#1 – SL
Shamus:
Selten hast du so viel Spaß gehabt wie letzte Nacht. Du fühlst du frei, von der schweren Last der Verpflichtungen enthoben, du bist eins mit der Welt und sie Welt gehört dir allein. Wenn es nach dir ginge, könnte sie in diesem Moment untergehen und damit ewig dauern. Ein stiller Friede hat dich erfasst, etwas, dass du schon lange nicht mehr gespürt hast und schon verloren glaubtest. Kurz gesagt, du bist glücklich.
Die Ursache liegt bzw. sitzt dir gegenüber und hört auf den Namen Trisha. Ihr habt euch gestern Abend in einem kleinen und unbekannten Club kennen gelernt und reichlich Spaß mit einander gehabt. Etwas Tanz, ein paar Drinks, vielsagende Blicke und ein Kribbeln im Bauch. Auf Anhieb habt ihr euch verstanden, sie ist selbstständige Talentsucherin, ein Headhunter. Eine kaum zu bändigende Lockenmähne, die sie kokett und damit dich um den Finger wickelt, Augen wie Smaragde, Beine bis zum Boden; eine Frau wie sogar du nicht alle Tage zu Gesicht geschweige denn in dein Bett bekommst.
Dort wart ihr allerdings schon, befeuert von Alkohol und Novacoke habt ihr eurer Leidenschaft bis in die Morgenstunden freien Lauf gelassen. Du hast festgestellt, dass Trisha nicht nur intelligent und äußerst attraktiv sondern auch sehr phantasievoll sein kann. Und genau diese Schwärmereien lassen in dir das schon fast verdorrte Gefühl von Frieden, Harmonie und – doch, das könnte es tatsächlich sein – Liebe aufkommen. Es gibt Milliarden von Metamenschen auf diesem Planeten und du Glückspilz hast nicht nur deine Traumfrau getroffen, sie hat deine Avanchen erwidert.
Erstaunt von dir selbst lächelst du still vor dich hin und erntest einen fragenden Blick. „Ich habe gerade festgestellt, dass es doch kein Traum ist.“ erklärst du sinnierend und rührst mit verlegen niedergeschlagenem Blick in deinem Blue Mountain. Sie lacht auf, hell klingende Glocken, Ambrosia. Trisha wollte spontan shoppen und du konntest ihr den Wunsch bei bestem Willen nicht abschlagen, zufrieden wie eine sattgefressene Löwin hütet sie die drei vollen Taschen, viel zu viel Geld für so wenig Stoff, aber du freust dich jetzt schon auf den Anblick. Nachdem sie ihre letzte Talentprämie in Mode umgesetzt hat, wolltest du – ganz der Gentleman – den Kaffee spendieren und sitzt ihr in diesem Moment gegenüber an einem kleinen runden Tisch inmitten einer Mall und bist glücklich.
Das Design der Plaza zielt auf puren Luxus und Dekadenz hin, stiltechnisch hatte man sich an die jahrhundertealte Tradition aus Marmorboden und Gold, Gold, Gold und nochmals Gold gehalten; komplett mit römisch anmutenden Säulen, verschörkelten Querstreben und filigranen Stangenkonstruktionen für die überdachten Stände. Wenn man die größten, meisten und teuersten Materialien der ganzen Welt an einen gemeinsamen Platz bringt, kommt stets diese international fast standardisierte Look von Protz heraus. Künstliches Sonnenlicht fällt durch die Glaskuppel, die virtuelle Sonne strahlt warmes, braun-oranges Licht, das pitoresque durch die Gitterkonstruktion fällt wie durch Baumkronen und zauberte in die künstlichen Staubkörner das fast greifbare Gefühl einer Waldlichtung im Spätsommer. Irgendwo plätscherte Wasser, aber das konnte auch vom Band sein. Unter dem Tisch berührt ihr Fuß wie unbewusst dein Bein, ihr glutäugiger Blick straft den Zufall Lügen. „Ich geh mir noch mal schnell das Näschen pudern…“ haucht sie und entschwindet vorfreudig lächelnd zu den Toiletten. Du weißt aus deinen Erfahrungen der letzten Stunden, wie das enden wird und es gefällt dir sehr, sehr gut.
