[IP] Electric Dreams

  • -570-


    Während der Meditation flattern Gedanken und Bilder wie Schmetterlinge durch Laks Geist. Gesichter von Freunden und Feinden, Orte von Singapur bis Seattle. Melodien und Matrixwelten.


    So ist sie nicht überrascht Pi Boi wiederzusehen.


    Sie befindet sich in Bangkok auf den Resten der zerstörten Krungthep-Brücke. Sie ragt hinter der Absperrung noch gut 30 Meter über den verseuchten Chao Phraya hinaus. Nachts saßen Boi und Lak gerne hier und betrachteten den nie endenen Verkehrsstrom auf der benachbarten Rama-III-Brücke, die man lieber um ein paar Fahrspuren erweiterte als die alte Krungthep zu sanieren.


    Boi lächelt Lak wie früher mit seinem Alles-wird-gut-Baby-Lächeln an. Der halb chinesisch/halb thailändische Elf trägt trotz der schwülen Hitze eine schwarze Motorrad-Lederkluft die er immer so cool findet. Er begrüßt Lak mit einem Wei-Gruß und öffnet dann seine Arme. Lak erwidert Bois Umarmung. Sie schließt die Augen und legt ihren Kopf an Boi's Schulter.


    "Phom khit tueng toe - ich habe dich vermisst Tirak."
    "Ich dich auch Boi. Warum musstest du sterben?"
    Die Erinnerungen an diese furchtbare Nacht kommen wieder in Laks Gedächnis.
    "Es tut mir so leid. Ich hätte auf dich hören sollen. Wie immer hattest du recht. Meine verdammte Gier nach dem allmächtigen Nuyen war schuld. Was soll ich nun als toter Runner mit Geld anfangen? Das war wohl das Chinesische-Zocker-Gen in mir. Ich habe unsere Zukunft verspielt. Die Zukunft für unsere Kin..."
    "Sssst. Niemand hat Schuld oder nicht Schuld" Unterbricht ihn Lak bevor sich das Gespräch in eine unangenehme Richtung entwickeln kann.
    "Es ist Schicksal. Unser Karma."
    "Drek, du bist echt weise geworden, Baby" antwortet Boi in seiner Hongkong-Gangster-Sprache.
    "Und hier in der Geisterwelt hört man so allerhand von dir. Du bist mächtig geworden. Glaub mir als Toter hört man so einiges während man auf die Wiedergeburt wartet."
    Laks magische Kräfte hatten sich in der Tat gesteigert, seit sie die Kurawas auf Java geschlagen hatten. Auch wenn sie Croakers Macht nie erreichen würde und noch immer keine Zauber sprechen konnte.

    "Ich wünschte ich könnte dir bei deinen Run zur Seite stehen, Schatz. Aber irgendwie geht das wegen irgendwelchen komischen kosmischen Regeln nicht."

    "Ich weiß. Du wirst immer ein Teil meines Lebens und meines Herzens sein. Doch ich muss lernen loszulassen. Aber ... "
    Aber dennoch freut sich Lak wenn sie noch einmal von Boi festgehalten wird. Auch eine Runnerin braucht manchmal eine Schulter zu anlehnen.

    Charaktere können auch nach der Charaktererschaffung schwanger werden, allerdings erhalten sie dadurch keinen Karmabonus.
    (Schattenhandbuch 2, Seite 165)

  • -571-


    Hamengku rümpft die Nase.


    "'Langhaariger Freund'... tzz... da hast du noch nicht meine Kumpanen aus der dritten Kompanie kennengelernt. Bei denen gibt es so einen merkwürdigen Brauch, sich nicht das Haar zu schneiden. Manche von denen sehen wirklich bizarr aus...
    aber zurück zum Thema: Antworten werden wir in Semarapura befinden, einer alten Königsstadt. Sie liegt südlich von hier. Wir können zum Fuß des Berges marschieren, dort gibt es einen Bus. Das würde mir gefallen... ich bin schon verdammt lange nicht mehr mit dem Bus gefahren... ist verdammt lustig... der hat so vier runde Runde Dinger, die das Reisen echt komfortabel machen. Das kannst du mir glauben."


    Hamengku scheint von seiner eigenen Idee sehr angetan zu sein und sein Schwanz wedelt aufgeregt hin und her.

  • -572-


    Hamengku hielt so einen Bus anscheind für ein mittleres Wunder. Da fragte man sich doch, was er die letzen knapp 200 Jahre getrieben hatte.


    "Deine Haare sind zumindest deutlich länger als meine paar Stoppeln!" erwiderte er mit einem grinden, bevor er fortfuhr "Ein Ausflug war zwar ncht so ganz das, was ich ursprünglich mal im Sinn hatte, aber warum nicht. Ich kann auch den Bus für uns beide bezahlen ..."


    Der Troll war zwar auf die Miene des Busfahrers gespannt, wenn Hamengku einstieg, aber irgendwie erwartete er nicht zuviel Verwunderung. Bali schien so sehr von Magie durchdrungen, dass sowas wahrscheinlich öfter orkam als in Seattle Sonnentage im Jahr. Er sammelte die Ausrüstung komplet ein, bevor er sich mit Hamengku an seiner Seite in Bewegung setzte. Per DNI verfasste er noch schnell eine Nachricht an die anderen Teammitglieder.


    << Sorry Leute, ich habe hier ein wenig merkwürdige Sachen erlebt. Mache noch einen Ausflug nach Semarapura. Hoffe dort noch einige Antworten zu finden. Sollte übers Comm erreichbar bleiben, falls sich was dringendes ergibt. Greetz, Mike >>

  • -573-


    "So soll es sein!"


    Hamengku richtet sich auf.


    "Es dauert nur einen Moment, dann bin ich reisefertig."


    Noch ehe Mike etwas erwidern kann, löst sich der Affe vor seinen Augen im wahrsten Sinne des Wortes in Luft auf und erscheint einen Augenblick später in der Gestalt eines Jungen von vielleicht 10 Jahren wieder.


    "In dieser Gestalt lässt es sich besser reisen. Weniger Fragen und Leute, die einem eine Banane andrehen wollen."


    Meint er mit seiner neuen, jungenhaften Stimme, aber einem Grinsen, das Mike mittlerweile vertraut ist.


