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Die Sonne brennt durch den diesigen Dunstschleier der Hannover schon seit über eine Woche unter erdrückend schwüler Hitze und stickiger, von Abgasen erfüllten Luft erdrückt. Jetzt, kurz nach Mittag, lässt sich kaum eine Gestalt auf der Straße blicken. Ein Teil der Bevölkerung verkriecht sich unter Brücken, Büschen und billigen Wellblechdächern und wartet auf die Nacht um ihre ganz eigenen Arbeit nachzugehen während der Großteil die angenehme Kühle von klimatisierten Büros und Wohnungen genießt, heißen Cappucchino oder kühle Longdrinks schlürft.
"Harry's", ein heruntergekommenes französisches Café im nicht minder herunter gekommenen Stadtteil Linden-Süd der Allianzhauptstadt, bietet nur wenig Zuflucht vor Hitze und Smog. Lediglich drei altersschwache Deckenventilatoren bemühen sich den abgestandenen Zigarettengeruch vom Vortag gleichmässig im Raum zu verteilen. Harry d'Etagnieau, der Besitzer des Café, versucht seiner zwanzig Jahre alten Kaffeemaschine vier Expressos zu entlocken und flucht sie in regelmässigen Abständen quer durch alle europäischen Sprachen an - bis auf Französisch, welches er seiner Aussage nach zwar fließend als Muttersprache beherrscht aber wie die Pest meidet. Ein einziges Mal habt ihr ihn ein einziges Wort Französisch sprechen gehört. "Merde!" war es was er mit derartiger Überzeugung und Inbrunst während eines Telefongespräches von sich gegeben hatte dass man meinte die Luft würde sich blau färben.
Gestern noch habt ihr die Gelegenheit genutzt beim "Rock am Maschsee" die erfolgreiche Erledigung eures Kurierauftrages bei lauter Musik und billigem Alkohol zu feiern, heute bereut ihr es. Ob Menge, Qualität oder die Mischung der von euch konsumierten Getränke daran Schuld ist wisst ihr nicht, aber ihr habt einen Kater, den man schon eher als Werwolf bezeichnen könnte - und "Harry's" ist der einzige Laden den ihr kennt der um diese Uhrzeit bereits ein paar echt gute, sauer eingelegte Heringe serviert um genau so einen Kater das Fürchten zu lehren. Allein, der Kaffee wird noch eine Weile auf sich warten lassen. Harry rühmt sich einen genießbaren Kaffee zu produzieren von dem er hoch und heilig verspricht keine Spuren von Soja und Erdnüssen zu enthalten - aber angesichts der Tatsache dass er beim Fluchen inzwischen bei Moldawisch angekommen ist lässt eure Hoffnungen auf einen seiner berühmten "Auftaucher" schwinden.
Kaffee und Salzheringe sind allerdings nicht der einzige Grund warum ihr euch hier rumtreibt. Das Harry's ist zwar weder ein angesagter Szeneclub noch eine berüchtigte Orkkneipe - aber vielleicht ist genau das der Grund warum Leute eures Schlages sich hierher verirren um Arbeit zu finden. Ein Schmidt mit Krawatte, Anzug und Aktenkoffer verirrt sich nur selten hierher. Dafür suchen hier Leute nach arbeitswilligen Helfern die bei den offiziellen Stellen keine Hilfe mehr erwarten können. Hierher kommt nicht wer den neuesten Prototypen einer hochgeheimen neuen Waffe... erm... besorgt haben möchte - sondern jemand der nach einem letzten Strohhalm bei der Suche nach seiner verschwundenen Tochter sucht nachdem die Polizei die Vermisstenanzeige unter P abgelegt hat. Hierher kommt nicht wer einen genialen Wissenschaftler... erm...anheuern möchte sondern jemand der unkonventionelle Hilfe gegen geldgierige Architekten sucht die ihm das Haus unter den Füßen abreißen und einen neuen Einkaufspark errichten wollen.
Hierher kommt jemand... nun... jemand wie die Frau die das Café gerade betritt.