Das diamanten funkelnde Idyll und dein Hochgefühl werden von einer Lautsprecheransage unterbrochen, die Besucher werden gebeten, das Gebäude zu verlassen und es bestehe kein Grund zur Panik. Die genau dadurch ausbricht. Du wirst von den plötzlich aufspringenden Menschen mitgerissen, ein undurchdringliches Knäuel aus Überlebensinstinkt, Ataxie und Einkaufstaschen, du schaffst es noch dir die wertvollste Papiertüte an die Brust zu drücken, doch gegen die zu den Ausgängen strömenden Flut hast du keine Chance. Kinder schreien nach ihren Müttern, ein aufgeregtes Stimmengewirr, Lederschuhe auf Marmor. Drücken und Drängeln, Tische kippen, chinesisches Porzellan zerschellt. „Hey, meine Freundin… sie ist nicht… sie ist noch…“ stammelst du aufgeregt und fuchtelst in Richtung der beidgeschlechtlichen Piktogramme. Der Wachmann spult ein routiniertes „Wir werden uns darum kümmern, Sir, seien sie unbesorgt.“ ab, schiebt dich wieder in den Strom und schaut sich gehetzt um; das ist keine Übung.
Immer wieder schaust du dich um, aber du kannst sie nirgends erkennen, so viele Gesichter, von Angst und Verwirrung gezeichnet. Du versuchst über ihre Köpfe hinweg zu schauen, stehen zu bleiben und dich zu vergewissern, dass sie dich noch sieht, weiß wo du bist. Die Gruppendynamik ist unerbittlich, du bist schon so nah den Ausgängen, dass du dich jetzt beeilst ins Freie zu gelangen. Draußen triffst du sie wieder, sie hat bestimmt einen anderen Ausgang genommen, wurde auf einen anderen Fluchtweg geleitet. Seattle schimmert durch geöffnete Türen. Die Leute – und mittlerweile du selbst – haben zu rennen begonnen, ein Mann strauchelt und verschwindet unter der Masse. Schnell raus hier, umso schneller kannst du sie erleichtert in deine Arme schließen und nie wieder loslassen.
Deine Ohren registrieren eine gewaltige Detonation hinter dir bevor sie ihren Dienst versagen, dann erfasst dich schon die Druckwelle der Explosion und du wirst zu Boden geworfen. Deine Welt wird in ihren Grundfesten erschüttert, Feuer, Staub, etwas Großes rast auf dich zu. Trisha! ist dein letzter Gedanke, dann wird alles D U N K E L.
Grey:
Der Tag beginnt, die Geschäftigkeit auf der Straße nimmt zu und du beschließt, diese zu verlassen und dich in dein aktuelles Versteck zurück zu ziehen. Nach dem Run mit Armitage, Payne und Jurij hast du beschlossen, dass es doch vielleicht besser sei, von der Bildfläche zu verschwinden. Nur für eine Weile, nur zur Sicherheit, reine Prophylaxe. Dein Meister hat dir beigepflichtet und du warst glücklich in seinem Sinne gehandelt zu haben. Um zu überleben ist es keine Schande sondern sogar ratsam sich in ein Loch zu verkriechen, deines heißt volltönend ‚New Eden Inn’ und ist ein abgewracktes Sarghotel in der Nähe einer Mall.
Den wenigen Platz hast du mit Crackern, Soynudeln und Raviolidosen sowie zwei Sixpacks Wasser ausgefüllt, immerhin ist von Grundversorgung in diesem Rattenloch – du fühlst dich recht wohl – keine Rede und ein Unwetter steht bevor. Du hast es schon lange gespürt noch bevor die AR-Feeds mit den Warnungen kamen. Vorratskäufe seien natürlich nicht notwendig, hieß es, und lösten genau diese aus. Dir kam es ganz gelegen, dass auch andere Leute größere Mengen an haltbaren Nahrungsmitteln gekauft haben, so warst du nur eine von vielen Kunden mit einem erhöhten Vorratsbedürfnis und keine Lebensmittel bunkernde Runnerin mit einem erhöhten Verfolgungswahn.