    Nachdem Mike sich daran gewöhnt hat, dass Hamengku nun noch kleiner geworden ist, trottet der Troll neben dem Jungen her und verlässt die Schule. Es ist schon ein seltsames Bild, wie Mike, den kleinen Jungen an der Hand, auf den Bergpfad zurückkehrt und sich auf die Reise zu einer Bushaltestelle irgendwo im Nirgenwo macht.

  • -574-


    Die Busfahrt alleine ist für sich genommen bereits ein kleines Abenteuer. Zuerst hatte Mike nicht mehr damit gerechnet, dass auf der einsamen Landstraße, inmitten ausgedehnter Terassen-Reisfelder, noch ein Bus vorbei kommen würde, doch dann war tatsächlich ein alter Reisebus herangerollt und hatte auf Mikes Winken hin gehalten. Irgendwie war es Mike gelungen, sich durch die schmale Tür zu quetschen und niemanden zu erdrücken, als der Bus seine Fahrt wieder aufgenommen hatte.


    Dann sitzt Mike neben Hamengku auf der hintersten Sitzbank des Busses, während seine Beine mitten im Durchgang baumeln, da er sonst keinen Platz für sie finden kann. Doch niemand der anderen Fahrgäste scheint sich daran zu stören. Einige der Leute dösen in ihren Sitzen, während aus den anderen Sitzreihen angeregte Unterhaltungen auszumachen sind. Irgendwann während der Fahrt schlendert ein junger Balinese mit einem übergroßen T-Shirt, auf dem das Tanah-Lot-Motiv aufgedruckt ist, an den Sitzreihen entlang und sammelt mit einem kleinen Korbgeflecht das Fahrgeld ein. Hin und wieder hält der Bus, doch Haltestellen kann Mike niemals erkennen. Erst nach einiger Zeit, beginnt er das System zu verstehen. Mit Handzeichen oder anderen Signale machen sich diejenigen Fahrgäste beim Personal bemerkbar, die in baldiger Zeit aussteigen möchten und begeben sich dann nach vorne zur stets offenen Eingangstür. Dann bremst der Fahrer den Bus für einen kurzen Augenblick lang ab, so dass der entsprechende Fahrgast Zeit genug hat, um aus dem langsam rollenden Bus heraus zu springen und - möglichst rasch - die Straße zu überqueren.


    Die Sonne geht bereits unter, als der Bus schließlich Semarapura erreicht. Die Stadt ist weitaus kleiner, als der Moloch Jakarta und auch die meisten anderen Sprawls, die Mike mittlerweile in diesem Teil der Welt besucht hat, aber schnell wird dem Troll klar, dass hier die alten Königstraditionen Balis noch ausgesprochen lebendig sind. Während der Bus auf der einzigen Hauptstraße entlang fährt, welche letztendlich in das Stadtzentrum mündet, beobachtet Mike das Straßenleben Semarapuras. Neben Schreinen und Tempelanlagen reihen sich Restaurants, Elektrowarengeschäfte, kleine Straßenstände mit Souvenirverkäufen und Fahrzeugverleihe aneinander. Der Großteil der Menschen ist mit irgendeinem Fahrzeug unterwegs, sei es ein moderner Wagen oder ein klappriges, altes Fahrrad aus Familienbesitz.
    Als die Lichter der Straßenbeleuchtung und Händlersstände die Straßen zu erfüllen beginnen, erreicht der Bus das Zentrum der Stadt, wo sich eindrucksvoll "Puri Kerta Gosa" erhebt, der alte königliche Gerichtshof. Die Anlage wurde inmitten eines großangelegten Parks errichtet, der von seltenen, atemberaubenden Pflanzenarten und künstlich angelegten Wasserflächen gesäumt wird. Mike und Hamengku verlassen den Bus, und der Troll muss sich mehrmals strecken, um die Muskelschmerzen aus seinem Körper zu vertreiben. Nun übernimmt der kleine Junge die Führung. Mike folgt dem verwandelten Affen durch ein mächtiges, mit Statuetten gesäumtes Tor, welches in die Parkanlagen des alten Königspalastes hineinführt. Der Park ist nur spärlich beleuchtet und zu dieser Stunde sind kaum noch Menschen auf dem Gelände unterwegs. Die Gartenanlage fügt sich auf harmonische Art und Weise in die architektonischen Strukturen der Palastgebäude, wobei Mike die große Zahl meterhoher Statuen auffällt, die Gestalten aus der balinesischen Mythologie zeigen. Umgeben von einem künstlich angelegten See und umringt von einer alten Mauer thront die alte Gerichtshalle, eine große, offene Tempelhalle, die von Dutzenden von Säulen gestützt wird. Langsam nähert sich das ungleiche Paar der Halle, schreitet einige Treppenstufen hinauf, bis es die Plattform erreicht hat, auf der sich die Gerichtshalle erstreckt. Alte Öllampen erhellen den gewaltigen Pavillon mit ihrem dämmrigen Licht und geben Mike einen Blick auf die unglaublich kunstvollen Malereien, welche die gesamte, gewundene Dachinnenseite bedecken. Es sind Darstellungen aus dem Mahabharrata und dem Ramayana, und Hamengku verweist Mike vor allem auf die Darstellungen der Affenkrieger, welche seiner Meinung nach besonders gut gelungen wären. Nach dieser kleinen Führung wird Mike erneut Zeuge, wie sich Hamengku verwandelt und wieder seine eigentliche Gestalt annimmt. Auf allen Vieren hechtet er über den gefliesten Boden und scheint nach irgendetwas zu suchen. Erst nach einiger Zeit wird Hamengku fündig. Mike schreitet zu seinem Begleiter hinüber und fragt sich im ersten Moment, was denn der Affe nun schon wieder im Sinne habe. Erst dann erkennt er, dass Hamengku sich an einer der Bodenplatten zu schaffen macht. Mike geht in die Hocke und hilft dem Affen, die Bodenplatte anzuheben. Vorsichtig heben sie die große Steinplatte aus ihren Fugen und legen sie neben dem nun entstandenen Loch ab. Tatsächlich erstreckt sich vor dem Blick der Beiden eine steil abfallende Treppe. Mike fühlt sich nicht unbedingt wohl bei dem Gedanken, in die unterirdischen Gewölbe des Palastes hinabzusteigen, da die gesamte Anlage in ihm ein eigenartiges, düsteres Gefühl hervorruft, das er sich allerdings nicht erklären kann und welches sich ebenso seinem Verständnis zu entziehen scheint. Trotzdem folgt er dem Affen. Vorsichtig tastet er sich voran. Unten angekommen befindet sich der Troll in einem größeren Raum, dessen Decke gerade hoch gneug ist, dass er darin stehen kann. An den Wänden des unterirdischen Raumes sind Fächer angebracht, in denen sich kleine Truhen befinden. Hamengku schreitet die verschiedenen Fächer ab, bis er - scheinbar wahllos - eine der Truhen aus ihrer Verankerung nimmt und auf dem Tisch in der Mitte des Raumes abstellt. Mit seinen langgliedrigen Fingern öffnet der Affe die Truhe und entnimmt ihr mit großer Vorsicht ein Lontarbuch, ein Buch, welches nur an einem Punkt fixiert wurde und somit eine Art Fächer aus Palmblättern bildet, auf denen die schriftlichen Informationen eingraviert wurden. Dann bittet er Mike heran. Der Troll erkennt, dass es sich um eine Art Klassenbuch handelt. Auf der linken Seite des Palmblattes befindet sich ein Text, in einer Mike unbekannten Sprache, während auf der rechten Seite, ein ausgesprochen detailliertes Portrait-Bild des jeweiligen Schülers zu erkennen ist. Langsam blättert Hamengku in den Seiten und bittet Mike, ein Auge auf die Portraitierungen zu werfen. Dann, plötzlich, erkennt er sie. Es ist ihr Gesicht: fein geschnitten, hübsch, aber mit einem ausgesprochen eifrigen, begierigen Zug. Hamengku beginnt zu lesen:


    Und Meister Ramatala sprach: "Du musst Dich hüten vor Samayanti. Einst war sie eine gelehrige und begabte Schülerin, ein Vorbild für ihre Klasse, doch mangelte es ihr an Respekt. Zu begierig war ihre Seele und ihr Geist trachtete danach, ihren Lehrer, den weisen Damura, zum Kampf herauszufordern, um für alle Zeit zu beweisen, dass sie die bessere sei. So kam es, dass Samayanti die anderen Schüler auf eine lange Reise durch den Wald schickte, zu einer Stunde, wo die Sonne noch fern vom Himmel war. Als die Schule still geworden war, weckte sie Damura, der in der Dunkelheit der Nacht meditierte und forderte ihn zum Kampf. Damura beschwor seine Schülerin, wieder Vernunft anzunehmen, doch Samayanti hatte jeden Respekt für ihren Lehrer verloren. Sich ihres Sieges sicher, stürzte sie sich auf Damura und besiegelte damit ihr Schicksal. Zwischen den beiden mächtigen Kämpfern tobte eine Schlacht von großem Ausmaß. Doch Damura, der Weise, lockte Samayanti von der Schule fort, führte sie durch Wälder, Berge und Felder, während der Kampf wie das unberechenbare Meer hin und her wogte. Irgendwann hatte Damura sein Ziel erreicht. Hoch über den Klippen des Meeres kämpften die beiden ihren letzten Kampf. Dann bebte die Erde und eine große Welle türmte sich über beiden auf. Samayanti, von ihrem Eifer geblendet, bemerkte die Welle nicht und ließ sich von Damura näher und näher an die Klippen treiben. Das Meer, die launische Kraft, forderte seinen Tribut und verschlang Samayanti in seinen Tiefen, während Damura, der Weise, sich retten konnte. Aber Samayanti wird nicht ruhen, sie wird auf ewig die Schüler ihrer Schule verfolgen und nach Rache trachten."

  • -575


    Samayanti also? Na ja, wenigstens ein Name ...


    Mike war mit Verwunderung nach Semanapura gekommen. Auch und insbesondere deswegen, weil niemand ihn und Hamengku zu beachten schien, als sie den Tempel betraten und dann in diese gruselige Gruft hinabstiegen. Das der Tempel so völlig anders war als fast alles was er bisher kannte, schockte Mike nach den Erlebnissen der letzen Wochen nur noch milde ...


    Und hatte Arjuna nicht etwas von Lontarbüchern erzählt? Mike würde sich auf jeden Fall merken, wo genau der Eingang zu diesem Archiv hier war. Vielleicht würde es sich als nützlich erweisen. Er hatte deshalb bei Betreten des Tempels begonnen, mit seinen Cyberaugen Aufzeichnungen anzufertigen.


    An Hamengku gewandt murmelt er erst einmal:
    "Das ist die Lady! Die habe ich gesehen und sie war es auch, die mich geschlagen hat. Zumindest in meiner Vision. Habe ich mir jetzt sowas wie einen Fluch eingehandelt oder was bringt uns die Information, dass die Lady auf Rache sinnt?"

  • -576-


    Nachdenklich kratzt sich Hamengku am Kopf.


    "Hmmm... möglicherweise sind eure Schicksale miteinander verknüpft. Aber in Vorhersehung war ich noch nie wirklich gut. Nichts desto trotz, weißt du nun etwas über sie, und möglicherweise wird dir das helfen, wenn sich eure Pfade auf die ein oder andere Art und Weise kreuzen sollten... ."


    Sinniert der Affe, bevor er das Lontar-Buch wieder schließt und in die Truhe zurücklegt.


    "Bist du noch an der Biographie irgendeines anderen Schülers interessiert, oder möchtest du gehen? Ich spüre, dass du dich hier nicht wohl fühlst... und das ist auch kein Wunder. An diesem Ort ist einst Schreckliches geschehen... ."


    Plötzlich beginnen Hamengkus Augen kurz aufzublitzen, so als würden sie das Gesagte unterstützen wollen.

  • -577-


    Schicksale verknüpft? Schon wieder dieses mystische Zeugs ... ging es Mike durch den Kopf. Wie schön einfach war das früher. Der Zakon setzte jemanden auf die Liste und der war dann erledigt. Jemand wollte dem Zakon an den Kragen? Selber Schuld ...


