[IP] Electric Dreams

  • -385-


    Croaker blickte ernst auf den Boden, dann hob er den Kopf, sah Weis Schwester und Yu an.


    Es tut mir leid sagte er mit ruhiger, ernster Stimme, ich wünschte, wir hätten mehr tuen können.


    Er wirkte jetzt, nachdem der Stress des Kampfes von ihm abfiel, ruhig, beherrscht, davon, dass er eben noch um sein Leben gekämpft und den Tod von zwei Menschen verursacht hatte, war nichts zu bemerken.


    Eher erschien er wie ein Arzt oder Bestatter, irgend jemand, der ständig mit Hinterbliebenen redet und sich dabei eine Art des Umgangs mit dem Tod angewöhnt hat, die ruhig und professionell wirkt, ohne Kälte auszustrahlen.


    Ich möchte niemanden hetzten, aber...bei dem Lärm, den der Kampf verursacht hat, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Polizei hier auftaucht.
    Wir sollten uns beeilen, hier wegzukommen.
    Vieleicht ist es besser, wenn Du...entschuldige, ich weiß Deinen Namen gar nicht
    .


    Er gab Weis Schwester einen Moment Zeit, sich vorzustellen, sich selbst stellte er als Bernard vor, dann fuhr er fort.


    Wenn Du möchtest, können wir Dich bei Yu und seinen Leuten absetzen.
    Sie können vieleicht besser für Deinen Schutz sorgen.
    Wir werden gleich einen Arzt aufsuchen müssen, damit sich jemand um die Verwundeten kümmert.

  • -396-


    Die junge Frau hat eure Worte still zur Kenntnis genommen, aber nicht darauf geantwortet. Ihr Blick geht an euch vorbei ins Leere - in eine Leere, in der Wei vielleicht noch am Leben gewesen wäre. Es hat nicht den Anschein, als würde sie euch für irgendetwas die Schuld geben, doch Angesichts des Schock, unter dem sie immer noch zu stehen scheint, ist es für euch auch nicht weiter verwunderlich, dass sie euch weder ihren Namen genannt, noch irgendetwas dazu gesagt hat.


    Stumm kommt ihr nach draußen. Azrael ist noch einmal zum Hinterhof zurückgekehrt, um die Granate scharf zu machen, die er bei einem der Triaden-Soldaten gefunden hatte. Als er als letzter in den Van steigt, in dem ihr bereits auf ihn gewartet habt, grinst er teuflisch und zählt dann die Sekunden runter, gleich einem Countdown. Als seine Zählung bei Null angekommen ist, erzittert die Straße, und eine Detonation ist zu vernehmen, die wie von den Dächern der alten Häuser zurück zu schallen scheint, als der schmale Innenhof das Echo der Explosion nach oben hin reflektiert. Dann fahrt ihr los. Schon bald seit ihr wieder in Kowloon, während die Geschichte mit Wei fast schon surreal in eurem Kopf herumspuckt. Azrael scheint überhaupt nicht mehr ansprechbar zu sein. Von einer auf die andere Sekunde sinkt sein Kopf nach unten, obwohl es nicht der Schmerz zu sein scheint, der ihn quält. Auch auf Anfragen seiner Kollegen hin, gibt er keine Reaktion von sich, hockt stattdessen einfach nur schlaff in seinem Sitz und verharrt dort regungslos - selbst das nervenaufreibende Fingerklopfen bleibt aus.


    "Tao teilt mit, dass bei ihnen alles ruhig ist."


    Durchbricht Yus Stimme das Schweigen im Wagen - dann biegt der Van auch schon in die alte Tiefgarage vor der Schattenklinik ein.
    Yu gibt euch ein Zeichen, dass er hier zusammen mit Weis Schwester auf euch warten wird, während ihr den Wagen verlasst und zum Eingang hinüber geht. Das grellweiße Neonlicht der Tiefgaragen-Beleuchtung brennt sich unsanft in eure Wahrnehmung, als ihr die wenigen Meter bis zum Haupteingang der Klinik zurücklegt.