Deine spitze Nase zuckt, es liegt eindeutig etwas in der Luft, etwas Großes, nicht nur der nahende Sturm sondern ein bevorstehendes Ereignis kündigt sich an und es ist D U N K E L. Du kannst das unbestimmte Gefühl nicht genau definieren, es entzieht immer wieder deiner Wahrnehmung je näher du es betrachten willst, eher unterbewusst und doch mit Gewissheit. Was auch immer es sein mag, es lässt dich erschauern aber in deiner temporären Behausung dürftest du davor gefeit sein; wenn das Unwetter vorbei ist, kommst du wieder hervor. Du schiebst deine letzten Besorgungen in eine Ecke und quetscht dich dann auf die schmal gewordene Liege, die Enge bedeutet für dich nicht unbedingt Komfort aber dafür Sicherheit, deiner Meinung nach ein weitaus höher einzuschätzendes Gut.
David:
Bis zur absoluten Erschöpfung hast du mit bloßen Händen die Trümmerstücke beiseite geschafft, in der Kraft des Verzweifelten Verletzte unter Plastahl geborgen, hast viel zu viele Tote getragen als das schwere Räumgerät kam. Du bist über und über mit dünnem Staub bedeckt, der dich und deine Seele ausgetrocknet hat. Die Hilfe der Sanitäter hattest du unwirsch abgetan – du spürst keinen Schmerz - um dich mit Eifer in die Ruinen zu stürzen, den verbogenen Überresten von Pracht und Luxus, die die Reichen symbolisch schlussendlich verschlangen. Du kannst kaum noch aus eigener Kraft stehen, von reiner Willenskraft auf den Beinen gehalten, der einzige Gedanke zu dem du fähig bist ist das Durchhalten.
Mit Bushido hast du dich nie befasst, gleichwohl der Ehrbegriff der Samurais schon lange in der japanischen und damit internationalen Firmenpolitik gepredigt wird. Für dich entspricht die Selbstaufopferung zum Wohle Anderer einem Selbstverständnis, es ist deine Pflicht zu helfen, koste es was es wolle. Über den toten Punkt bist du schon lange hinweg.
Eine merkwürdige Stille und Leichtigkeit umfängt dich, die Rufe der Retter und das Piepen und Brummen der Maschinen nimmst du nur am Rand wahr, wie durch einen Schleier. Mit dem Rest deines kognitiven Bewusstseins realisierst du, dass du die scheinbar fehlende Großhirnaktivität genießt, aufgehst in dem Gefühl wie ein Automat unerbittlich deine programmierte Routine abzuspulen. Nicht denken, nur durchhalten. Nicht denken, nur Leben retten. Es ist D U N K E L in deinen Gedanken, nicht denken.
Frankie:
Verdammt! Keine Salami mehr, alles ausverkauft. Der Squatter neben dir wirft dir einen feixenden Blick zu. Wenigsten hast du noch SoyHack für eine gute Bolognese ergattern können, der Andrang im Stuffer Shack ist unglaublich und wäre eine gute Gelegenheit für eine kleine Lohnerhöhung, von der du aber aus Dringlichkeit absiehst – du bist nicht zum Vergnügen hier.
Dein Kommlink spuckt eine abonnierten Nachrichtenmeldung aus: „Für die folgenden drei Tage wurde eine Unwetterwarnung für die obere Westküste herausgegeben, unter anderem Seattle. Bewohnern der betroffenen Region wird empfohlen Lebensmittel für die nächste Woche zu kaufen und zu Hause abzuwarten, bis Entwarnung von der Regierung gegeben wird. Durch das Tief ‚Erebos’ werden nach Berechnung des meteorologischen Instituts Seattle vermutlich schlimmste Orkane und Fluten einsetzen. Und nun viel Spaß mit...“
Du überlegst kurz, was du noch brauchst, bist in Gedanken versunken und schon auf dem Weg zur Kasse, als es dir einfällt. Wie willst du gemütlich zuhause sitzen und die Naturgewalten draußen in deinem Trid drinnen sehen und dabei gemütlich speisen, wenn du keinen Rotwein hast. Die meisten lohnenden Objekte würden die nächsten Tage ihren Betrieb reduzieren und boten damit weniger Anreiz als Gefahr, du hast also noch keine besonderen Pläne und von daher beschlossen, erst einmal die Früchte des letzten Beutezugs zu genießen. Zu deinem Glück aus Pasta und Trunkenheit fehlt alleinig noch der passende Vino.
