich mich nicht erinnern kann... Ihr wisst schon... Die Runner werden angeheuert, einen Kanister mit einem "harmlosen Grippevirus" im Ventilationssystem einer Firma zu platzieren. Später finden sie heraus, das es sich jedoch um ein tödliches Virus handelt, und die Handlung sieht vor, das die Runner ein zweites Mal in die Firma eindringen, um den Kanister rechtzeitig zu beseitigen, weil sie nicht die Schuld an dutzenden von Toten tragen möchten...


    [Radio Erivan]Im Prinzip... ja. Aber es war ein Roman, nämlich aus der 'Geheimnisse der Macht'-Triologie, und good ol' Sam mit seiner moralischen Ader. ;)[/Radio Erivan]


    "Blackspell" schrieb:

    Wie seht ihr das, und vor allem, wie handhabt ihr es in euren Spielgruppen? Sind eure Runner Weltverbesserer, oder hargesottene, rein profitorientierte Söldner? Heilige, oder Sünder?


    Tja... Söldner trifft es ziemlich genau - nur sollte man da einen kleinen, feine Aspekt bedenken: man soll das Geld auch ausgeben können, so oder so.
    Also achtet man schön brav darauf, den Status Quo nicht über Bord zu werfen.


    "Blackspell" schrieb:

    PS: Sollte Shadowrun weiter an diesem Heldenimage festhalten?


    Gute Frage... wenn ich mir die letzten Hintergrundbücher so anschaue, kann man ziemlich klar sagen, daß dieses Heldenimage ziemlich brutal aufgeräumt wurde, und aufgezeigt wird, welche (teils ziemlch unschönen) Methoden für 'das Wohl der Menschheit' eingesetzt werden.
    Also eher Pragmatismus denn Heldentum, bittere Medizin denn Allheilmittel.

    In a free society, diversity is not disorder. Debate is not strife. And dissent is not revolution.

    George W. Bush

    And while no one condones looting, on the other hand one can understand the pent-up feelings that may result from decades of repression and people who've had members of their family killed by that regime, for them to be taking their feelings out on that regime.

    Donald Rumsfeld

    Einmal editiert, zuletzt von Rotbart van Dainig ()

  • Ja...und genau das ist meist der Grund, warum sich viele Spielgruppen schwertun (oder gar sich weigern) dem Helden-Image zu entsprechen.


    Was besonders an den o.g. Werken einem als SL sauer aufstößt, ist das teilweise sehr verbindliche Drehbuch. Es gibt einfach zu wenig Raum für irgendwelche alternativen Ideen seitens der Spieler. Alles, was irgendwie von der Planung abweicht wird pauschal mit einem literarischen "ihr seid tot" oder "ihr seid praktisch tot, weil ausm Biz" quittiert.


    Ist m.E. auch bei so gewissen anderen kauf- oder download-Abenteuern ähnlich gestrickt.


    Gruß
    Credstick

    Es gibt bekannte Bekannte, es gibt Dinge, von denen wir wissen, dass wir sie wissen. Wir wissen auch, dass es bekannte Unbekannte gibt, das heißt, wir wissen, es gibt einige Dinge, die wir nicht wissen. Aber es gibt auch unbekannte Unbekannte - es gibt Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen. (Donald Rumsfeld)

  • Diese strenge Linearität ist bei den allermeisten Abenteuern die verkauft werden drin... wobei manche nicht ganz os schlimm sind, das Corporate Punishment hat da zum Bleistift einiges an Alternativen von sich aus im Angebot.

    In a free society, diversity is not disorder. Debate is not strife. And dissent is not revolution.

    George W. Bush

    And while no one condones looting, on the other hand one can understand the pent-up feelings that may result from decades of repression and people who've had members of their family killed by that regime, for them to be taking their feelings out on that regime.

    Donald Rumsfeld

  • Ich kann dazu nur sagen:
    Es kommt immer darauf an was die Runner für eine Weltanschauung haben.
    Dem durchschnittlichen Runner ist es vermutlich egal, ob er ein paar tausend Mennschen tötet wenn er denn Kanister mit dem Pockenvirus in den Lüftungsschächten platziert.
    Hauptsache die Cerdsticks stimmen. Einige werden sowas wie ein Gewissen haben und versuchen den vorher schon erwähnten Pockenvirus rauszuschaffen, weil sie im Grunde ein weiches Herz haben(was eher der seltenste Fall sein wird).
    Und dem Rest wird man wahrscheinlich mit Folterund tot drohen wenn sie denverdammten Pockenvirus nicht zügigs aus den Lüftungsschächten holen.
    Wie gesagt, es hängt immer davon ab welche Auffassung die Runner haben.
    Zum Thema Romane fällt mir nur ein: Die müssen halt Runner mit Skrupel haben, ansonsten kauft keiner mehr die Fortsetzungen und das Buch wäre sehr schnell vorbei :wink: .

  • Also wenn man nicht gerade blöd ist macht man das folgendermassen:
    [anonymerAnruf]
    *911 ins Telekom eingeb*
    "Lonestar Notruf, sie wünschen?"
    "Hören sie, also folgendes: Im Gebäude Xyz in Luftüngsschacht xyz ist eine Bombe mit einem gefährlichen Pockenvirus, dem sollten sie sich annehmen."
    [/anonymerAnruf]


    Dann rückt der ABC Schutzzug der Bombsquad an, und erledigt das...
    Problem gelöst.

  • Aber nur, wenn der aktuelle Lone-Star-Vorgesetzte rein zufällig der Meinung ist gerade DIESEM anonymen Anruf nachzugehen.
    Kommt halt drauf an, wieviel sie grad zu tun haben, wie wichtig ihnen dieser Ort ist und wer der Vorgesetzte ist...