  • -397-


    Im Inneren der Klinik erwartet euch mattes weißes Licht aus altertümlichen Neonröhren. Die Angestellten, eingehüllt in ihre weißen Kittel, sind verschwiegen, nicken meistens nur, wenn sie etwas gefragt werden. Die Inneneinrichtung hat bereits bessere Tage gesehen, die Rezeption ist alt, die darin integrierte Konsole wird vermutlich nicht mal mehr produziert. Ein schmaler kleiner Chinese huscht vor euch über den abgewetzten Bodenbelag, führt euch zu einem der Behandlungsräume, in dem euch ein korpulenter Mann mit weißem Kittel erwartet. Als ihr euch umblickt könnt ihr einen blick auf die medizinischen Geräte werfen. Sie sind sicherlich nicht SOTA, scheinen aber sauber und intakt. Ohne sich vorzustellen, nur mit einem Nicken grüßend, stülpt sich der Straßendoc ein neues Paar Handschuhe über und deutet auf eine Liege im Zentrum des Raumes. Zuerst schaut er sich die Schussverletzungen an, dann kümmert er sich um die Blessuren und Kopfschmerzen der anderen.

  • -398-


    Die Pflegerinnen erlauben Lak freundlicherweise die Personaldusche zu benutzen. Nachdem sie sich fast eine halbe Stunde geduscht und das Blut aus den Haaren gewaschen hat kehrt ihre innere Ruhe zumindest ansatzweise zurück. Sie zieht sich um (im Koffer findet an sauberer Wäsche neben ihrer schwarzen Hose leider nur noch ein blaues T-Shirt mit einer lachenden Sonne darauf) und zieht die ebenfalls gereinigte modische Panzerweste darüber.
    Nachdem sie ihre Haare getrocknet hat schaut sie nach ob es ihren Freunden besser geht.

    Charaktere können auch nach der Charaktererschaffung schwanger werden, allerdings erhalten sie dadurch keinen Karmabonus.
    (Schattenhandbuch 2, Seite 165)

  • -399-


    Croaker wartete im Eingangsbereich, zwischendurch ging er ein oder zwei mal kurz nach draußen, unter dem Vorwand, eine Zigarette zu rauchen, eigentlich aber eher, weil ihn die Vorstellung, dass Weis Schwester hier im Wagen saß, statt bei den Waves, nerös machte, er das Gefühl nicht los wurde, für die Triaden eine Zielscheibe zu sein.


    Schließlich nahm er wieder Platz, durchsuchte die Playlist seines Komlinks, konnte aber nichts finden, was er jetzt hätte hören wollen, klickte sinnlos in den Menüs herum und entschloss sich irgendwann, besser auf den Linoleumboden zu starren, was er aber auch nur eine Minute durchhielt, bevor er zu nervösem Herumlaufen überging.


    Schließlich kam Lak wieder zurück und er informierte sie kurz darüber, wie es den Anderen ging.


    Wie siehts bei Dir aus?
    Wieder okay soweit?
    Angesichts der Umstände, meine ich.

  • -400-



    Wie siehts bei Dir aus?
    Wieder okay soweit?
    Angesichts der Umstände, meine ich.


    Lak setzt sich neben den Schmanen auf die Bank die in dem Äquilvalent eines Wartezimmers steht. Sie schau in nicht direkt an als sie leise antwortet:
    "Khop Khun ka, Croaker. Gut das wir immer noch vollzählig sind. Ich... Ich habe einen Menschen getötet. Es war notwendig. Aber es war falsch.


    Ich will jetzt heraus finden warum so viele sterben mussten. Wir müssen dem Kreislauf des Todes entkommen."

    Charaktere können auch nach der Charaktererschaffung schwanger werden, allerdings erhalten sie dadurch keinen Karmabonus.
    (Schattenhandbuch 2, Seite 165)

  • -401-


    "Khop Khun ka, Croaker. Gut das wir immer noch vollzählig sind. Ich... Ich habe einen Menschen getötet. Es war notwendig. Aber es war falsch.


    Ich will jetzt heraus finden warum so viele sterben mussten. Wir müssen dem Kreislauf des Todes entkommen."


    Dem entkommt man nicht, Mädchen.
    Egal, das will sie jetzt sicher nicht hören.


    Croaker blickte an Lak vorbei in Richtung der Behandlungsräume, in denen gerade ihre Teamkollegen versorgt wurden.
    Nach einem Moment Stille antwortete er ruhig :


    Dir ist klar, dass wir aus diesem Kreislauf nicht ohne Gewalt herauskommen, oder?
    Wir sind da mit reingezogen worden, ohne uns das aussuchen zu können.
    Wenn wir dem ein Ende machen wollen, werden wir weiter Dinge tuen müssen, die uns nicht gefallen, die gegen unsere Überzeugungen gehen.


    Wenn nicht, werden wir die Nächsten sein, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren.


    Er atmete schwer aus, schien sich auch alles Andere als wohl in dieser Situation zu fühlen.