Der Squatter, der dir vorhin bereits aufgefallen war, nimmt sich gerade die letzte Flasche aus dem Regal und legt sie in seinen Einkaufswagen in dem sich vornehmlich Alkoholika und recht wenig konventionelle ‚Bitte bevorraten sie sich’-Artikel tümmeln. Ohne es zu wollen bist du ein wenig echauffiert, missmutig funkelst du den alten Vollbärtigen in seinem abgetragenen Parka und zerschlissenen Kapuzenpullover an. Lockige graue Haare werden von einer speckigen White Sox-Kappe in Zaum gehalten, im Gegensatz zu seinem strahlenden Frohlocken ob des Barolo, den er fachmännisch studiert.
In dir grollt die Frustration, dieser Tag ist bislang gekennzeichnet von dem Omen des Verlusts. Abergläubisch oder nicht, dich beschleicht das Gefühl, erst die Spitze des Eisbergs gesehen zu haben und dass du im Begriff bist, auf etwas Gefährliches zuzusteuern, dass im D U N K E L des Wassers liegt.
Susan:
Du wachst auf und es ist D U N K E L. Du hast keine Ahnung, wie lange du geschlafen hast, aber es war so lange, dass du schon wieder erschöpft bist; deine Beine sind schwer wie Plastahl, dein Rücken schmerzt, in deinen Schläfen drückt ein dumpfes Pochen. Um dich herum herrscht vollkommene Dunkelheit, es biete sich keinerlei Anhaltspunkt wo du bist. Oder wer du bist, flüstert fragend die leise Stimme des unterbewussten Es.
Du schrickst auf als hätte dich ein Stromstoß getroffen, wirst nach wenigen Zentimetern aber bereits durch eine feste Oberfläche aufgehalten. Der Schmerz hinter deiner Stirn raubt dir fast die Sinne, die dünne Polsterung hat nicht viel zur Energieaufnahme beigetragen. Du besinnst dich eines Besseren und tastest vorsichtig um dich, dem Rätsel der Deprivation nachgehend.
Du liegst auf dem Rücken auf einer einigermaßen weichen Unterlage, deren kaum nachgiebige Dicke eine Erklärung für deine körperlichen Beschwerden und plötzliches Erwachen sein könnte. Direkt links von dir befindet sich eine ebenso beschaffene Wand, deine Rechte kannst du halb ausstrecken bevor auch sie auf glattes Lederimitat trifft. Am meisten beunruhigt dich aber die niedrige Decke, knapp einen halben Meter über dir, die deinen ersten Bewegungsimpuls so schmerzhaft einschränkte und dir gerade genug Freiraum ermöglicht dich auf die andere Seite zu drehen oder zu kriechen. Eine Zusammenfassung der bekannten Fakten drängt dir die Assoziation eines Sargs auf; es ist dunkel, es ist vollkommen still und du bist in einer harten und kaum gepolsterten Kiste.
Panik überrollt dich, du spürst gar nicht wie sich die Fingernägel blutig in deine Handballen bohren als du kreischend gegen die feste Platte über dir hämmerst. Deine Angst wird noch verstärkt durch die Erkenntnis, dass dir das Wissen fehlt wie du in diese Lage gekommen bist. Du strampelst mit den Beinen, die immer wieder gegen die Begrenzungen deines Verlieses stoßen, aber du bist über den Schmerz erhaben, von reinem Überlebenswillen getrieben. Der einzige Schmerz, den du verspürst, kommt aus dir selbst, aus deinem Inneren; die Angst vor dem Sterben, das Klammern am die ferne Flamme des Lebens, das letzte Aufbäumen vor dem Ende. Du hast das Gefühl, dass mit jeder Anstrengung die Luft in dem beengten Kasten weniger wird, der Kloß in deiner Kehle schnürt sogar das Schluchzen ab.
Machtlos und ermattet bleibst du liegen, dies muss ein unglaublicher Irrtum sein, ein Traum. Aber du bist bereits erwacht.