    Aber wohl fühlte sich der Troll hier wirklich nicht. Ob es an der "Aura" des Ortes lag oder an etwas anderem war Mikhail eigentlich egal. Jedefalls stellten sich hier seine Nackenhaare auf und am liebsten hätte er hier immer den Rücken zur Wand gehabt und die Predator gezückt.


    Deswegen antwortete er Hamengku auch ein wenig erleichtert:
    "Also wenn du nix besonderes mehr hier suchst, können wir SEHR gern wieder nach oben steigen. Dort kannst du mir ja erzählen, WAS hier so schreckliches passiert ist. Interessiert bin ich schon daran, aber lieber mit ehrlichem Sonnenschein auf dem Gesicht ..."


    Das Blitzen in den Augen des Affen versuchte der Troll zu ignorieren, soweit dies bei einem Geist eben möglich war.

  • -578-


    Mike :


    Als Mike und Hamengku wieder an die Oberfläche kommen, ist der große Tempel-Pavillon noch immer gespenstisch leer. Vorsichtig schiebt der Affe die Bodenplatte wieder an ihren angestammten Platz und lehnt sich dann in einer fast menschlichen Geste gegen eine der Säulen, deren Umrisse im dämmrigen Licht der alten Laternen wie dürre, schwarze Stäbe aussehen.


    "Das, was zu Beginn des letzten Jahrhunderts hier geschehen ist, wird 'Puputan' genannt. Es handelt sich dabei um eine Form kollektiven, rituellen Selbstmordes. Im Angesicht der drohenden Niederlage seiner Truppen gegen die Invasoren, hat der Raja damals verfügt, dass seine Gefolgsleute, seine Familie und er selbst Puputan begehen müssen. Die Todesqualen Tausender haben die Harmonie dieses Ortes verzerrt."


    Spricht Hamengku mit einer ruhigen Stimme, die so eindringlich scheint, dass Mike die Bilder der Vergangenheit, fast vor seinem giesten Auge zu erkennen glaubt, und die doch so anteilslos klingt, dass sich Mike nicht sicher ist, ob der Geist überhaupt dazu in der Lage ist, menschliche Emotionen zu empfinden.



    @Lak:


    Lak fühlt sich erschöpft und gesegnet zugleich. Sie ist sich nicht ganz sicher, wieviele Stunden sie gemeinsam mit Indra, versunken in tiefster Meditiation, auf der Hügelkuppe, umgeben von den hochaufragenden Tempelbauten Besakihs, verbracht hat, doch als sie zurück zu der Hütte schreitet, welche Agung ihnen zuvor gezeigt hatte, ist der Tempelkomplex bereits in Dunkelheit getaucht. Wortlos betritt sie das einfache Haus und legt sich auf die Bambusmatte im Schlafraum. Von Agung selbst fehlt jede Spur, doch sie ist sich sicher, dass der Balinese zu ihnen kommen wird, wenn er weiß, wohin es die Runner verschlagen wird.

  • Lak fühlt sich zwar sehr müde, könnte aber nicht ruhig schlafen ohne kurz zu überprüfen ob es den anderen Runnern gut geht.
    Sie sendet eine Komlink-Kurznachricht an alle:
    < Sawaddi ka, meine Freunde. Wie habt ihr euren ersten Tag das "Bali-Urlaubs" verbracht?>

    Charaktere können auch nach der Charaktererschaffung schwanger werden, allerdings erhalten sie dadurch keinen Karmabonus.
    (Schattenhandbuch 2, Seite 165)

  • -580-


    "Du hast mich an einen eigenartigen Ort geführt, mein geisterhafter Freund ..." meint Mike zu Hamengku, nachdem dieser mit seiner Erzählung geendet hat.


    Kollektiver Selbstmord? Magisch aktive dürften hier wohl ähnliche Probleme bekommen, wie ich das mal über eines dieser Lager gelesen hab. Abilene oder so. Oder was diese kranken Spinner in Europa abgezogen haben vor über hundert Jahren.


    Vielleicht war das auch der Grund, warum sie hier im Tempel sonst niemand angetroffen hatten. Möglicherweise mieden die Anwohner diesen Ort. Aber Hamengku schien das alles nichts auszumachen.


    "Wenn du hier nichts mehr zu schaffen hast, können wir gerne wieder aufbrechen und zur Schule zurückkehren. Vielleicht kriege ich ja noch mal eine "Vision" und kann der Lady ins Gewissen reden."


    Mikhail überlegte noch kurz, sprach seinen gedanken dann aber doch an: "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Magie und starke Emotionen - besonders negative - nicht besonders gut miteinander klarkommen. Hast du keine Probleme, am Ort eines solchen Massakers zu sein?"

  • -581-


    Simon bleibt auch nach dem Eintreffen von Feysals Nachricht auf der Terasse sitzen Es ist sehr angenehm, tatsächlich einmal einige Stunden das Wetter und die tolle Landschaft genießen zu können. Tatsächlich gelingt es ihm, keinem Thema in seinem Leben -besonders den letzten Tagen- zu lange nachzugrübeln. Zwischendurch zündet er sich eine Zigarrette an und drückt sie nach zwei Zügen gleich wieder aus. Eine Weile denkt er darüber nach, das geammelte Bildmaterial schon einmal zu sichten und zu sehen, was alles editiert werden muss, aber dann entschließt er sich den Tag wirklich frei zu nehmen... Wer weiß, ob er hier morgen nochmal sitzen kann? Bildbearbeitung lässt sich auch auf einer Fahrt noch machen...
    Erst auf Laks Nachricht hin erzählt er ihr, dass es Arbeit gibt:
    "Hallo Lak! Ich habe den Tag in der Sonne verbracht - das ist wirklich eine wunderschöne Gegend hier... Morgen habe ich bestimmt Sonnenbrand, aber das ist dieses tolle Wetter wert... Übrigens hat Feysal zugesagt, wir bekommen die 10k extra. Sobald du wieder da bist und wir Zeit haben können wir das Material also fertig machen und verschicken."