    Ist ein verdammtes Drecksgeschäft, ich bin froh, wenn ich mit dem Job hier fertig bin und mich um andere Dinge kümmern kann...aber das hilft uns jetzt ja leider auch nicht.


    Er stand auf und ging zu einem Automaten an der Wand gegenüber und meinte über seine Schulter hinweg :


    Auch nen Kaffee?
    Ich weiß, es ist etwas spät dafür, aber zum Schlafen werden wir wohl nicht so bald kommen, glaube ich.


    Er studierte kurz das Bedienfeld des Automaten, überlegte, die Hand ans Kinn gelehnt, fuhr kurz, in Gedanken, über die frischen Bartstoppel, verzog nachdenklich das Gesicht und bemerkte dann sie haben auch Tee, als sei das etwas Außergewöhnliches.

  • -402-


    Lak war überrascht - scheint es doch so als versucht der zynische, nicht gerade als Menschenfreund bekannte, Croaker sie aufzumuntern. Zumindest vermutete sie das er so was bezwecken wollte.
    Dies zaubert nun doch wieder ein Lächeln auf ihr Gesicht.


    „Ja, Tee ist hier das Nationalgetränk. Aber ich werde auch lieber dein freundliches Angebot mit dem Kaffee annehmen.“
    Nach einigen Schlucken der stark gezuckerten Koffeinbombe klärt sich auch ihr Verstand wieder und beginnt zu grübeln.
    Vielleicht hilft es ihre Gedankengänge mit Craoker zu teilen.


    „Du hast natürlich Recht, dass wir nun kämpfen müssen. Kämpfen oder untergehen. Wenn du mit magischen Mitteln unseren Gefangenen zur Kooperation überzeugen kannst ist das gut. Ansonsten müssen wir zu anderen Mitteln greifen.
    Aber lass uns erst mal überlegen was wir schon wissen.“


    Croaker trinkt einen Schluck und hört aufmerksam zu.


    „Nicole Smith, Tochter aus reichem Hause, verbringt einige Zeit unter der Obhut vor Mr Chan, dem Geschäftsfreund von Mr Smith.
    An Tag ihrer Heimreise ist sie verschwunden. Mr Smith schickt keine 24 Stunden später ein Shadowrunnerteam aus Seattle auf die Suche.
    Warum? Traut er Mr Chan nicht?


    Mr Chan berichtet uns von Nicoles Verbindungen zu den Electric Waves.
    Möglicherweise weiß er von ihrem Verhältnis zu Yu aber da er sein Gesicht waren muss darf Mr Smith dies nicht erfahren.


    Wir hingegen fahren zu den Waves und werden fast umgebracht!


    Warum? Wenn unsere Angreifer die Triaden sind, für wen halten sie uns?


    Durch unseren Freund Dexter erfahren wir das Mr Chans Assistent Ao für den Javanischen Botschafter arbeitet. Oder zumindest zusammenarbeitet. Wo ist da der Zusammenhang? Handelt Ao in Mr Chans oder Soedarnos Namen oder auf eingene Faust?


    Klar ist nur das die Triaden die Waves auslöschen wollen.
    Warum? Was haben die Waves getan?


    Aua. Langsam bekomme ich von den vielen WARUMs Kopfschmerzen!“

    Charaktere können auch nach der Charaktererschaffung schwanger werden, allerdings erhalten sie dadurch keinen Karmabonus.
    (Schattenhandbuch 2, Seite 165)

  • -403-


    Ich werde das Gefühl nicht los, dass uns nicht nur unser Triadenfreund einige Antworten schuldet, sondern auch die Waves.
    Nur, dass es mir schwerer fallen dürfte, die zum Reden zu bringen.


    Er nahm noch einen Schluck Kaffe, dann fuhr er fort.


    Ao.
    An den müssten wir rankommen.
    Dass Chan da mit drin steckt, würde ich gar nicht mal behaupten.
    Nicht, dass ich das ausschließen will.
    Aber Ao kam mir direkt merkwürdig vor.


    Fragt sich nur, was die Javaner mit den Triaden zu tuen haben- und wie Nicole da rein passt.


    Ihm schien ein neuer Gedanke zu kommen.


    Was, wenn Ao und die Javaner gar nichts damit zu tuen haben?
    Haben wir überhaupt irgend einen Anhaltspunkt dafür?
    Sicher, wenn man zwei so bemerkenswerte Entdeckungen macht, dass auf ein mal die Triaden hinter uns her sind und dass Chans Assistent noch andere Geschäfte tätigt, kommt man leicht auf den Gedanken, dass sie unter einer Decke stecken.


