[IP] Sinar Temaram / Zwielicht

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Mei Ling wirft Li ein Lächeln zu. Mit einer lässigen Geste setzt sich die Chinesin ihre Sonnenbrille auf die Nase.

"Wir sehen uns später. Mögen wir unseren Ahnen Ehre bereiten."

Dann wendet sie sich von den Jade Blades ab. Hu, der noch einen Augenblick länger verweilt, verabschiedet sich kurz, aber freundlich von den Blades und folgt Mei Ling dann in Richtung des Jinde-Yuan. Kurze Zeit später sind die beiden Chinesen im Schatten des Tempels verschwunden und haben den Hof über eine der vielen schmalen Gassen und Zwischenräume verlassen.

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Trotz der engen Bebauung und der oftmals herrschenden Platznot für die Errichtung neuer Wohnflächen verfügt Jakarta Selatan über einige brach liegende Bereiche, die sich noch kein Investor einverleibt hat. Natürlich kennen die Jade Blades jeden dieser Orte wie ihre Westentasche. Um Zeit zu sparen, hat Li alle kampffähigen Jade Blades aus dem Quartier an den nördlichsten dieser Bereiche gelotst. Li weiß um die Theatralik und Wirksamkeit direkter Kommunikation, selbst in einer Zeit, in der viele Menschen ihren Gegenüber überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Die Zeitwahl - für jeden Indonesier ein bedeutender Faktor in der Planung - scheint perfekt. Als Li und der harte Kern der Gang sich mit ihren Maschinen auf dem verwahrlosten Schulhof gruppieren, der von den kahlen Ruinen einer alten Schulanlage umringt wird, lassen die letzten Sonnenstrahlen Lis Gestalt in einer wirkungsvollen Pose erscheinen. Von den erhöhten Trümmern einer eingestürzten Barracke aus, führt er wortgewandt seine Rede an die versammelte Truppe. Sogar Hery, der jüngste Novize, ist anwesend, was Li wohlwollend zur Kenntnis nimmt.

Nach der kurzen, aber feurigen Rede, sind die Jade Blades zum Kampf bereit. Rasch breitet sich die Dunkelheit über dem Sprawl aus, doch Li erkennt an der Haltung der Ganger, dem Leuchten in ihren Augen und der unnatürlichen Stille, welche die Gruppe erfasst hat, dass jeder Einzelne von ihnen, den Jade Blades in dieser Nacht Ehre bereiten wird. Als Li von den Trümmern herabsteigt, kommt Yon auf ihn zu. Der kräftige Halb-Chinese, der sich die Verteidigung des Quartiers zur Lebensaufgabe gemacht hat, senkt vor Li den Kopf. Genau wie die anderen, so ist auch er in voller Montur angereist.

"Ich bitte darum, den Frontalangriff auf das Rising Sun führen zu dürfen."

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Die Jade Blades fahren einzeln oder in kleinen Gruppen. Jakartas Straßennetz ist dermaßen verflochten, dass es stets etliche Wege zu einem Ziel gibt. Li hat es sich und seiner Gruppe vorbehalten, die Schnellstraße in Richtung Jakarta Pusat zu nutzen, während Yon den weitaus größeren Teil der Gang über die weit verzweigten Nebenstraßen nach Norden führt. Als die Schnellstraße ansteigt und auf ihren massiven Fundamenten über das reguläre Straßennetz hinweg führt, kommen die mannigfaltigen Lichter des Kerns in Sicht. Li und die anderen erblicken bereits aus Kilometern Entfernung das hochaufragende National Monument inmitten des Sprawl. Die starre Säule und ihre goldene Flammenspitze werden von einer eindrucksvollen Schar blauer Scheinwerfer illuminiert, welche den bunten Neonreklamen und AR-Tags des Zentrums Konkurrenz machen. Riesige Gebäudekomplexe und Hochhäuser säumen Jakartas Skyline und bilden wegen des Kontrasts zu älteren Gebäuden, wie der gewaltigen Istiqlal Moschee, einen einzigarigen Anblick. Die beiden verspiegelten Türme der Bank of Indonesia ruhen neben der imposanten Arjuna-Statue, die den Helden auf einem etliche Meter langen Streitwagen zeigen, während sich entlang der großen Verkehrsknotenpunkte eine Shopping Mall nach der anderen reiht.

