Prolog
Es regnete schon seit Ewigkeiten. Es regnete nicht nur, es war die Definition von Regen; hundertprozentige Luftfeuchtigkeit. Kein Niesel oder dicke warme Tropfen, sondern eine Welt aus kaskadenartigen Sturzbächen, die beständig über das Land zogen. Nahe dem Horizont grummelte es bedrohlich.
Die grauen Wolken klebten schwer am Firmament und trübten den späten Nachmittag in ein fades Zwielicht. Kleine Böen drückten die endlosen Bindfäden in alle Ritzen um auch jedem Baum und Stein und Menschen die unendliche Macht des Regens zu beweisen. Die Wolken wirbelten Wellen gleich in einem fort, schoben sich ineinander in der grauen Masse die einst der Himmel war, wanden sich wie gefiederte Schlangen, die ihren nassen Odem auf die beschauliche Welt unter ihnen spien. Sie entluden ihre pralle Fracht unablässig; die triefenden Bäume beugten sich demutsvoll ob der Ausdauer, erwiesen in der althergebrachten Ergebenheit dem ewigen Wasser ihre Ehre und trotzten ihm doch in Gelassenheit. Nach dem Guss würden sie sich wieder in Stolz erheben können.
Der lehmige Boden bemühte sich mit Inbrunst zu einem Ebenbild des Himmelsozeans zu werden, umfing die geduckten Gebäude ebenso wie die winzigen, unter den schmalen Regendächern hockenden, Menschen, umschlang alles, wovon er habhaft werden konnte, mit satten Schlammspritzern. Als ob er gierig seine mit stetigen Verlusten belohnte Unnachgiebigkeit mit verzweifelter Usurpation auszugleichen suchte. Nach dem Guss, wenn die marodierenden Wassermassen vom verwüsteten Schlachtfeld abgezogen waren, würde sein kleiner Sieg Stück für Stück verdorren und bröckeln.
In der Ferne, über dem blassen Fleck der Tageshelle, schwärten weitere Wolkenberge, türmten sich auf, zum Schlag bereit, noch dunkler als die schwebende Vorhut, die sich derzeit über dem Lager ergoss. Die bösartige Schwärze, ein grollendes Geschwür, eiterte dichte Schleier, graue Vorhänge aus Wasser, die das Grauen verdeckten, dass sie selbst verursachten. Das Hochdruckgebiet drängte das lästige Souvenir der Meere von sich, drückte die Wolken gegen die Hügelkette und in sich zusammen, um die dann wesentlich kompaktere und leichtere Last endgültig in das Flachland dahinter zu schieben. Nach dem Guss würde die Welt die Gleiche sein, wenn das Unwetter sich ausgetobt hat bereichern sich die Besiegten an den hinterlassenen Trümmern, sprießen neue Triebe in abgebrochenen Stümpfen, recken sich alle Lebewesen der verheißenden Sonne entgegen, die das Treiben zuvor aus zurückhaltender Distanz betrachtet hat.
Nach dem Guss, das war ein Gedanke, an den sich die Menschen klammerten, um nicht von dem Unwetter fortgespült zu werden. Sie nahmen den zermürbenden Dauerregen nicht so stoisch hin wie die Elemente - trotz aller Technologie immer wieder die Vormacht der Natur zur Schau stellend. Sie zogen den Kopf ein und huschten in ihre Unterschlüpfe, verblieben missmutig und hofften, dass die Zeit schneller voran ging.
Der Regen schluckte alle Geräusche bis auf das Eigene, sperrte die Verharrenden in eine Klosterzelle aus rauschendem Wasser; die Unablässigkeit führte die Gedanken in das Innere. Der Regen wusch alle Merkmale weg, bis auf die Eigenen, legte den Innehaltenden eine graue Kutte an; die Uniformität führte die Körper zur Hingebung. Der Regen spülte alle Grenzen fort, bis auf die Eigene, reinigte die Wartenden; der Regen führte zur Meditation.
Verdammter Monsun! dachte er. Hört das denn nie auf? Mit gerunzelter Stirn blickte er empor und war nicht überrascht, den gleichen Anblick wie vor ein paar Minuten vorzufinden. Eintönig prasselte es auf dem schmalen Dach unter das er sich gehockt hatte, zusammengekauert in seinem Poncho, der weniger durch sein Tarnmuster als durch die erdfarbene Schlammschicht mit seiner Umgebung verschmolz. Er war vollständig durchweicht, in seinen Stiefeln schwappten kleine Pfützen und durch das angeblich wasserfeste Plastik des Überwurfs klebte seine Kleidung an den zitternden Gliedern. Die klammen Finger ballte er zu Fäusten. Viel mehr Schutz erlangte er nicht, als er sich enger an die feuchtgesogene Betonmauer drückte, der Wind peitschte einen Schwall auf ihn und durchtränkte sein letztes Päckchen Jin Ling-Zigaretten. Verdrießlich warf er es in den allgegenwärtigen Matsch. Doch die Regengötter wurden durch seine Opfergabe nicht milder gestimmt.
So wie er unter dem unzureichenden Sims hatte sich die gesamte kleine Welt verborgen. Dicht an den Berg, der die dunklen Wolken zu himmelshohen Bergen auftürmte, drängte sich das windschiefe Lager. Einige Häuser, einstöckige Klötze aus unebenem Beton, bildeten ein grobes Halbrund um den Turm, daneben der Eingang zum Stollen aus welchem dem Berg das kostbare Erz entrissen wurde. Wie ein vertriebenes Ungetüm hockte das große Förderband mit seinen Sortiermaschinen etwas außerhalb und fütterte die Halde mit Unmengen von Abraum. Die gleichmäßigen Schüttungen sahen aus, als wäre der Berg ausgelaufen, die gebrochenen Steine reichten fast bis zum sonst so sanft mäandernden Fluss, der sich durch die Regenfälle in einen reißenden Strom verwandelt hatte. Zu Beginn des Unwetters waren die Arbeiten eingestellt worden, nach den ersten zaghaften Tropfen roch die staubige Luft zunächst angenehm frisch und sauber, jetzt stank es nach Schlick. Die Eintönigkeit der Ansiedlung wurde durch die Sturzbäche der letzten Stunden nur noch verschlimmert.
Er schreckte aus seinen tristen Gedanken auf. Eine Garbe hämmerte dröhnend gegen das Densiplast, das zusätzlich an die Außenwände genagelt war, das Rattern des Maschinengewehrs als Ursprung kaum im Rauschen von Wind und Wasser auszumachen. Eine weitere halbe Stunde war also vergangen, mit exakter Regelmäßigkeit feuerten die im hohen Gras unsichtbaren Angreifer von immer neuen Positionen. Konnten sie dem Lager nicht viel anhaben, so hielten sie doch die Männer im Inneren der Gebäude. Die Schlinge zog sich enger.
Das Scharfschützengewehr vom Turm krachte. „Kontakt.“ vermeldete Marksman. Im Treiben der Regenschauer waren die Feindbewegungen kaum auszumachen. Das Dragunov hielt den in Überzahl vorhandenen Gegner auf Distanz. Wie Wellen am Strand brach jeder Vorstoß zu dem leicht erhöht liegenden Lager. Die Situation hatte sich zu einem nassen Patt festgefahren, ein Ende war nicht absehbar. Alles eine Frage der Zeit. Eine Böe verwehte den Knall eines weiteren Schusses. Und eine Frage der Munition.