    In unserem Berufszweig ist man ja traditionell paranoid.


    Aber selbst, wenn es eine Verbindung gibt-


    Er stand auf, begann, auf und ab zu laufen, mehr mit sich selbst als mit Lak redend, mit den Händen durch die Luft fahrend.


    -das heißt nicht- er blickte kurz zu Lak hinüber, der Gedanke, den er jetzt ausführte, schien ihm wichtig zu sein -das heißt nicht automatisch, dass die Triaden und die Javaner auf einer Seite stehen.
    Vieleicht geraten wir hier gerade zwischen die Fronten von irgend etwas, das wir überhaupt nicht verstehen.
    Das würde erklären, warum uns die Triaden angreifen.
    Weil wir für Ao arbeiten, in seinem Wagen unterwegs sind.
    Das können wir nicht ausschließen.


    Verdammt, wir wissen gar nichts darüber, was hier vorgeht.


    Uns fehlen mindestens zwei, vieleicht drei oder mehr Puzzlestücke, um irgendwelche wirklich begründeten Vermutungen anstellen zu können-




    -was ist mit Nicole, wie ist das Verhältniss zwischen den Triaden und den Javanern und wer von denen hat Nicole entführt -wenn sie entführt wurde, wir wissen ja nicht mal das.

  • -404-


    Croaker hat Recht. Sie wissen geradezu tödlich wenig. Aber Ao spielt sicherlich eine Schlüsselrolle. Was sagte der Chinese noch zu Ao, als dieser in das Javanische Diplomatenauto steigen wollte?


    Lak spielt nocheinmal Dexters Aufnahmen ab.


    Chinese: Sag deinem Boss wir sind draußen... Er soll sich andere Leute suchen.


    Ao: Das ist bedauerlich, aber ich werde es ihm ausrichten.


    "Mit dem Boss wird wohl Mr Chan gemeint sein. Ich denke wir sind uns einig zu Mr Chan vorerst keinen Kontakt mehr herzustellen. Solange wir nicht wissen was gespielt wird.


    Wir sollten jedoch überlegen ob wir Mr Smith über unsere Erkentnisse infomieren. Irgendwie hat er ein Recht dazu, auch wenn wir praktisch nichts vorzuweisen haben.
    Natürlich solten wir im ganzen Team darüber entscheiden."

    Charaktere können auch nach der Charaktererschaffung schwanger werden, allerdings erhalten sie dadurch keinen Karmabonus.
    (Schattenhandbuch 2, Seite 165)

  • -406-


    Lak und Croaker haben ihre - von Unsicherheiten und paranoiden Gedanken geprägte - Diskussion gerade beendet, als sie doppelflügige Tür zur Schattenklinik vor ihnen aufgleiten sehen. Yu und Weis namenlose Schwester treten von der Tiefgarage in den Warteraum und schauen zu ihnen hinüber, als sie die Beiden entdeckt haben.


    "Ich dachte mir, etwas zu trinken wäre vielleicht nicht schlecht... ."


    Macht Yu den Anfang und schaut dabei Weis Schwester an, die apathisch nickt. Er stellt sich neben Croaker an den Automaten und bestellt sich zwei Soykaf, von denen er einen an die junge Chinesin weiterreicht.
    Dann richtet sich sein Blick auf die Runner.


    "Wie sieht es aus? Können wir bald aufbrechen?"

  • -407-


    Lak beendet vorerst das Gespräch mit Croaker als Yu dazukommt. Wei's Schwester wirkt immer noch nicht ansprechbar.


    "Wie sieht es aus? Können wir bald aufbrechen?"


    "Natürlich, sobald Azrael fertig ist. Wir haben gerade darüber gesprochen, daß wir schnell herausfinden müssen was hier vorgeht. Ob es einen Zusammenhang zwischen Nicoles Verschwinden und dem Angriff auf deine Gang gibt.
    Sobald ich die Gelegenheit habe werde ich mal in der Matrix von einigen Chinesischen und Javanischen Bekannten recherchieren.
    Vielleicht kann uns auch unser "Gast" weiterhelfen, aber bei der strengen Rang-Hirachie der Triaden dürfte er wohl wenig wissen.".

    Charaktere können auch nach der Charaktererschaffung schwanger werden, allerdings erhalten sie dadurch keinen Karmabonus.
    (Schattenhandbuch 2, Seite 165)

  • -409-


    Nachdem Mike und Azrael wieder zur Gruppe gestoßen sind, seit ihr wieder vollzählig. Erneut kehrt ihr dem Chop-Shop den Rücken und hofft, nicht noch einmal hierher kommen zu müssen.