  • -582-


    Croaker betrachtete noch einmal die Symbole, die er auf dem Felsbrocken vor ihm angebracht hatte, die Linien und Kreise, die menschenähnlichen Gestalten, den Raben, der über ihnen zu sehen war.
    Ein kurzer Blick in den Astralraum um zu überprüfen, ob der Hüter intakt war, dann hockte er sich mit Blick auf das sich unter ihm ausbreitende Tal auf den Boden und schloss die Augen.


    Das wird hart.


    Er atmete noch einmal tief durch, den lehnte er sich zurück und verließ seinen Körper.


    Bald schwebte er mehrere hundert Meter über der leuchtenden Kuppel, unter der er seine physische Gestalt zurückgelassen hatte.
    Er tastete etwas herum, seine Gestalt ruckte hin und her, suchte nach einem Durchgang, einer Passage aus dieser Welt.
    Schlagartig spürte er etwas, ein Ziehen in seinem Inneren, dann einen gewaltigen Ruck.
    Plötzlich wurde Alles schwarz.


    Als er wieder zu sich kam, lag er auf einem kahlen Zementboden, über sich eine alte Neonröhre.
    Er fühlte sich hundeelend, sein Magen schien zu rotieren, sein Kopf hämmerte, seine Muskeln brannten.
    Er wollte sich aufsetzen, konnte sich aber nicht bewegen.
    Da waren Schritte, jemand kam näher, Absätze klackerten auf dem Zement.
    Er wollte den Kopf in Richtung der Schritte drehen, aber auch das klappte nicht.


    Bernard? Was machst Du denn hier?


    Er kannte diese Stimme...war das Tarmninah?
    Tatsächlich, in diesem Moment tauchte ihr Kopf in seinem Blickfeld auf.
    Sie hockte sich neben ihn, rüttelte an seiner Schulter, bestürmte ihn mit Fragen, aber er konnte sich immer noch nicht rühren.


    In diesem Moment tauchte links neben ihm ein zweites Gesicht auf, eine Frau Anfang 20, brauner, fransig geschnittener Pony über irgendwie verloren wirkenden Augen.
    Croaker hatte sie noch nie vorher gesehen, aber wäre er nicht in dieser merkwürdigen Lage gewesen hätte er es definitiv vorgezogen, mit ihr statt mit Tarminah allein an diesem merkwürdigen Ort zu sein.
    Irgendwie kam sie ihm auch bekannt vor, aber er konnte nicht sagen woher.


    Er wird nicht antworten bemerkte sie mit einer rauchigen Stimme, in der ein zynischer Unterton mitschwang.
    Wusstest Du, dass er die ganze Rückfahrt über nur so getan hat, als ob er bewusstlos war, damit er nicht mit dir reden musste?


    Tarminah starrte die andere Frau geschockt und offensichtlich verletzt an.
    Wer bist Du?


    Ich bin sein Beuteschema.
    Verrückt, nicht wahr?
    Hm...Du siehst mir überhaupt nicht ähnlich...egal, wir haben hier eh nicht mehr viel zu tuen.
    Hilfst Du mir mal eben?


    Immer noch völlig bewegungsunfähig wurde Croaker unter den Armen gepackt, hochgezogen und auf einen in der Nähe stehenden Stuhl gesetzt.
    Er konnte jetzt sehen, dass er sich in einer Art Lagerhaus befand und in der Wand vor ihm eine Tür war, die von einem Chinesen mit knallrot gefärbten, hochstehenden Haaren bewacht wurde, der mit einer Sturmschrotflinte bewaffnet war und irgendwie vertraut wirkte...


    Dann öffnete sich die Tür und Mike und Croaker betraten den Raum.

  • -583-


    Tao verließ den Raum durch die Tür, die beiden Frauen verschwanden irgendwo hinter Croaker, während sich Mike und sein früheres Ich mit verschränkten Armen vor ihm aufbauten.
    Letzterer begann plötzlich, diabolisch zu grinsen und mit der Hand in der Luft herumzufuchteln, was direkt dazu führte, dass Croakers Kopf nach hinten gebogen wurde und er von seinem Stuhl aufsprang, allerdings ohne das zu wollen oder es überhaupt in irgend einer Form bewusst beeinflussen zu können.
    Mit zittrigen Knien stand er im Raum, torkelte so schnell es ging seitwärts auf die Wand zu und spürte, wie sich sein Oberkörper nach vorne krümmte, während er geradewegs weiter auf die Wand zusteuerte und mit dem Kopf zuerst in sie hineinraste, sich dann nach hinten schleuderte und -den Ellbogen voran- auf dem Boden landete, was ihn immerhin von den schlimmer werdenden Kopfschmerzen ablenkte.
    Dann riss er sich wieder hoch, die ganze Zeit über von dem entsetzlichen Gefühl durchdrungen, eine an Fäden aufgehängte Marionette zu sein und wankte zum Stuhl zurück.


    Sein früheres Ich hatte sich direkt vor ihm aufgebaut, mit einem hasserfüllten Glanz in den Augen starrte es ihn an.


    Du meinst also, uns verarschen zu können.
    Du meinst, Ihr könnt uns überfallen, versuchen, uns umzunieten, unsere Freunde abknallen und uns auf jede andere erdenkliche Art auf den Sack gehen und wir lassen uns das gefallen, ja?


    Du kleiner Pisser.


    Währenddessen hatte Mike mit seiner Hand eine Weißblechdose zerquetscht, was der Croaker von früher -von vor nicht einmal zwei Wochen- mit einem sich weitenden Grinsen quittiert hatte.
    Eine Idee schien in ihm aufzukommen.
    Croaker spürte, wie sein Arm hochgerissen wurde und sich Mike entgegenstreckte, wie das kalte Metall des Cyberarms sich schraubstockgleich um seinen Zeigefinger schloss.


    Sein Doppelgänger zündete sich gedankenverloren eine Zigarette an, pustete ihm den Rauch ins Gesicht -es brannte entsetzlich in den Augen, er konnte ja nicht einmal aus eigener Kraft blinzeln- und bemerkte überheblich :


    Glaubst Du, damit durchkommen zu können?
    Glaubst Du, wir lassen uns das bieten?


    Der Schraubstock wurde enger, während Croaker gezwungen war, auch noch seine Hand hin und her zu bewegen, während man deutlich hören konnte, wie sein Finger brach.


