#4 – Arrow
„ … wenn das nächste Mal das Blitzlicht, Licht ins Dunkel bringt“. Doch diesen Satz nahm Arrow bereits kaum mehr wahr, als der Reporter auf dem wandmontierten superflachen Trideoschirm ausgeblendet wurde. Seine Aufmerksamkeit ruhte bereits wieder, wie so oft an diesem Morgen, auf der ausgesprochen hübschen und sehr jungen Kellnerin, die gerade anmutig am anderen Ende des Diners einem grazil wirkenden Elfen in italienischem Anzug, ein weiterer Stammkunde des „Manhattan“-Diners, einen Soy-Cappuchino servierte.
Arrow mochte das Ambiente der tagsüber sehr ruhigen Lokalität. Erst am Abend trafen sich hier die jungen Leute mit Konzernhintergund und dann wurde es schwer einen Tisch zu bekommen. Seit sie vor einigen Wochen nach Berlin gekommen waren, verbrachte Arrow häufig einen Teil des Tages im „Manhattan“, genoss den irgendwie nach Heimat schmeckenden Soykaf… und hatte es immer noch nicht fertig gebracht mit der jungen menschlichen Kellnerin, „Nina“ zeigte das ARO ihres Kommlinks an, mehr als die üblichen Höflichkeitsfloskeln zu wechseln. Na gut, es war nicht so, als hätte er ihre Zugangs-ID nicht schon lange gescannt.
Er verzog das Gesicht, als er daran dachte, was ihm seine kleine Schwester heute Abend vermutlich wieder einmal zu seiner vermeintlichen Unfähigkeit erzählen würde, Frauen anzusprechen, wenn sie ihm wirklich gefielen. Apropos. Arrow sendete eine Aktualisierungsanfrage an den im Kommlink seiner Schwester stationierten Agent. „Dani – Schule. Sicherheit: Check“, kam ohne wahrnehmbare Verzögerung die Rückmeldung.
Als Nina mit dem leeren Tablett zur Bar zurückkehrte, lächelte sie ihn mit strahlenden blauen Augen an. Arrow erwiderte das Lächeln fast automatisch. Ein Pferdeschwanz nachtschwarzer Haare ruhte über ihrem linken Schlüsselbein und zog seinen Blick für die Dauer eines Wimpernschlages magisch an, bevor er ihre schlanke Figur streifte, die von einem kurzen Rock und der dazu passenden Bluse hervorgehoben wurde, bis er schließlich verlegen aus dem Fenster blickte.
Regenwetter. Nun ja, auch das erinnerte ihn an Seattle. In der Panoramascheibe aus Sicherheitsglas spiegelten sich schwach seine Umrisse. Ein athletischer, schlanker Ork, Mitte Zwanzig, mit strubbelig gestylten schwarzen Haaren und dunklen, natürlich wirkenden Augen, gekleidet in lässige Jeans und einen bequemen Rollkragen-Pullover. Gutaussehend, sagte Mo ihm zumindest ab und an.
Arrow blickte gerade wieder auf, als sie durch die geräuschlos nach beiden Seiten aufgleitende Eingangstür kam. Maureen Mercer, genannt „Mo“, eine attraktive, menschliche Brünette mit kecker, nach oben gestylter Kurzhaarfrisur in körperbetontem Business-Kostüm. Dank ihrer stets aktiven Balanceverstärker glitt sie trotz der Pumps mit sehr hohen Absätzen und den im Eingangsbereich regennassen Bodenfliessen mühelos dahin. Auf dem Weg zu Arrows Sitzecke bestellte sie bei Nina in makellosem Deutsch einen Soy-Cappucino. Ihre Aussprache klang einen Hauch zu perfekt und deutete gerade deshalb auf eine sehr gute Sprachsoft hin.
Mo hatte sehr schnell nach ihrer gemeinsamen Ankunft in Berlin einen Job als Assistentin eines unabhängigen Finanzmaklers bekommen, welcher glücklicherweise keine unangenehmen Fragen über ihren Lebenslauf, und ihre natürlich gefälschte SIN, stellte. Selbstverständlich trug auch ihre sehr gute Ausbildung in den Bereichen Management und Financing dazu bei.
Im nächsten Augenblick setzte sie sich zu ihm und er klickte er auf der AR-Bedienkonsole, die in der Tischmitte eingelassen zu sein schien, den ebenfalls per Augmented Reality übertragenen Ton des Trideoschirms, weg.
„Na, hast Du sie heute angesprochen?“, fragte sie mit einem verschmitzten Grinsen, während sie ihm flink einen Keks vom Teller stibitzte. „Nicht schon wieder“, stöhnte er in Gedanken und verdrehte die Augen. „Na gut“, lächelte sie ihn amüsiert mit smaragdgrünen Augen an und futterte den Keks. „Und sonst?“
„Und sonst, habe ich heute wieder einige Posts in verschiedenen Berliner Schattenforen untergebracht. Ich denke, es sollte sich bald etwas Schattenarbeit finden, damit ich unser Haushaltskonto aufbessern kann…“ „Hoffe ich zumindest“, dachte er.