    Langsam gleitet der Van aus der Tiefgaragenauffahrt in das kahle Grau Kowloons hinein. Nach einiger Fahrt, die ereignislos an euch vorüber gezogen ist, erkennt ihr die alten, niedergerissenen Maschendrahtzäune wieder, welche das Areal der Waves umgeben.


    Yu nimmt Kontakt mit Tao auf, um eure baldige Ankunft anzukündigen. Während der Wagen langsam unter das Wellblechdach vor der rostigen Hallenfassade rollt, könnt ihr durch die Windschutzscheibe bereits Taos Gestalt erkennen, die sich vorsichtig aus den Schatten heraus schält und mit der Sturmschrotflinte im Anschlag den Eingang sichert.


    Yu steigt als erster aus, seine Schuhe knirschen im Kies.
    Die Beiden werfen sich ein Nicken zu, dann geht Tao an dem Van vorbei in Richtung Heck, um euch zu decken. Nacheinander verlasst ihr den Wagen und begleitet Yu ins Innere der Halle.
    Miu hockt auf einem der alten Krankenhausbetten, die Beine leicht über dem Boden baumelnd. Anscheinend geht es ihr bereits besser, wenn sie auch immer noch einen erschöpften Eindruck auf euch macht.

  • -410-


    Als sie sicher wieder bei den Waves angekommen waren, nahm sich Mike kurz Tao zur Seite:
    "Wir bräuchten mal einen etwas abgelegenen, blick- und möglichst auch schalldichten Raum. Wir haben einen Gefangenen, von dem ich endlich ein paar Antworten haben will."


    Tao nickte daraufhin, und zeigte ihm einen kleinen fensterlosen Anbau an die Halle, der zumindest weit genug von den anderen entfernt lag, dass man Schreie vermutlich nicht hören würde. Mike besorgte sich noch einen Stuhl und trug dann den immer noch gefesselten und geknebelten Triaden-Schläger in den Raum. Dort nahm er ihm die Augenbinde wieder ab, ließ den Knebel aber vorerst an Ort und Stelle.


    Croaker hatte ihn begleitet, während Lak ihrem treiben mit steigendem Entsetzen und wohl auch Schrecken zugesehen hatte. Dass etwas notwendig war, machte die Sache für sie anscheinend keinen Deut besser. Mike vergewisserte sich, dass die Tür sicher verschlossen war und niemand der Waves in der Nähe war, dann begann er das Verhör.
    Der Mann schien ihn wiederzuerkennen, was er an dem leichten Weiten seiner Augen ablas. Nachdem Croaker ihm kurz vorgeführt hatte, dass er ihn wie eine Marionette beherrschen konnte, hatte Mike dem Asiaten anhand einer verwitterten Blechdose klargemacht, was ihn erwartete, wenn er nicht kooperierte. Seine künstliche linke Hand hatte die Dose mühelos zerquetscht, bis sie nur noch ein winziger Würfel war. Ein kurzer prüfender Druck auf den kleinen Finger des Mannes im Anschluss reichte, um ihm klarzumachen, was ihn bei fehlender Kooperation erwartete ...

  • -411-


    Nachdem Croaker den Triadensoldaten ein oder zwei Minuten lang durch den Raum hatte stolpern lassen, inklusive einem unsanften Aufeinandertreffen mit einer der Wände, hatte er ihn auf den Stuhl zurück bugsiert und hielt weiter seine Kontrolle aufrecht, um ihn an Ort und Stelle zu halten.


    Als Mike auf den kleinen Finger des Mannes blickte, fuhr dessen Hand ruckartig nach oben, ballte sich zur Faust und streckte Mike dann den kleinen Finger entgegen.


    Du meinst also, uns verarschen zu können.
    Du meinst, Ihr könnt uns überfallen, versuchen, uns umzunieten, unsere Freunde abknallen und uns auf jede andere erdenkliche Art auf den Sack zu gehen und wir lassen uns das gefallen, ja?


    Du kleiner Pisser.


    Glaubst Du, damit durchkommen zu können?
    Glaubst Du, wir lassen uns das bieten?

