[IP] Bewährungsprobe

#21 – SL

Hem:
„Hat sie zumindest gesagt… Laß dich überraschen!“ lacht Yoshi. „Ich wünsch dir viel Erfolg! Sowohl beim Kopf freimachen als auch beim Kopf behalten. So long! Bis demnächst, chummer!“ Hem hört förmlich wie sein ferner Freund den Kopf schüttelt vor Ungläubigkeit. Schriftsteller! Soll die einer verstehen…

Cooper:
Der Gang in den stinkenden Verschlag war nicht das Schlimmste, auch nicht als Cooper auf einem Kothaufen strauchelte und seine Hand, mit der sich an der Wand abstützte, daran kleben blieb. Gebeugt steht er schon seit drei Minuten über der verrosteten Edelstahlrinne und betrachtet verzweifelt die matte Strömung anhand von Zigarettenkippen und Einmalspritzen. Es war absolut paradox, er hat einen unaufhaltsamen Harndrang, fürchtet sich aber vor noch mehr Schmerzen. Doch er kann nicht anders – dunkelrote Flüssigkeit plätschert und verwandelt das Urinal in ein faszinierendes Batik-Mandala.

Brute zuckte zusammen und ließ fast ein fettschmieriges Glas fallen als er den unmenschliches Schrei hörte.

#23 – SL

Hem:
Du bist nicht sonderlich überrascht dass der billige Autopilot die Adresse nicht erkennt, also gibst du einfach die von Yoshi beschriebene Richtung ein und lässt den Wagen lossummen. Dein Zielgebiet ist nur spärlich exakt kartographiert, es überwiegen Angaben wie 'veraltet' oder 'nicht erfasst'; die Sicherheitsstufe wird durchgängig mit E angegeben, du vermutest, dass sie in der Nähe vom viel versprechenden ‚Brain Heaven’ wahrscheinlich eher Z – nicht existent – ist. Du kontrollierst ein weiteres Mal deine Ausrüstung während die Elektronik dich gemütlich in südliche Richtung lenkt.

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#24

Kaum dass er auf dem Boden lag, kam ein Ork zu ihm gestürzt, wohl sein chummer. Mir soll’s recht sein. War seine Idee mit den Getränken, also soll er seinen Drink kriegen. Hat gut gekämpft.

Ich stehe über ihm mit bebenden Muskeln, mein Atem hat sich schon wieder beruhigt. Einige klopfen mir auf die Schulter, Dario schiebt sich durch die Masse und zieht mich beseite. Der nächste Kampf geht gleich los, er drückt mir meine Jacke in die Hand. Ich sammel den Typen vom Boden auf und hänge ihn mir über die Schulter. Sein Kumpel will auf mich losgehen, aber Dario wirft mir einen Seitenblick zu, ich nicke und er beruhigt den Ork. Gleich wird er mit ihm in sein ‚Büro’ gehen und ihm ein Angebot machen. Dario rühmt sich nicht nur seiner Kontakte, er hat tatsächlich welche und vermittelt ab und zu Aufträge. Meist nur Kleinkram, aber der Typ den ich ins das Auto meiner Schwester schleife, darf sich vielleicht zu den Glücklichen schätzen. Dario braucht gute Kämpfer, ich helfe ihm nur bei der Auswahl.

Ich fahre ein paar Blocks weit ins ‚Brute Force’, dreckiges Loch, aber keiner stellt unnütze Fragen. In meiner Jackentasche klimpern 250 Nuyen, Kopfgeld. Ich muss grinsen; ein Glück dass der Star weit weg ist in den Barrens und dass meine Schwester mich nicht sieht; Olgas Tsarina mit ihrem blutbespritzem Bruder, neben sich einen Typen mit Stiefelabdruck statt Gesicht; würde sie nicht freuen. Mein blödes Grinsen hört schlagartig auf als das Stimpatch aufhört zu wirken, der Schädel dröhnt. Ich setze nur Darios neuen Mann auf den Hocker und dann verdrücke ich mich. Muss schlafen, morgen ist Sonntag.