Jenseits des Zentrums bietet die Jalan Gaja Madah eine zentrale Achse in Richtung Nordteil des Sprawl. Die weitläufige Straße besteht zu beiden Seiten eines Kanals, der sich von Süden nach Norden erstreckt und über etliche Brücken Querverbindungen herstellt. Vorbei am traditionellen Hafen mit seinen Schiffskuttern und den unter dem elektrischen Licht kampierenden Fischern und Seeleuten, schwenken die Jades Blades nach links aus und betreten ein Areal großer Lagerkomplexe und überwiegend japanischer Konzernanlagen, welches letztendlich in den Raffinerie- und Industriekomplex an der Küste übergeht. Nichts sagende Bürogebäude thronen neben umzäunten Arealen mit Lagerhallen und Depots. Der Strom an Fahrzeugen hat ein wenig nachgelassen, aber wie der Großteil der Orte im Sprawl, ist es auch hier nicht wirklich menschenleer.

Das Rising Sun liegt inmitten der eher ruhigen Lagerkomplexe, ist damit aber keine Ausnahme. Zahlreiche kleinere Bars und Clubs haben hier ihre Nische gefunden, um die zahlreichen Hafenarbeiter, Seeleute und ausländischen Angestellten zu befrieden. Die Dominanz der japanischen Kultur zeigt sich in dieser Region durch die japanischen Schriftzeichen auf den Neonreklamen und die vielen japanischen Namen von Etablisments und Gebäuden. Hinter dem Rising Sun erstreckt sich der Personalparkplatz, der durch eine Schranke und eine 50cm hohe, gelb-schwarz gestrichene Betonbarrikade von der eigentlichen Straße abgetrennt ist. Die Straße ist relativ breit, da sie als Zubringer dient und von Transportern und Lastern benutzt wird, die von den Anlagen der japanischen Großkonzerne weiter nördlichen kommen. An einer Kreuzung in der Nähe erblicken die Jade Blades eine einfache Bushaltestelle, so wie man sie im überfüllten Sprawl zu Hauf vorfindet. Ein AR-Tag gibt Serviceinformationen preis, doch nach einem Fahrplan sucht man vergebens. Kein Verkehrsunternehmen könnte im Gewimmel von Jakartas Straßen schließlich die Pünktlichkeit seiner Fahrzeuge garantieren.

Ein alter Bus, ein metallenes Ungetüm von Fahrzeug, kommt mit einem quietschenden Surren zum Halten. Der Einkassierer hat sich bereits während der Fahrt an seiner Stange nach draußen gehangelt und die Lage ausgekundschaftet. Eine kleine Kohorte junger Japanerinnen in Miniröcken, aufreizenden Oberteilen und Stöckelschuhen verlässt den Bus und marschiert tuschelnd über die Kreuzung in Richtung Parkplatz des Rising Sun.

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Scheinbar unbemerkt vor der Gruppe junger Japanerinnen, beobachten die Jade Blades, wie die Frauen das Schrankensystem des Parkplatzes erreichen. Anscheinend handelt es sich bei ihnen um Mitarbeiterinnen des Rising Sun, die nun einen Schichtwechsel einleiten. An der Rückseite des Gebäudes öffnet sich eine Sicherheitstür, und kurze Zeit später betreten drei Männer den Parkplatz. Zwei von ihnen machen den typischen Eindruck von Sicherheitsleuten, obwohl sie keine offensichtlichen Waffen tragen. Der Dritte im Bunde trägt einen Anzug und wird von den beiden anderen flankiert.

Als die Dreiergruppe an der Schranke angekommen ist, öffnet sich diese, und die jungen Frauen verstummen und treten schweigsam, die Köpfe leicht geneigt, auf den Parkplatz.

