Die vielen Gesichter der Schutzpatrone: Voodoo - Lakwa

  • Da das Straßenmagiebuch in dem Kapitel über die Verschiedenen Schutzpatrone in den Kulturkreisen auf sehr dünnem Eis unterwegs ist, hab ich mich für einen Char (Houngan, Voodoopriester) mal dran gesetzt, ein passendes Totem (Sprich: Loa) zu finden. Für's Verständnis: Der Char soll sich vor allem auf die Beschwörung von Geistern spezialisieren, das ist die Hauptaufgabe eines Houngan. Ein Houngan (Priester) kann im Voodoo gleichzeitig auch ein Bokor (Zauberer) sein, dann kämen Spruchzauberei und Verzaubern dazu, das hat bei mir aber einen geringeren Anteil am Konzept.
    Bei mir wird es also vor allem um Besessenheit von Geistergefäßen gehen, speziell Metamenschlichen. Zombies kann der Charakter (enginebedingt) natürlich auch beseelen, das passt auch in sofern ins Konzept, als das man vom "beidhändigen Dienen" spricht, also dem Angebot an den Bezahler, sowohl weiße als auch schwarze Magie zu wirken. Aus eigenem Antrieb wird er das wohl aber nicht tun. Weiter passen besessene Tiere nur selten zum Voodoo, besessene Gegenstände garnicht, auch wenn der Char das regeltechnisch tun könnte. Lebende und Tote Geistergefäße also.


    Das Feld der Loas ist riesig, man wird also nicht umhin kommen, entweder dem Buch (Schattenzauber) einfach so zu glauben, oder sich selbst ein Totem zu basteln, das dem Konzept entspricht. Allein für die Todesloas gibt es eine ganze Familie (Ghede), die verschiedene Aspekte abdeckt. Dazu kommt, dass die sich auch noch je nach Tradition (des Voodoo) unterscheiden. Im Schattenzauber ist nur "Ghede" genannt, gemeint ist "Papa Ghede", der Geist des ersten verstorbenen Mannes. Und nicht mal auf den trifft der "Finstere König" als Entsprechung zu. Geister dieser "Nanchon" (Nation) teilen Merkmale, die mit "laut, geil, morbide, frech und schelmisch" besser beschrieben sind. Sie alle sind tot, sie haben schon gelebt, sie teilen die Einstellung, dass sie nichts mehr zu verlieren haben und sich deshalb alles erlauben können. Von Ghede-Geistern besessene saufen zuerst den geopferten Schnaps (vermischt mit Schießpulver und jede Menge Chili), gießen dann den Rest über ihren Körper und essen dann das Glas auf. Das klingt ein bisschen übertrieben, macht aber das Konzept deutlich. Sicher sind sie auch furchterregend - sie treten gern als Skelette im Frack mit Zigarre auf (^^) - aber nicht nur: sie sind durchaus auch komisch und eloquent.
    "Finsterer König" als Schutzpatron ist furchterregend und kennt die Geheimnisse der Verstorbenen und hat Macht über sie, sagt Schattenzauber. Ghede-Geister allerdings können auch fair sein, einige von ihnen schützen mit aller Kraft Kinder vor dem zu frühen Tod, sie schützen jene, die sonst vor ihrer Zeit sterben würden. Alle Mitglieder der Ghede-Familie stehen sowohl für Tod als auch für Fruchtbarkeit! Am besten kann man die Ghede-Mentalität verstehen, wenn man sich ansieht, welche Aspekte ihre Anführer (oder Aspekte, je nach Form des Voodoo) verkörpern: Die Barone und Maman Brigitte.
    - Baron Samedi (Samstag): Flucht am laufenden Band, ist Bisexuell mit einer vorliebe für moralische Männer, raucht und säuft. Er tritt als Skelett mit Frack, Stock und Zylinder auf (wie die meisten Ghede-Geister). Er kann jeden Lebenden egal wie krank oder verletzt sofort heilen, wenn er der Meinung ist, dass er das wert ist. Wenn Samedi sich weigert das Grab auszuheben, wird der Mensch auf keinen Fall sterben. Was er für seine Dienste verlangt, hängt von seiner Stimmung ab. Passt das zu einem Grim Reaper, der mechanistisch die einsammelt, die dran sind? Eher nicht. (Übrigens, der oberste Totengott des Voodoo näselt ^^)
    - Baron La Croix (Kreuzung): Weltgewandt, gebildet, zynisch. Er antwortet stehts spöttisch, wenn er gefragt wird und findet den Tod so komisch wie absurd. Er ist der Inbegriff der Individualität, ihm ist völlig klar, dass auch die reichsten einfach so drauf gehen. Also ist sein Credo: Nutze den Tag. Ein absoluter Hedonist und Freund sexueller Ausschweifungen.
    - Baron Cimetière (Friedhof): So eine Art Nachtwächter der Friedhöfe, er wird als Totengräber dargestellt, mit einer Sonnenbrille, bei der ein Glas fehlt. Ansonsten ist er genauso frech und schelmisch, wie seine Kollegen. Bisschen gruseliger vielleicht. Der einzige, der ein bisschen zum finsteren König passt. Wäre er kein Schelm.
    - Baron Kriminel (Krimineller): Er ist ein Mörder, der zum Tode verurteilt wurde und wird angerufen, wenn es um schnelle Urteile geht. Besessene fluchen vor sich hin, spucken und versuchen Anwesende zu erstechen. Opfert man ihm etwas (zu essen), was er nicht mag, beißt er Bröckchen aus dem Arm des Besessenen. Er lässt sich ganz gerne "Hühnchen flambée" opfern. Ein lebendes Huhn in Benzin getunkt und angezündet, er mag das Kreischen und Zetern. Ziemlich boshafter Kollege. Abgesehen davon gewährt er gern Dienste auf einer Schuldbasis ("Du schuldest mir dafür etwas, irgendwann mal."). Er neigt dazu, zurück zu kommen und die Schuld einzufordern, zB am (Feier-)Tag der Toten.
    - Maman Brigitte: Flucht, zetert, beschützt Gräber, usw. Ihr wird für gewöhnlich das erste Grab eines Friedhofes gewidmet. Sie ist die Frau von Samedi und in einigen Traditionen (des Voodoo) gelten die beiden als "Eltern" der Ghede-Geister, die die Seelen der Toten einsammeln und ihnen Namen geben, wodurch sie existent werden.
    Dem folgen etliche mindere Geister, die der Ghede-Nanchon zuzuordnen sind: Papa Gede (der erste Mann, der gestorben ist) ist zB in einigen Traditionen die Gute Version von Samedi, der u.a. Kleinkinder vor dem Tod beschützt. Ghede Nibo ist ein gutaussehender (schwuler) junger Mann, der gewaltsam getötet wurde. Von ihm besessene neigen zu allerlei ... *hüst* sexuellen Ausschweifungen, Nibo ist der Patron derer, die jung sterben. Ghede Oussou und Ghede Masaka ("Massaker") sind ein androgynes Liebespaar und ebenfalls Begleiter der Toten. Die Liste ist nicht erschöpfend!