#29 – SL

Cooper:
Mit einem Schulterzucken lässt der Ork das Geld in seiner speckigen Kitteltasche verschwinden. Er weiß zwar nicht wofür er die Nuyen verdient hätte, aber das ist ihm schlichtweg – wie so vieles anderes auch – gleichgültig.
Cooper hat unglaubliche Kopfschmerzen, ist müde und will nur noch nach Hause. Er seufzt, atmet tief durch, und bereut es angesichts des Gestanks sofort wieder. Gerade als er überlegt, ob es klug wäre vor dem ‚Brute Force’ zu warten, öffnet sich die Tür und Butcher kommt herein. Cooper bemerkt die Anspannung bei seinem Chummer, den Griff der Pistole deutlich sichtbar, die Augen zischen beständig über die Umgebung. „Ok, da bin ich!“ raunt er Cooper zu. „Lass uns verschwinden.“

Hem:
Unvermittelt bremst der Wagen ab. Du befürchtest schon das Schlimmste, eine Panne oder einen Überfall (was beides aufs Gleiche - nämlich dass dein Blut aus dir - hinausläuft), es ist jedoch nur das Abschiedsgeschenk des Autopiloten. Die 228th Ave. ist zwar eine Hauptstraße, dass heißt jedoch nicht zwingend, dass es nicht möglich wäre die Stromleitungen des GridGuide herauszureißen und zu verhökern. Die letzten Kilometer musst du wohl oder übel manuell steuern.

Raptor:
Du bist gerade am ‘The Mad Woman’ vorbeigefahren, also musst du noch ein ganzes Stück tiefer in die Barrens. Der Laden war früher ein Treffpunkt arbeitsloser Schattenläufer, jetzt treffen sich in dem Gemäuer schattenlaufende Arbeitslose; die Gegend geht gewaltig den Bach runter, noch weiter als sie längst ist.

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#36

Als ich nach Hause komme stehen – wie immer – drei Ganger im Hauseingang, das weiße Shirt ordentlich in der Jeans, Panzerjacke, Kopf kahlrasiert. Ich schiebe mich wortlos an ihnen vorbei. Gesindel. Boško und seine Gang beanspruchen das Haus als Hauptquartier für die ‚Avondale Arians’ und so sieht die Wohnung auch aus, eine Mischung aus Hehlerlager und Wertstoffhof, dazu Party rund um die Uhr. Meine Schwester ist mit Boško schon lange verheiratet und versucht in dem Müllhaufen einen einigermaßen ordentlichen Haushalt zu führen, aber die gut dreißig Mann beanspruchen alles für sich. Nur das Schlafzimmer ist tabu. Im Gegenzug bietet die Gang eine ausgezeichnete Sicherheit, finde ich so schnell nicht wieder. Was nicht heißt dass die Arians es schaffen würden endlich mal die durchgebrannten Glühbirnen im Treppenhaus auszuwechseln, zum Glück brauche ich kein Licht, hab mein eigenes.

Auf dem Flur im zweiten Stock muss ich mich an diversen Kartons mit Altglas vorbeischlängeln, dazwischen Computerteile und ein ausgeschlachtetes Motorrad. Klauen alles, was ihnen unter die Finger kommt. Letzten Monat stand ein halber Americar im Wohnzimmer.

Ich trete den Hund vom Küchenstuhl, frag mich warum die scheiß Töle noch nicht verreckt ist. Boško hat Ambitionen einen neuen Policlub aufzumachen und hält sich als Haustier einen beschissenen Pudel. Wenigstens habe ich meine Ruhe, er ist nicht da und kann sich auch nicht über das Winseln seines ach so geliebten Fluffy beschweren. Sind wohl wieder unterwegs und suchen harmlose Metas, die sie aufmischen können, ihre Art von Freizeitgestaltung. Olga ist auch unterwegs, zieht mit ihren Connections durch die Kneipen und tauscht den neuesten Klatsch aus. Mein Essen steht in der Mikrowelle. Ich mache mir zwischen Tittenheften und leeren Bierflaschen etwas Platz und verdrücke die dampfende Sojapampe. Heute mit Kohlgeschmack. Der Hunger treibt’s rein.

Ich ziehe die Yin Ling mit ein paar hastigen Zügen weg, drücke die Kippe in den Teller, fällt sowieso nicht auf in diesem Drecksloch. Müde schleppe ich mich zu meinem Zimmer, öffne die Magschlösser, Garant auf Privatsphäre, und schließe sie sorgsam hinter mir. Zwischen die Ritzen des zugenagelten Fensters dringen ein paar Lichtfetzen. Säuberlich schmeiße ich meine Klamotten auf den Hümpel in der Ecke. Rauche noch eine. Mache ein paar Dutzend Liegestütze um die Kopfschmerzen zu vertreiben. Hilft auch nicht viel. Ich leg mich auf meine Matratze, zieh das muffelige Laken über mich und starre an die Decke.