    Dann wurde es wieder schwarz um ihn.

  • -584-


    Mike :


    Erschöpft lehnt sich Mike mittig in die hinterste Sitzbank des Busses, so dass er genug Platz hat, um seine Beine im Mittelgang auszustrecken. Die Tour mit Hamengku, der nun wieder in der Gestalt eines kleinen Jungen neben ihm Platz genommen hat, war äußerst interessant, auch wenn der Besuch in der alten Palastanlage ihn mehr Kraft gekostet hat, als er es für möglich gehalten hätte. In dem Versuch, ein wenig zu entspannen, schließt Mike die Augen und legt den Kopf nach hinten gegen die Lehne, doch ein wirkliches Ruhegefühl will sich dennoch nicht einstellen. Irgendetwas tobt in seinem Unterbewusstsein, unterschwellige Bilder und Emotionen, die das Betreten der Tempelanlage in ihm wach gerufen haben. Nach einiger Zeit und der Gewissheit, dass er nicht wird einschlafen können, öffnet er also wieder die Augen und schaut, um auf andere Gedanken zu kommen, nach draußen. Die Straße ist nun in völlige Dunkelheit getaucht. Als der Bus die äußersten Bereiche der alten Königsstadt verlassen hat, sind auch die Lichter verschwunden und der Finsternis einer Welt ohne Elektrizität gewichen. Hin und wieder kann er dank seiner Cyberaugen am Straßenrand die einfachen Bambushütten der Reisbauern erspähen, oder beobachten, wie ein Fahrzeug den Bus überholt oder aus der entgegengesetzten Richtung herannaht. Dennoch ist es einer jener Momente, an die Mike sich nur schwer gewöhnen kann: Die nahezu absolute Dunkelheit außerhalb der Sprawls. Wie sehr der Mensch von der Verfügbarkeit künstlichen Lichts geprägt ist, wird ihm besonders in solchen Situationen immer wieder bewusst. Es ist, als würde man eine Schwelle überschreiten, eine Grenze, welche die sichtbare Welt von der unbekannten Dunkelheit in der Ferne trennt. Passenderweise setzt gerade in diesem Moment ein Regenschauer ein, so als würde selbst das Wetter Mikes trübe Gedanken bestätigen - oder regnet es bereits die ganze Zeit? Mike schüttelt den Kopf. Worüber denkt er da bloß wieder nach? Wohlmöglich spielt ihm die Müdigkeit einen Streich, geht es ihm durch den Kopf, oder mag dies bereits das erste Anzeichen für eine neue Vision sein... ?


    Noch ehe Mike näher darüber nachdenken kann, ruckt der Bus plötzlich und kommt abrupt zum Stehen. Einige der anderen Fahrgäste stöhnen erschrocken auf oder murmeln unverständliche Laute, in ihrem Schlummer anscheinend gestört. Dann geht vorne die Türe auf. Mike reißt die Augen auf, bleibt aber vorerst sitzen. Seine Glieder fühlen sich ohnehin an wie Blei und irgendwie hat er das Gefühl, dass alles um ihn herum in einer völlig verkehrten Geschwindigkeit abläuft.


    Dann erkennt Mike den Grund für das abrupte Anhalten des Busses. Es ist kein Motorschaden oder ähnliches, sondern der Zustieg weiterer Fahrgäste, scheinbar mitten im Nirgendwo. Es sind drei Gestalten, vermutlich Einheimische, doch da sie die Kragen ihrer Jacken oder Mäntel wegen des Regens weit nach oben gezogen haben, kann er dies nicht genau sagen. Die Gestalten nehmen sofort vorne Platz, dann setzt der Bus sich wieder in Bewegung. Ist vorne überhaupt noch ein Platz frei gewesen? Mike ist sich unsicher. Er hat ein merkwürdiges Gefühl, aber wie so oft in letzter Zeit, kann er dieses nicht genau bestimmen.


    Dann fällt der Schleier der Müdigkeit doch noch über ihn und Mikes Kopf sinkt nach hinten, die Welt hinter sich lassend.


    Als Mike erwacht, spürt er Hamengkus Arm an seiner Schulter zerren. Wortlos erhebt sich der Troll und steigt aus dem Bus. Es ist noch immer tiefste Nacht, und die Umrisse des Urwalds erstrecken sich wie eine Wand aus Dunkelheit um sie herum, so weit das Auge reicht.


    "Du kannst vielleicht schnarchen... "


    Meint Hamengku mit einem Lachen, bevor sie sich an den Aufstieg machen. Der Marsch bei Nacht ist eine interessante, aber auch fordernde Aktivität, trotz Mikes cybertechnisch verbesserter Sinne. Da auch seine Gedanken noch nicht völlig klar sind, überlässt er Hamengku die Führung, der sich dann auch - Mikes Stille richtig deutend - schweigsam verhält.
    Irgendwann erreichen die Beiden letztendlich die Schule. Mike betritt den Innenhof, gefesselt von der Stille, welche hier herrscht. Selbst das Rascheln der Blätter und die Laute der Tiere, scheinen irgendwo in einer unbestimmten Ferne zu liegen. Hamengku begleitet ihn noch bis zu seiner Schlafstätte, dann sinkt Mike auch schon zu Boden und fällt in einen tiefen Schlaf. Das letzte, was er hört, ist Hamengkus Stimme, die ihm versichert, er werde Wache halten...

  • -585-


    Mike :


    Mike öffnet die Augen. Von draußen dringen die Sonnenstrahlen bereits mit großer Intensität durch den Türdurchgang, welcher direkt in den Innenhof der Schule mündet. Nach den unterschwelligen emotionalen Aufladungen während des Palastbesuchen, der merkwürdigen, unwirklichen Busfahrt und angesichts der spartanischen Schlafstätte, die Mike als Nachtlager gedient hat, hätte er nicht gedacht, dass er sich dermaßen ausgeschlafen fühlen würde. Als er sich erhebt und durch den Durchgang späht, erkennt er Hamengku, der mit einem großen Kochlöffel akrobatische Künststücke vollzieht, während er aus mehreren Metern Entfernung Gemüseteile in einen dampfenden Wok wirft, der mitten auf dem Innenhof postiert steht. Als er Mike bemerkt, hält er inne und grinst dem Troll entgegen.