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Als Yon Li das Signal übermittelt, dass der kombinierte Angriff der Jade Blades und der Nao Hsin Feng unmittelbar bevorsteht, lässt er seinen Blick über die kleine, aber erlesene Truppe schweifen, die sich um ihn versammelt hat. Die Motoren jaulen auf, als die Blades auf den Hintereingang losrasen, solange die Schranke noch geöffnet ist. Die Maschinen nehmen Fahrt auf, und über das Grollen der Motoren hinweg, sind von der anderen Seite des Gebäudes Schüsse zu hören.

Dann haben sie die Schranke passiert. Die jungen Japanerinnen kreischen, streben auseinander, um nicht zu Boden gerissen zu werden. Der Anzugträger wird von einem seiner beiden Bodyguards hinter eines der parkenden Autos gerissen, während der andere Mann, sich über die Motorhaube den daneben stehenden Fahrzeugs wirft und auf der anderen Seite in Deckung geht.

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Der Hintereingang springt auf, doch der Angriff der Jade Blades ist im Inneren nicht unbemerkt geblieben. Kaum hat Li die Türe aufgerissen, schießen ihm aus dem dahinter liegenden Korridor Kugeln entgegen. Die T-Kreuzung, drei Türenpaare vom Hintereingang entfernt gelegen, wird von zwei Japanern in schwarzen Anzügen verteidigt, von denen jeder eine der beiden Ecken als Deckung nutzt. Direkt neben Lis Kopf schlägt eine Kugel in das Metall des Hintereingangs und lässt sein rechtes Ohr taub werden. Noch ehe er reagieren kann, spürt er plötzlich den Aufschlag eines zweiten Geschosses in seiner Brust. Die Wucht presst ihm den Atem aus den Lungen, doch die Kugel vermag seine geschichtete Panzerung aus Overall und maßgeschneiderter Panzerung nicht zu durchdringen, so dass nur ein Bluterguss zurückbleibt.

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Den Schmerz ignorierend feuert Li in den Korridor, im Augenwinkel bereits Bomb und Spark ausmachend, die rasch nachsetzen. Kugeln schwirren durch die klimatisierte und von Parfum geschwängerte Luft, zerfetzen Panzerung und bohren sich in Fleisch und Muskelgewebe. Der gemeinsame Frontalangriff der Blades und Nao Hsin Feng scheint aufzugehen - die Sicherheitskräfte am Hintereingang kämpfen zwar mit loyaler Verbissenheit, sind aber nur unzureichend ausgebildet und ausgerüstet. Vielleicht liegt es aber auch wirklich am Überraschungsmoment, das sich die Jade Blades mit ihrem raschen Vordringen eindeutig verschafft haben.

Als Li und Bomb, Seite an Seite, in den Flur stürmen, liegen die beiden Japaner bereits Blut überströmt am Boden. Ungläubig haben sich noch vor wenigen Augenblicken die Augen des eines Mannes geweitet, als plötzlich - wie von Geisterhand - sein Partner die Waffe herumriss und auf ihn anlegte. Dann hat Lis nächste Salve das blutige Schauspiel beendet.

Der Korridor mündet in einer T-Kreuzung. Spark, der hinter Li und Bomb herschreitet, versucht, seinen astralen Rundgang in Gedanken zu rekapitulieren und gibt Li dann zu verstehen, dass er glaubt, das Treppenhaus würde in linker Richtung liegen. Als Li, die goldene Uzi im Anschlag, um die Ecke blickt, entdeckt er weitere geschlossene Türenpaare. An den purpurnen Wänden hängen große, mit Mustern versehene japanische Fächer. Eine der Türen auf der rechten Seite, eine traditionelle shoji-Schiebetüre, ist zur Hälfte geöffnet. Eine junge Frau im Kimono steht wie angewurzelt im Türdurchgang, den Blick ihrer angsterfüllten Augen auf die Leiche an der T-Kreuzung gerichtet, bevor sie ihn schließlich hebt und damit auf Lis Blick trifft.