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#38

Nach vier Stunden wache ich wieder auf, mehr Schlaf brauche ich nicht. Ich schlüpfe in den grauen Kapuzenpullover und die Trainingshose, ein Messer wandert in den Stiefelschaft und ich hänge mir das Katana über die Schulter. Dann gehe ich ein paar Kilometer Laufen. Morgens um halb fünf lässt es sich in Redmond recht gut aushalten, das meiste Gesocks hat Feierabend und die wenigen Rechtschaffenen schlafen noch. Klammer Nebel liegt auf der Straße, die Luft ist schneidend kalt.
Ein paar Runden um den Block, immer wieder, drei Straßenzüge joggen, dann Sprint durch die verwinkelten Hinterhöfe. Immer wieder. Vor ein paar Monaten meinten ein paar Halbstarke, dass der einsame Jogger vielleicht ein lohnendes Ziel sei und wedelten mit ihren Handouts herum. Man hatte noch nicht alle ihre Einzelteile gefunden, da hatte sich schon herumgesprochen, dass ich bei meinem morgendlichen Training nicht gestört werden möchte.
Als ich merke dass meine Kondition nachlässt mache ich einen Schlenker zum alten Gerichtsgebäude und laufe in paar Mal die Treppen auf und ab, jede Stufe. Die 5 Blocks nach Hause lege ich im Sprint zurück.
Mit keuchendem Atem komme ich an, meine Lunge schmerzt von der kalten Luft, meine Knie schwanken. Der durchschwitzte Pullover fliegt auf den Haufen. Ich nehme die bleigefüllte Stahlstange und malträtiere meine zitternden Muskeln zu den Katas. Angriffsposition, Schritt, Schlag. Angriffsposition, Schritt, Schlag. Die Kunst des Schwertkampfes liegt daran, die Klinge nur durch Fleisch schneiden zu lassen; die meisten Anfänger blocken den Schwung nicht ab und müssen im blutigen Kampf dann mühsam ihr Schwert aus gespaltenen Knochen ziehen. Angriffsposition, Schritt, Schlag. Die schwere Stange erzeugt mehr als doppelt so viel Schwung wie mein ausbalanciertes Katana. Wenn ich den Schwung der Stange rechtzeitig stoppen kann, klappt das mit dem Schwert noch besser. Angriffsposition, Schritt, Schlag. Meine Muskeln ächzen unter der abrupten Belastung, Schweiß läuft meinen Körper herunter, das Metall in meinen Händen wird immer schwerer. Und weiter. Angriffsposition, Schritt, Schlag.
Klimpernd fällt das Rohr zu Boden, erschöpft sacke ich zusammen. Ich kann nicht mehr. Trotzdem klemme ich meine Füße unter das Regal und mich zu 100 Situps. Dann bleibe ich keuchend liegen. Genug für heute.

#39 – SL

Hem:
Das Schild mit der Aufschrift ‘Sammamish Falls’ ist nicht zu übersehen, eine verdreckte Asphaltpiste führt in ein offensichtlich verwaistes Industriegebiet. Diverse schlammgefüllte Schlaglöcher lassen deinen Mietwagen heftig schaukeln, du stellst erneut einen Vergleich mit Santiago auf. Etwa einen Kilometer weit bist du gefahren, vorbei an Ruinen von Werk- und Lagerhallen mit leeren Fenstern – die Natur hat sich struppig aber unaufhaltsam ihren Weg durch Beton und Plastahl gebahnt, als deine Fahrt abrupt durch einen alten gelben Schulbus beendet wird. Auf einer schmalen Gasse zwischen zwei Gebäuden steht der Truck quer und versperrt dir die Weiterfahrt. Du witterst einen Hinterhalt und willst schon den Rückwärtsgang reinknallen. Aus dem Augenwinkel bemerkst du einen schwarzen Schatten und würgst prompt den Methanmotor ab. Drek!
Neben der Fahrertür schiebt sich dir eine überlebensgroße Gestalt ins Sichtfeld, schwarze Vollrüstung, große Kanone. Circa in drei Metern Höhe nickt ein behelmter Kopf und du hörst ein lautsprecherverstärktes, aber unerwartet freundliches, „Guten Tag, Sir.“ Bei einer derart höflichen Begrüßung ist es sicherlich Zufall, dass das gyromontierte HV-LMG in deine Richtung zeigt. Der Tonfall bleibt zuvorkommend: „Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“