    "Selamat pagi, mein Freund! Ich wusste gar nicht, dass kochen so verdammt unterhaltsam sein kann!"


    @Lak:


    Lak erwacht in den frühen Morgenstunden. Ihr Körper fühlt sich wohlentspannt an und ihr Geist ist erfüllt mit neuer Kraft. Sie weiß, dass sie aus der intensiven Meditation auf dem Gipfel der machtvollen balinesischen Tempelanlage gestärkt hervorgegangen ist, dass sich ihr Karma erweitert hat.

  • -586-


    Mike konnte immer noch nicht recht fassen, dass er auf der Rückfahrt eingenickt war. Wahrscheinlich musste er bei nächster Gelegenheit mal einen Doc aufsuchen und den Schlafregulator überprüfen lassen. Wenigstens hatte er es noch geschafft, Laks Nachricht zu beantworten.


    << Hoi Lak, mein Tag war ziemlich aufregend. Von meinem Trip nach Semanapura hatte ich ja schon kurz geschrieben. In der Kampfsportschule, die mir Agung gezeigt hat, hatte ich zuerst eine Begnung mit einem etwas eigenartigen, aber sehr netten Geist. Habe etwas mit ihm trainiert, bis ich wohl so etwas wie eine Vision hatte. Der Affengeist hatte dann halt die Idee, mal in den alten Archiven zu stöbern. Dort habe ich auch einen Namen zu meiner Vision gefunden: Samayanti - eine ehemalige Schülerin. Später dazu vielleicht mehr. Wir (der Affengeist und ich) sind jetzt wieder auf dem Rückweg zur Schule. Ich hoffe, bei euch war es ruhiger ... ;D Grüße an der Rest der Truppe! >>


    Als er frühmorgens erwachte, grinste er Hamengku an: "Für einen Geist kochst du ziemlich gut, dem Geruch nach zu urteilen ... Hast du nach dem Frühstück noch Lust auf eine weitre Runde Sparring? Vielleicht taucht ja auch meine böse Schülerin nochmal auf und ich kann ihr die Leviten lesen."

  • -587-


    Lak muss schmunzeln als sie die Nachrichten von Simon und Mike liest. Simon scheint sich gut erholt zu haben. Nach dem Kampf in Borobodur gönnt sie ihm das von ganzem Herzen. Und er hat schon wieder die Finanziellen Dinge geregelt. Da sollte sie ihn wirklich mal als Vorbild nehmen. Wie die meisten Thailänderinnen hat Lan mehr ein Talent fürs Geld ausgeben als fürs Geld zusammenhalten.
    Das Mike sich mit einem Phi angefreundet hat spricht sehr für seine Entwicklung. Es ist sehr wichtig die Geister zu ehren. Und Mikes Neugier und sein Humor machen es ihm sicher leicht mit den Phi zu komunizieren. Wer weiß, vielleicht steckt in ihm noch ein großer Schamane?

    Charaktere können auch nach der Charaktererschaffung schwanger werden, allerdings erhalten sie dadurch keinen Karmabonus.
    (Schattenhandbuch 2, Seite 165)

  • -588-


    Als Croaker wieder zu sich kam, bemerkte er als Erstes ein leichtes, beständiges Schaukeln, gefolgt von einem lauten, metallischen Kreischen.
    Neonlicht brannte in seinen Augen und sein Kopf lehnte an einer sachte vibrierenden Oberfläche.
    Als er vorsichtig die Augen öffnete -er konnte sich endlich wieder aus eigener Kraft bewegen, was er erst nach ein paar Sekunden realisierte- stellte er fest, dass er sich in einer U-Bahn befand.
    Genau genommen in der londoner Underground...das Abteil war bis auf ihn vollkommen leer und der Zug verlangsamte gerade seine Fahrt, offensichtlich würde gleich die nächste Station erreicht sein.
    Er warf einen Blick auf die vertraute Anzeigetafel (es war noch die alte Digitalanzeige aus den späten 50ern, die ihm aus seiner Jugend vertraut war, nicht das heutige AR-Display) und stellte fest, dass er sich in der Circle Line befand und gleich in die Blackfriar's Station einfahren würde.


    Er sah auf seine Hand hinunter, stellte fest, dass keiner seiner Finger gebrochen war und in seinem Kopf kam die Frage auf, ob er die Schwelle überschritten hatte, ob er schon auf den Metaebenen war oder ob man ihn noch weiter mit den Taten der letzten Wochen konfrontieren würde.
    Schnell verdrängte er den Gedanken und beschloss, stattdessen seine neugewonnene Bewegungsfreiheit zu nutzen und zu handeln, zumal die Bahn gerade schnaufend zum Halten gekommen war.
    Er stieg aus -einen Moment lang hatte er erwartet, dass seine Knie nachgeben würden, aber dem war nicht so- und starrte irritiert auf das Stationsschild.
    Dammrakk stand dort deutlich sichtbar.


    Während er sich noch wunderte, wurde er dadurch überrascht, dass die abfahrende Bahn ihn mit einem ordentlichen Schwall nach Salz und irgend etwas Undefinierbarem, aber unzweifelhaft widerwärtig stinkenden Wassers vollspritze, denn tatsächlich waren die Gleise auf einmal bis zur Höhe des Bahnsteigs mit einer trüben, öligen Brühe geflutet.
    Bei näherem Hinsehen stellte er fest, dass dieses Wasser auch die Wände hinunterrann und sich rapide in großen, schlierig glänzenden Pfützen auf dem Boden sammelte.
    Hastig lief er zur Rolltreppe hinüber und als er sie erreicht hatte, war bereits der komplette Boden mit einem Wasserfilm überzogen und links und rechts neben ihm strömte beständig ein regelrechter Wasserfall die gekachelten Mauern hinunter, so dass ihre beige-bräunliche Farbe kaum noch zu erahnen war.
    Croaker beschloss, etwas zuzulegen und spurtete die Rolltreppe hinauf, wobei er mehrmals kurz ausrutschte und sich gerade noch auffangen konnte.
    Dann war er am Treppenabsatz angekommen und stellte erleichtert fest, dass das Wasser aufgehört hatte zu fließen, allerdings so weit gestiegen war, dass sich der Wasserspiegel gerade einen Meter unter ihm befand.
    Kurz meinte er, in den tiefen ein gelbes Augenpaar aufblitzen zu sehen und die Bewegung einer riesigen Gestalt unter der Oberfläche zu erahnen, aber er entschied sich dafür, dem nicht nachzugehen, sondern so schnell wie möglich weiter zu eilen.