  • "Machnog-Morb" schrieb:

    Aber nur, wenn der aktuelle Lone-Star-Vorgesetzte rein zufällig der Meinung ist gerade DIESEM anonymen Anruf nachzugehen.
    Kommt halt drauf an, wieviel sie grad zu tun haben, wie wichtig ihnen dieser Ort ist und wer der Vorgesetzte ist...


    Ach weisst du, bei Bombenwarnungen mit B-Alarm ist es durchaus realistisch dass sie jedem nachgehen, dafür werden sie nämlich von der Stadt bezahlt... ;) ist ja heute auch schon so dass andauernd irgendwelche Deppen dafür sorgen dass ganze Bahnhöfe abgesperrt werden nur durch Bombendrohungen.
    Und wenn nicht kannst du immernoch die Firma anrufen und DENEN dass sagen. Irgendwer wird schon nachgucken, und wenn DIE dann die Bombsquad rufen...
    Alles in allem ist die Chance dass gar nichts passiert ziemlich gering.

  • Jaja, wegen all diesen Dingen hab ichs schon lange aufgegeben vorgefertigte Runs zu zocken: Die Spieler halten sich nicht an den Knallhart vorgegeben Handlungsstrang oder überlisten die Story mit Möglichkeiten die der Author nicht gesehen hat... :roll:

  • Nun ja, deswegen sitzt da der Spielleiter doch - damit er die Begebenheiten ausfüllt, an die der Autor nicht gedacht hat. Das ist doch der Job, oder?

    Ich bin der letzte Schrei der Evolution. Als sie mich erschaffen hatte, schrie sie: "Oh Gott, was habe ich denn gemacht?!"

  • "gunware" schrieb:

    Nun ja, deswegen sitzt da der Spielleiter doch - damit er die Begebenheiten ausfüllt, an die der Autor nicht gedacht hat. Das ist doch der Job, oder?


    Mitunter.




    "Searcher of truth" schrieb:

    Dem durchschnittlichen Runner ist es vermutlich egal, ob er ein paar tausend Mennschen tötet wenn er denn Kanister mit dem Pockenvirus in den Lüftungsschächten platziert.


    Also bei uns zumindest ist der "durchschnittliche Runner" kein verkappter Massenmörder ohne Gewissen. Wer würde auch mit dem zusammenarbeiten? Wenn dem 1000 egal sind, weshalb sollte er dann während des Runs Rücksicht auf mich nehmen?
    BTW, wenn sowas wie der Pockenvirus-Scherz meinem "durchschnittlichen Runner" passieren würde, käme der sich richtig doll verarscht vor, und würde so einiges daran setzen, zumindest den Ruf dieses ominösen J. zu ruinieren. (Betriebsausfall bezahlen, und Massenmord haben wollen... Da kriech ich doch sonst Ärger mit der Gewerkschaft ;))
    Irgendwo finde ich aber schon, dass diese mini-terroristen Einstellung, den großen und bösen Kons zu schaden, irgendwie zum Runnerdasein dazu gehört. So mit Drek aufwühlen, und die Piratensender mit Infos und Beweisen füttern und so. Irgendwie halt.

    Ich bin nicht die Signatur.... ich mach hier nur Sauber.

  • gunware :


    naja, teilweise muss man da als SL richtig böse Löcher flicken, wenn z.B. ein Spieler einen tollen einfall hatte der den Run einfach so mal 3, 4 Seiten nach vorne Schleudert, aber dann irgendwas wichtiges fehlt und der SL nur dasitzt auf seinen Papierberg glotzt und verzweifelt "He, soweit dürft ihr aber gar nich... da fehlt doch noch was..." vor sich hinmurmelt (bisschen überzeichnet :wink: ). Gut auch das unten genannte Bombsquad beispiel.
    Bis jetzt kenn ich das so dass der SL nach ein paar stunden den ganzen papierkram auf den boden schmeisst und meint: "Was soll der Drek? Da denke ich es mir ja lieber gleich selbst aus!"
    Aber das sind auch nur meine bescheidenen Erfahrungen...

  • Dread
    Hey denk jetzt bloß nichts falsches von mir.
    Ist nur so: Wenn ich mir manchmal Rotbarts Beiträge und die von ein paar anderen durchlese, glaube ich schon langsam, das der durchschnittliche Runner so denkt.
    Mir sind Mitleidsmenschen ja auch lieber :wink: .

  • @Searcher of the Truth


    Der Durchschnittliche runner denkt wie?
    Welche für beiträge von RvD meinst du (gibt so viele)?
    Was für Mitleidsmenschen?
    Was sollte ich falsches von dir denken?
    ..........


    Also entweder ich stehe grad voll auf dem Schlauch, oder hier ist jemand sehr verwirrt (was vielleicht das falsche sein könnte, was ich jetzt denke)...


    :?: :?: :?:

  • "Dread" schrieb:

    gunware :


    naja, teilweise muss man da als SL richtig böse Löcher flicken, wenn z.B. ein Spieler einen tollen einfall hatte der den Run einfach so mal 3, 4 Seiten nach vorne Schleudert, aber dann irgendwas wichtiges fehl...


    Und genau aus diesem Grunde liebe ich es, Spielleiter zu sein. Wenn man ein Abenteuer "abarbeiten wie erschaffen" durchspielt, habe ich immer noch so ein flaues Gefühl, dass irgendetwas schiefgegangen ist. Da müsste ich doch gar nicht da sitzen - ein sprechender Affe hätte es auch hingekriegt.

    Ich bin der letzte Schrei der Evolution. Als sie mich erschaffen hatte, schrie sie: "Oh Gott, was habe ich denn gemacht?!"