Sonnenaufgang in Miami Beach. Auf dem blühenden Dachgarten des „Imperial“ durchlief Colin Rhys-Monroe in perfekter Harmonie von Aura und Körper die Kata seines morgendlichen Trainigsprogramms. Die Bewegungen des hochgewachsenen Elfs wirkten fast unnatürlich fließend, als er förmlich über den weichen Rasen glitt und Schläge, Ellbogenstöße und Tritte auf nicht vorhandene Gegner niederhageln ließ. Dann wieder zuckten eine bedrohliche Ares Predator IV und eine kompakte Ingram Smartgun X in seine geschickten Hände, wirbelten herum, visierten imaginäre Ziele an und verschwanden wieder in den Schnellziehholstern. Nach fast einer Stunde des Trainings in meditativer Konzentration verlangsamte er seine Bewegungen, bis er schließlich mit an den Seiten herabhängenden Armen zum Stehen kam.
Noch einige Sekunden genoß er das entspannende Rauschen des Meeres, nur leise war im Hintergrund das erwachende Miami zu hören, dann drehte er sich zu der zierlich wirkenden Trollin um, die bereits minutenlang auf der beinahe meterhohen steinernen Brüstung des fünfstöckigen weißen Gebäudes saß. Tina Monroe, seine Cousine, war eine der atemberaubensten Frauen, die ihm je begegnet war. Ihr langes schwarzes Haar floß über ihre Schultern und beiläufig strich sie sich eine Strähne aus dem hinreißenden Gesicht mit den himmelblauen Augen. Sie lächelte ihn an und zeigte dabei die süßen trolltypischen Eckzähne. Sein Herz schlug schneller, als er bewundernd ihr strahlend weißes, und ausgesprochen kurzes, Strandkleid betrachtete. Es paßte perfekt zu ihrer milchkaffeebraunen Haut.
„Na? Fertig?“ Tinas helle Stimme klang amüsiert. Die Röte stieg ihm ins Gesicht als er begriff dass sie nicht sein Training gemeint hatte. Verlegen strich er sich durch das strubbelig gestylte nachtschwarze Haar und nickte. „Wie wäre es dann mit Frühstück?“ fragte sie. Colin sog noch einmal tief die frische Morgenluft Miamis ein und nickte erneut. „Gerne.“
Er folgte ihr durch die doppelflügelige Glastür in das geräumige Innere des vollständig aus Glaswänden bestehenden Dachgeschoßes. Die von außen verspiegelten Scheiben in Verbindung mit den sich langsam drehenden Deckenventilatoren hielten die Temperatur jedoch frühmorgens noch auf sehr angenehmem Niveau, ohne die Klimaanlage bemühen zu müssen. Sie gingen die breite Steintreppe im Kolonialstil hinab in das eigentliche Penthouse des „Imperial“, einer der angesagtesten Szene-Strandbars in Miami Beach, die abgesehen von einer breiten Strandpromenade auch die beiden unteren Stockwerke des Gebäudes beanspruchte.
Colin bewohnte das Penthouse zusammen mit seiner Halbschwester Sung Hi Rhys seit ihrem gemeinsamen Umzug aus der Freien Unternehmenszone Hong Kong vor einigen Wochen. Die erst kürzlich abgeschlossene Renovierung des bisher ungenutzten Stockwerkes hatte einen Großteil ihrer beider Ersparnisse verschlungen, aber das war es wirklich wert gewesen.
Aus der offen stehenden Tür zu Sung His Arbeitszimmer war leise ein Song von Maria Mercurial zu hören, als sie den gemütlich eingerichteten zentralen Wohnraum durchquerten. Die gertenschlanke Elfe mit den familientypisch nachtschwarzen zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren saß mit geschlossenen Augen in ihrem bequemen Ledersessel und ging bereits in der Matrix ihrem Business nach. Colin fand es immer wieder bemerkenswert wie problemlos Sung Hi ihr komplexes Netzwerk als international operierende Informations- und Waffenschieberin von Hong Kong in die sonnige Karibische Liga verlegen konnte.
In der modernen weißen Küche angekommen, ließen sich Tina und Colin auf den stabilen Barhockern aus Edelstahl an der bereits mit Cappuccino und frischen Croissants beladenen Theke nieder und frühstückten in angenehmem Schweigen.
„Du“, meinte Tina schließlich nach einigen Minuten. „Ich bin heute eigentlich den ganzen Tag für die Organisation der Beachparty ab 22.00 Uhr verplant. Aber ich… könnte sicher etwas Hilfe gebrauchen. So gegen 17.00 Uhr müßte alles vorbereitet sein. Was meinst Du?“ Sie neigte leicht den Kopf und schaute ihn aus erwartungsvollen Augen an. Fröhlich erwiderte er ihren Blick und sagte nur: „Alles klar.“