    Da dieser Totenbeschwörer-Aspekt ganz interessant klang (die übrigen im Schattenzauber beschriebenen Loa sind btw genauso schlecht recherchiert), habe ich mir überlegt, welcher Aspekt mir am besten gefallen könnte. Ich bin bei La Croix hängen geblieben, beim Schelm, beim Harlekin (dem von Batman, nich dem mit dem Cyberohr) mit dem Hang zum morbiden Humor. La Croix (oder Lakwa) ist nicht per se boshaft, aber er nimmt eben nichts ernst. Vor allem nicht die, die ganz besonders ernst genommen werden wollen. Beim Überfliegen fiel mir natürlich zuerst "Widersacher" ins Auge, aber Widersacher trifft es nicht ganz. Der Totenaspekt, der Carpe-Diem-Aspekt fehlt hier völlig, aber der Grundstock ist gut. Vor allem der Nachteil gefällt mir. Den Befehl eines anderen zu verweigern passt mir gut zum Loa und programmiert sicher auch spannende Streitigkeiten mit meinem Loa vor. Lakwa würde mir vielleicht nur um des Widersprechens willen widersprechen. Aber er ist auch Schicksal, er kennt das Unvermeidliche Ende des Lebens und beweist eine Tiefe Einsicht in die Natur des Menschen. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass La Croix Priester eher selten als gefügige Lohnsklaven enden und das passt zu meinem Straßenkonzept als Magier aus der Unterschicht. Am schwierigsten ist letztlich, das ganze in Werte zu fassen, die die wichtigsten Aspekte abdecken, hier also ein Vorschlag:


    Schutzpatron: Baron La Croix / Baron Lakwa (Haitianisches Voodoo)
    +2 Geister des Menschen: Lakwa ist nicht nur ein Kenner der Menschen, er ist ein Kenner der Seelen der Menschen, er begleitet die Toten, die im Voodoo eben als Geister des Menschen auftreten. Sicher wären auch die anderen Aspekte (Schutz, Arbeit, Ratgeber) denkbar gewesen, aber Lakwa ist kein Kämpfer (Schutz) und niemand dem ehrliche Arbeit etwas bedeutet (Arbeit/Helfer) und schon garnicht sind seine Sprüche sinnvoll oder ist es ratsam sie zu befolgen (Ratgeber), wenn man nicht als Hure/BTL-Junkie/Hungerleider enden will. Er steht für die Geister des Fehlbaren Menschen, des normalen, das ganz irdisch Menschliche eben.