  • -412-


    Mikes Kraftdemonstration war an dem angeschlagenen Chinesen nicht spurlos vorüber gegangen, obwohl dieser damit kämpfte, absolut eisern zu bleiben. Auch die Gefahr, welche von Croaker ausging, schien der Mann abschätzen zu können, hatte er doch in einem Sprawl wie Hong Kong, sicherlich schon des öfteren mit Magie zu tun gehabt.
    Für den ersten Moment sah es demnach auch tatsächlich so aus, als würde der Typ gleich auspacken; doch nachdem Croakers bissige Anschuldigungen verklungen waren, schien der Mann ein wenig seiner Fassung zurück zu gewinnen und zeigte euch das standardisierte asiatische, nichtssagende Grinsen, welches angesichts einer solchen Situation als noch gröbere Beleidigung aufgefasst werden konnte, als hätte der Mann euch verflucht. Dann spuckte er in Mikes Gesichts, welcher noch immer - den Finger umfassend - vor dem Stuhl stand.

  • -413-


    Nachdem Croaker und Mike mit dem bemitleidenswerten Chinesen im Schlepptau in einen anderen Teil des Gebäudes verschwunden waren, blieb Azrael noch einige Sekunden lang fast regungslos im Eingangsbereich stehen. Dann schüttelte er plötzlich den Kopf und atmete tief durch - was er allerdings sofort bereute, als Schmerzen von den nicht viel mehr als notdürftig behandelten Schusswunden in seinem rechten Brustbereich durch sein Bewusstsein zuckten. Es kostete ihn einiges an Willenskraft, diverse Flüche in seinen Gedanken zu halten und nicht laut auszusprechen, aber nach einem kurzen Schließen seiner Augen und einem erneuten, diesmal vorsichtigeren Durchatmen, hatte er sich fürs Erste wieder unter Kontrolle.


    Er ließ seinen Blick durch die Halle schweifen, sah Yu und Weis Schwester bei ein paar der übrigen Waves stehen und beschloss spontan, dass er keine Lust hatte, sich in deren Gesprächsrunde einzumischen. Bestimmt ging es sowieso nur darum, was für ein guter Kerl der alte Wei doch eigentlich gewesen war und wie sehr man ihn doch vermissen würde - das übliche Zeug eben, bei dem er als Außenstehender sowieso nicht sinnvoll mitreden konnte. Erst als er auf der anderen Seite der Halle Miu entdeckte, die auf einem der Betten saß und relativ gelangweilt wirkte, hellte sich seine Miene wieder auf.
    Mit etwas müderen Schritten als sonst, aber dennoch so würdevoll wie möglich, schleppte Azrael sich in Mius Richtung, nickte ihr im Näherkommen zu.


    "Hey... Wieder alles okay bei Dir...?"


    Er setzte sich auf das ihr gegenüber stehende Bett, ließ sich seitlich auf den Ellenbogen fallen und blickte, auf ihre Antwort wartend, zu Miu herüber.

  • -414-


    Miu hatte den näher kommenden Elf erst bemerkt, als dieser sie angesprochen hatte. Vorher war ihr Blick von ihren baumelnden Beinen in Richtung des alten Fußbodens und wieder zurück gewandert.


    Sie lächelt als Azrael sie anspricht und sich auf das gegenüberliegende, alte Krankenhausbett fallen lässt.


    "Es geht mir besser, danke der Nachfrage."


    Sie schweigt kurz, erwähnt Wei aber mit keinem Wort. Als Azraels Blick auf ihr Bein fällt, geht es ihm durch den Kopf, dass sie immer noch Schmerzen haben muss - dennoch ist ihr nichts davon anzumerken. Ihr hübsches Gesicht ist völlig entspannt, ohne das auch nur der Hauch von etwas, das man Schmerz nennen könnte, darauf zum Vorschein kommt. Sie schweigt noch immer, doch ihre dunklen Augen, die ihn nun anschauen, wirken in einer gewissen Hinsicht seltsam vertraut: Sie beide waren mit einer eisernen Willenskraft gesegnet, doch manchmal, so schien es, entglitt ihnen auch beiden die Kontrolle über sich selbst. Unbewusst denkt Azrael dabei an die Rückfahrt im Van; die Nachwirkungen seines Verlangens hatten eine Welle negativer Emotionen über ihn hereinbrechen lassen. Niemand hatte ihn später darauf angesprochen - worüber er nur froh war - und doch wusste er genau, dass es nicht das letzte Mal gewesen sein würde.
    Miu lächelt wieder. Auch wenn sie nicht wissen kann, woran Azrael gerade gedacht hat; irgendwie scheint sie ihn zu verstehen, und solche Momente sind selten, wie er ganz genau weiß.