Mühelos verlagerte Lysander seine Wahrnehmung wieder aus dem Astralraum in die mundane Welt und stellte die inzwischen leere Kaffeetasse mit leisem Klacken vor sich ab. Die leuchtenden Farben der Auren aller Lebewesen im Raum erloschen und die Farben der unbelebten Dinge kehrten zurück. Am Rande seines Sichtfeldes blendete sein Kommlink in der AR ein Textfeld mit Betsys Ansatzpunkten an. Gründlich wie immer. <Er sagt die Wahrheit, Elisabeth>, beantwortete Lysander ihre Frage lautlos. <Sergej, ich habe bereits einen Unternehmensbericht West Coast Cargos bekommen.> Er lud das umfangreiche Dokument mit einem Gedanken in ihr Netzwerk. <Meiner Meinung nach, belegt dieser Mr. Taylors Darstellung. Außerdem scheint es so, dass West Coast Cargo im vergangenen Jahr regelrecht vom Pech verfolgt war und so mehr und mehr in die schlechte wirtschaftliche Lage geriet, in der das Unternehmen sich jetzt befindet. Und, Elisabeth hat es schon mit weitaus weniger Detailinformationen erkannt, mir kommt das ebenso merkwürdig vor.>
In der Seitenstraße vor der Renton Center Mall, nahmen die Motorräder bedächtig Kurs auf die Kurve, mit der sie die südöstliche Ecke umrunden würden. Die beiden Sicherheitsgardisten blickten ihnen noch kurz hinterher und setzten ihre Patrouille zum südwestlichen Ende der Mall fort. Die Biker entfernten sich zwar aus Sergejs unmittelbarer WiFi-Reichweite innerhalb derer er verborgene Geräte aufspüren konnte, aber die getaggten AROs der Biker-Kommlinks nebst Pistole blieben sauber markiert.
„Mr. Taylor, wenn sie gestatten“, erwiderte Lysander, nach der kaum merklichen Pause des digitalen Gedankenaustauschs. „Es liegt nahe, dass die Täter über Insiderwissen verfügten. Haben sie einen Verdacht, wie sie daran gekommen sind?“ Sein Gesprächspartner erbleichte sichtlich. „Ich… wenn sie es so sagen, klingt es danach. Darauf bin ich nicht gekommen. Aber nur eine Handvoll Mitarbeiter wusste, wem das Lagerhaus tatsächlich gehört.“
„Was können sie uns über die Angreifer das Lagerhauses sagen?“, fragte Lysander sofort nach. Andrew Taylor zuckte leicht mit den Schultern. „Nur wenig. Natürlich gibt es Kameras im Lagerhaus und die sind mit dem Host unserer Niederlassung in Tacoma verbunden, aber alle Kameras sind unmittelbar vor dem Überfall ausgefallen. Das muss ein Hackerangriff gewesen sein. Unsere Lagerarbeiter berichteten, dass auch die Lichter ausgingen, deshalb haben sie nicht viel erkennen können, als sie aus der Halle getrieben. Zwei unserer Mitarbeiter wehrten sich und wurden angeschossen. Sie befinden sich im Tacoma Charity Health General in Behandlung.“ Er richtete sich etwas auf. „Selbstverständlich bin ich selbst zur Lagerhalle gefahren. Ein halbes Dutzend Gangmitglieder bewachte die Tore. Einer von ihnen muss mich erkannt haben. Er bedrohte mich mit einer Pistole und sagte, ich solle verschwinden, das sei jetzt ihr Lagerhaus.“ Seine Stimme erstarb.
Lysander dachte einen Moment nach und entschied sich. „Wir helfen ihnen, Mr. Taylor“, sagte er schlicht und streckte dem CEO seine Rechte entgegen. „Vielen Dank, Mr. Raven!“ Andrew Taylor ergriff Lysanders Hand über den makellos sauberen Tisch mit beiden Händen und drückte sie dankbar. „Sie sind unsere Rettung!“
„Noch etwas, Mr. Taylor, meine Mitarbeiter benötigen den Namen ihrer Scheinfirma, die Adresse und einen Lageplan des Lagerhauses, sowie Zugang zu ihrer Niederlassung.“ Sichtlich erleichtert, nickte Mr. Taylor eifrig und veranlasste in seiner AR die Übertragung einer Datei mit einer schematischen Darstellung des Lagerhauses, einer Lagerliste und den baulichen Sicherheitsmaßnahmen. Lysander verschob die erhaltene Datei direkt in ihr verschlüsseltes Netzwerk. „Die Firma heißt Clark Storage Ltd.“, fügte ihr Klient hinzu. „Der Mädchenname meiner Frau. Nicht besonders einfallsreich.“ Er zuckte verlegen mit den Schultern.
Vor der Mall verschwanden die beiden Sicherheitsleute um die südöstliche Ecke der Renton Center Mall und folgten der Außenwand des Gebäudes in nördlicher Richtung. Auch hier behielt Sergej die getaggte Holdoutpistole im Blickfeld. Sergej suchte standardmäßig nach weiteren versteckten Geräten. Plötzlich nahm deren Anzahl in seiner Reichweite von einem Moment zum nächsten unvermittelt zu.