    +2 Manipulationszauber oder Illusionszauber (eines Wählen): Lakwa ist ein Trickser, wie die meisten Ghede-Familienangehörige, dieser Aspekt sollte nicht fehlen. Lakwa veralbert die Menschen, er beeinflusst ihre Gefühle (Kontrollmanipulation: Mob-Laune) und will das leichtlebige Sein aus dem hartgesottensten Moralisten kitzeln. Das moralische Versagen ist für ihn die Erkenntnis, das ohnehin alles egal ist, was man tut. Der Tod ist sicher. Hier habe ich ein Weilchen geschwankt, denn auch Illusionszauber passen gut zum Trickser (von Unsichtbarkeit bis Orgasmus), aber ich habe mich für Manipulationszauber entschieden, weil hier der Aspekt der Wahrhaftigkeit stärker im Vordergrund steht. In seiner Eulenspiegel'schen Philosophie tut er eben nicht so, als wäre alles egal, was passiert, es ist egal. Letztlich ist es aber eine Geschmacks- und Auslegungsfrage, daher habe ich beide Möglichkeiten offen gelassen.


    Non-Konformismus (Willenskraft+Charisma(3)): La Croix mag keine Rechthaber und keine Wichtigtuer und keine Leute, die Glauben, man könne alles kaufen. Er mag keine Befehlsketten und keine Autorität. Er ist zwar selbst eine, aber nicht einmal davon macht er Gebrauch. Lakwa lässt sich nicht feiern, aber er gesteht dieses Recht auch keinem anderen zu. Der Mensch muss erkennen, dass der Tod der allerletzte Witz des Universums ist, dessen Pointe man bestenfalls auf dem Sterbebett begreift. Der Baron verhilft den Menschen zu einer frühen Erkenntnis.
    Wenn einem Anhänger von Lakwa etwas befohlen wird, was nicht seinem eigenen Antrieb entspringt (strikte Auslegung) oder seinen Idealen widerspricht (weite Auslegung), so muss er eine Probe auf Willenskraft und Charisma gegen 3 ablegen, um nicht seiner eigenen Entscheidung zu folgen, ungeachtet der Konsequenzen. Im Gegensatz zu Lakwa (der ja schon tot ist), ist dem Anhänger Lakwas bewusst, dass er unweigerlich sterben wird. Er gibt sich gewissermaßen in die Hand Lakwas und lebt das Leben genussvoll wie es kommt.


    Warum das alles? Weil es Verschwendung wäre, wenn ich mir das jetzt einfach nur auf dem Charzettel notieren würde. So fühlt sich vielleicht ein anderer inspiriert, einen Houngan zu spielen, der eben kein düsterer, mürrischer Bilderbuchtotenbeschwörer ist (vgl. "Serving the Loas with both Hands") sondern gut und böse, Hedonist und Henker, Clown und Philosoph. Und vielleicht einfach nur ein gemeiner Witz. ("Why so serious?")


    <<<Fröhliche Arschnachten, ihr Weinlöcher!>>> --chr0me


    PS: La Cross, La Croix und Lakwa sind identisch, nicht irritieren lassen. :)

  • Da ich mich mit dem Thema Voodoo auch schon ein wenig auseinandergesetzt habe, jedoch völlig ohne den Zusammenhang mit Shadowrun musste ich gerade gut lachen, als ich deinen Text gelesen habe. Ich finde die Idee einen Houngan zu spielen durchaus interessant und eine wahnsinnig lustige Vorstellung, gerade wenn wir von Ghede ausgehen. Dazu kann ich wirklich nur sagen das ich gerne mehr aus dem Bereich lesen würde und deine Idee aufgreifen werde, sollte ich mir den nächsten erwachten Charakter zusammen schustern :).


    Da ich leider nicht regelfest genug bin, um die Mechaniken und Möglichkeiten des Totems richtig deuten zu können finde ich den Nachteil aber schon sehr ausgeprägt, wenn auch passend ;).


    Liebe Grüße


    knuddel

    //loading backup protocoll
    //connection error
    //retrieving data from fileserver
    //logging on w/o secure system value: User_knuddeltrauma

  • Als Nachteil könnte auch in Frage kommen:
    -2 für Heilzauber: Lakwa hat kein Interesse daran, das unvermeidliche hinauszuzögern. Wenn es soweit ist, ist es soweit - warum also sollte ein Anhänger dieses Loas sich über die Prinzipien von Leben und Tod stellen?
    oder:
    -2 für Kampfzauber: Lakwa hat kein Interesse daran, das unvermeidliche zu beschleunigen. Wenn es soweit ist, ist es soweit - warum also sollte ein Anhänger dieses Loas sich über die Prinzipien von Leben und Tod stellen?


    lG chr0me

  • Klasse, danke für die Einsichten in Sachen Voodoo.
    Einer meiner Spieler wird mich wahrscheinlich mit einem Konzept für einen Ghul Houngan überraschen
    mit vorraussichtlich Baron Samedi als Schutzpatron. Aber ich finde Baron La Croix würde ihm besser stehen.


    Mit bestem Dank
    ProNice