    Unangenehmerweise musste er, direkt als er sich umdrehte, feststellen dass sich vor ihm eine halb überflutete Ruinenlandschaft auftat.
    Schmale, hoch aufragende Ziegelfassaden im Kolonialstil, die Häuser dahinter zum größten Teil weggebrochen, hohe, aber -wenn noch mit Glas versehen- vom Staub blinde Fenster, vor den Gebäuden ein nahezu 60 Meter breiter See aus dem gleichen, fauligen Wasser das eben die U-Bahn geflutet hatte.
    Nur ein schmaler, abgebrochener Sims trennte ihn vom stinkenden Nass, auf dem vereinzelt dicker, grünlicher Schaum trieb.
    Sein Kopf ruckte hin und her, dann konnte er, einige Meter zu seiner Linken, einen Bootssteg erkennen, an dem ein gammeliges, weißes Tretboot befestigt war und behäbig hin und her schwankte.


    Na, immerhin.


    Vorsichtig schob er sich an der Wand lang, nach ein paar Schritten erreichte er ein geöffnetes Fenster, hinter dem sich ein völlig verwüsteter Schankraum mit ursprünglich wohl einmal überwiegend roter Möblierung befand.
    Er meinte, über dem Faulgestank kurz den schweren, harzigen Geruch von gutem, schwarzem Haschisch ausmachen zu können, sah die umgestürzte Bong und die verklebten Reste von Zigarettenblättchen auf den Tischen und an der gegenüberliegenden Wand erkannte er ein Schild mit der Aufschrift "House Rule No. 1 : No Hard Drugs!"


    Jetzt begriff er, wo er gelandet war.
    Das hier war Amsterdam oder besser : das, was die schwarze Flut davon übrig gelassen hatte.
    Er hatte es tatsächlich auf die Metaebene geschafft, die er hatte erreichen wollen.
    Nur dummerweise war er genau am falschen Ort gelandet.

  • -589-


    Mike :


    Hamengku verneigt sich mit einer übertrieben wirkenden Geste.


    "Ich war ein gelehriger Schüler, aber dies ist das erste Mahl, das ich ganz alleine anrichte."


    Meint Hamengku stolz, legt den Kochlöffel ab und hockt sich mit angewinkelten Beinen neben den Wok. Mit einer Handbewegung bittet er Mike, sich zu ihm zu gesellen. Der Troll kniet sich auf den Boden, was nicht die gemütlichste Sitzhaltung ist, ihm aber keine Probleme beim Essen bereiten wird. Dann beginnen die zwei ungleichen Trainingspartner zu speisen.
    Nach einem ausgiebigen Frühstück, welches ohne viele Worte vergangen ist, ist es wieder Zeit, zum Training zurück zu kehren. Mike hilft Hamengku, den Wok zu verstauen, damit der Innenhof frei von Hindernissen ist. Als sich die Sonnenstrahlen ihren Weg durch das dichte Blätterdach bahnen, sind beide Kämpfer dazu bereit, wieder gegeneinander anzutreten.


    Es beginnt wie am Vortage: Hamengku tänzelt, führt Scheinangriffe, und schlägt Purzelbäume, bevor er dann, scheinbar unberechenbar, zu einem schnellen und ungestümen Angriff annsetzt, der aber dennoch über eine gewisse Eleganz verfügt. Es dauert nicht lange, bis sich Mikes Wahrnehmung erneut verändert. Zuerst kommen die Musiker wieder in seinen Blick, deren Erscheinen mit dem Einsetzen eines treibenden Trommelrhythmus einhergeht. Dann verschwinden die Altersspuren von den Mauern, den Bodenplatten und Säulen, windet sich die wuchernde Vegetation zurück in den Untergrund, so dass Mike das Gefühl hat, er würde in der Zeit zurückversetzt. Doch diesmal ist er vorbereitet. Gespannt wartet er darauf, dass sich Hamengkus Gestalt erneut in diejeniger Samayantis verwandelt, doch nichts geschieht. Der Kampf nimmt seinen gewohnten Fortgang aus Abwarten, Angriff und Verteidigung. Erst dann fällt ihm die Veränderung auf. Am Rande des Innhofes, zwischen den Musikern stehend, bemerkt er eine Gruppe von Personen, welche den Kampf interessiert verfolgen. Sie tragen enganliegende, einfach geschnittene Leinenhemden und -Hosen, und Mike erkennt die blütenförmigen Abzeichen an ihren Gürteln, was ihn sofort an Indra und seine Erklärungen bezüglich der Rangfolge im Pencak Silat erinnert. Allem Anschein nach sind es Schüler. Innerlich muss Mike grübeln, irgendetwas nagt an seinem Verstand, wühlt im trüben Meer seiner Erinnerungen. Und dann weiß er es plötzlich, weiß, wieso ihm diese Gestalten so bekannt vorkommen. Es sind nämlich genau jene drei Personen, deren Gesichter er für einen kurzen Moment im dämmrigen Licht der Busbeleuchtung bei ihrer nächtlichen Rückfahrt erhaschen konnte, nachdem der Bus abrupt gestoppt und die Neuankömmlinge aufgenommen hatte. Mike runzelt die Stirn. Er ist verwirrt, hält inne, da er offensichtlich mit etwas ganz anderem gerechnet hat - und just in diesem Moment, erfolgt Hamengkus Schwinger auf seine Nase.


    Die Musik verklingt, die Mauern altern, der Urwald triumphiert, und Mike steht wieder alleine auf dem Innenhof, einen verwirrt blickenden Hamengku vor sich, der langsam seinen Arm von Mikes schmerzender Nase hinfort zieht und ihn angrinst.


    "Das nennt man wohl ein Dejavu, oder?"