Urban:
D U N K E L kannst du dich an die düsteren Seitenstraßen in der Nähe der ‚New Eden Mall’ erinnern, der Palast des Konsums stand in scharfem Kontrast zu der Baufälligkeit nur einen Block weiter, ein Anblick der den Geldsäcken natürlich dank schlagfestem Sicherheitsdienst erspart wurde. Das Juwel der nuyenschweren Sararimänner lag inmitten von Ganggebiet.
Die ‚Crimson Crush’ beanspruchen ein gewissen Teil davon für sich und mit der Explosion des Einkaufszentrums ist die gesamte Gang in Aufruhr. Die anderen Gangs wollen die Gunst der Stunde nutzen um ihr Gebiet zu vergrößern, sind aufgescheucht zu ihren Turfgrenzen aufgebrochen und scheinen einen Angriff vorzubereiten. Es hat bereits erste Scharmützel gegeben. Ironie des Schicksals, dass jede Gang die Schutzhaltung der anderen als Aggression betrachtet und ihrerseits zur Verteidigung aufruft, ein paradoxer Teufelskreis.
Du wurdest beauftragt, den StufferShack zu beschützen. Die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs der ‚Blue Blunts’ ist im ungewissen Mittelfeld, du sollst hauptsächlich Präsenz zeigen für die hamsterkaufenden Bürger. Ob es nur an den bevorstehenden Konflikten liegt oder an deiner Wetterfühligkeit, es liegt etwas in der Luft und du musst bestimmt keine Meteorologe sein um zu wissen, dass ein Sturm aufzieht wie ihn Seattle selten erlebt hat.
Hank:
Es wird langsam D U N K E L, Flutlichtmasten wurden aufgestellt und tauchen die Szenerie aus Staub und Verwüstung in ein steriles Schattenspiel. Euer Team gehört zur zweiten Reihe, wartet am Rande des großräumig abgesperrten Bereichs und versorgt Leichtverletzte. Du bist Stress gewohnt und hast auch bereits den Schauplatz eines Gangkriegs miterlebt, aber die eingestürzte Mall ist eine völlig andere Dimension. Dutzende von Verletzten, Trümmer, Tote; mehr als genug zu tun für DocWagon. Der Katastrophenschutz hat sofort gegriffen, die Leitzentrale schnell reagiert, die Lage ist unter Kontrolle.
In der Peripherie, nahe den gaffenden Schaulustigen, wissbegierigen Reportern und gestressten Polizisten, ist das Unglück für dich in Sichtweite aber doch in einer unwirklichen Distanz; wenn du nicht an den blinkenden Lichtern vorbei zu dem schwelenden Berg, der vor kurzem eine luxuriöse Mall war, schaust sondern nur auf deine latexbehandschuhten Hände, könnte es ein ganz normaler langweiliger Dienst an einem ganz normalen Tag sein. Du wischt Staub, Blut und Schweiß, desinfizierst Platzwunden und sprühst aufschäumende Schnellverbände auf gebrochene Gliedmaßen. Du hast gar nicht erst angefangen, die Patienten zu zählen, es ist ein schier unablässiger Strom der seinen Weg auch zu dir findet. Die Polytraumata werden von den bereitstehenden Ospreys ausgeflogen, die meisten Verletzten werden von den HTR-Teams an vorderster Front versorgt – alles gute Prämien, die du gut gebrauchen könntest. Zu dir wird lediglich alle paar Minuten ein Metamensch mit Bagatellverletzungen und verstörtem Blick gebracht, in dessen leeren Augen du dich selbst zu spiegeln scheinst.
Das Geschehen liegt wie in großer Ferne, unwirklich und für dich nur durch einen sporadischen Überlebenden alle 10 Minuten validiert. Ein Grund mehr für einen neuen Job; du fühlst dich leer und ausgelaugt, dein Geist hat sich von deiner weltlichen Hülle abgekoppelt und schwebt über darüber, deren Tätigkeiten gleichgültig betrachtend, als wäre dein Körper ein Drohne, die du selber riggen würdest. Selbstentfremdung, ein weiterer Schritt auf dem Weg ins Ausbrennen, diagnostizierst du. Ohne dankbare Worte, geschockt von dem Einsturz, taumeln die Behandelten weiter und an dir vorbei, ihrem restlichen Leben als Zombie entgegen, du fühlst dich als einer von ihnen.