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Nachdem ihr beschlossen habt, Nicole zu einer Yokogawa-Klinik zu fahren, macht ihr euch zügig auf den Weg. Die nächste Klinik ist von eurem jetzigen Standort aus relativ weit entfernt, doch ein Routinecheck gibt euch die Gewissheit, dass die junge Frau nicht in akuter Lebensgefahr schwebt. Ao hat sich hinten in den Laderaum gesetzt, wo er von Azrael und Croaker bewacht wird. Die Straßen, die ihr durchfahrt, kennt ihr bereits von eurer Hinfahrt, und nach kurzer Zeit befindet ihr euch wieder im Betondschungel von Kowloon, der euch nun nicht mehr so heimtückisch und lauernd vorkommt, wie in den letzten Tagen. Ihr wisst, dass es keine Garantie dafür gibt, dass Chan nicht doch noch eine Racheaktion in die Wege leitet, doch Aos Argument, dass der gescheiterte Geschäftsmann wahrscheinlich vorerst um sein Leben rennen wird, erscheint euch durchaus vernünftig.
Als ihr die verfallenen Barracken und niedergerissenen Drahtzäune hinter euch gelassen habt, werdet ihr bereits von den Waves erwartet. Es ist ein wenig von diesem Gefühl in der Luft, als würde man nach Hause kommen, obwohl diese Vorstellung irgendwie grotesk erscheint, nach all dem, was bereits geschehen ist.
Mike steigt als erster aus, die schweren Waffen bereit haltend, um sie den Waves zur zeitweiligen Lagerung anzuvertrauen. Er bemerkt Tao als dieser ihm auf dem rissigen Asphalt entgegen kommt. Der große Chinese nimmt ihm einige der Sachen ab und trägt sie dann ins Innere des Gebäudes. Als ihr den beiden folgt, seht ihr die Waves in einer sauberen Linie aufgereiht, so als wären sie ein formelles Begrüßungskomitee. Es ist nicht üblich, Gefühle zu zeigen, und wenn doch, dann sind diese eher nur komplizierte Fassade für das, was sich wirklich in den Menschen verbirgt, und doch habt ihr das Gefühl, dass die Waves froh sind, euch zurück zu wissen. Yu tritt euch als erster entgegen. Sein Blick zeugt von tiefstem Respekt für eure Taten und ist mehr wert als alle Worte oder Bekundigungen, die der Chinese euch hätte übermitteln können. Nachdem Tao die Sachen eingelagert hat, kommt auch er zu der Gruppe dazu. Sein Blick gilt vor allem Mike, dem er sich in seiner kämpferischen Natur sehr verbunden fühlt, während Miu leise mit Azrael tuschelt. Doch der Moment des Wiedersehens endet schnell, da ihr Nicole so rasch wie möglich in medizinische Versorgung geben wollt. Fast ohne Wort verabschiedet ihr euch mit der Gewissheit, die Waves nicht zum letzten Mal gesehen zu haben. Nur wenige Minuten später, die Kleidung dem Flair von Downtown angepasst, befindet ihr euch wieder im Van und fahrt in das glitzernde Wolkenkratzermeer von Hong Kongs Herz. Ein letztes Mal ziehen die zahllosen Eindrücke dieses faszinierenden Metroplexes an euch vorbei, bricht sich das Licht endloser Neonreklamen an den polarisierten Fenstern eures Wagens.
In der Yokogawa-Klinik nimmt man sich der jungen Nicole sofort an, als man sich ihrer Kreditwürdigkeit bewusst wird. Die Räume der Klinik sind steril und angenehm klimatisiert. Eine hübsche Japanerin in Konzernkleidung begleitet euch in ein abgesondertes Wartezimmer, während Nicole auf einem selbstfahrenden Krankenbett in den langen, weißen Fluren der Klinik verschwindet.
Als sich die Plexiglastür hinter euch geschlossen hat, bemerkt ihr den Mann im Anzug, welcher aus dem Panorama-Fenster über die Skyline von Hong Kong starrt.
Der Amerikaner dreht sich zu euch um und reicht jedem einzelnen von euch die Hand.
"Sie haben gute Arbeit geleistet. Ich möchte mich persönlich bei Ihnen dafür bedanken, dass sie mir meine Tochter zurückgegeben haben; auch wenn es einige Verluste gegeben hat."
Aus seiner Tasche entnimmt Mr. Smith sorgsam vorbereitete, beglaubigte Credsticks, deren rotschimmernde Dislpays den Betrag zeigen, welcher eure Runner-Herzen höher schlagen lässt.
Ihr habt es tatsächlich geschafft... obwohl; eine Sache bliebe noch zu klären: Ao. Ein Mann, der ganz eigenen, bisher recht undurchsichtigen Prinzipien zu folgen scheint, und der in diesem intrigenreichen Spiel asiatischen Kalküls lange Zeit ein unberechenbarer Faktor gewesen ist. Selbst jetzt, könnt ihr nicht sagen, wer oder was dieser Ao tatsächlich ist, obwohl er sich auf dem Weg bis zu Klinik völlig kooperativ verhalten hat.
Als ihr wieder am Van ankommt, der in einer der zahlreichen Parkbuchten in der vollautomatisierten Tiefgarage der Yokogawa-Klinik steht, sitzt der Javane noch immer seelenruhig auf dem Klappstuhl im Laderaum. Bereits zuvor hattet ihr dem Mann jede Möglichkeit genommen, sich bemerkbar zu machen oder aus dem Fahrzeug zu entkommen. Doch Ao scheint Wort zu halten, und hat scheinbar gar nicht erst versuchen, das Fahrzeug zu verlassen.