Tacoma-Lakeland, Seattle, UCAS
Passt! Zufrieden nickend schließt Cleo die Heckklappe des Werkstattaufbaus auf der Ladefläche ihres Armadillos. Auf den ersten Blick wirkte es wie Ausrüstung und Material zur Reparatur von Haushaltselektronik. Die Reagenzgläser und das etwa auffälligere Werkzeug, mit dem klar werden würde, dass sie mit Sprengstoffen herumspielt, war sicher in den gepolsterten Schubladen verstaut und erst mit einem gründlichen zweiten Blick zu finden. Es war gestern schon spät gewesen als sie alles fertig gepackt hatte, lieber nochmal im wachen Zustand kontrollieren. Better safe than sorry!
Es gibt genug Leute, die gerne genug auf den zweiten Blick verzichten, wenn man die geltenden Gesetze nicht zu offensichtlich flexibel auslegt.
Sie trägt noch ihre Shorts und Tanktop in denen sie geschlafen hatte, als sie ihre Kaffeetasse wieder von der Werkbank nimmt, um zum Abzug in der Ecke zu gehen. So lange wie es gestern gedauert hatte alles zu mischen und fertig zu stellen, war es schon zu spät für eine Prüfung der Charge gewesen. Auch wenn die gemischte Infrastruktur von Lakeland nicht ganz so dicht mit Gebäuden zugepflastert war wie andere Teile Seattles so gab es in der Nähe ihrer kleinen Halle doch genug Apartments, in denen man hellhörig werden könnte.
Die Prüfvorrichtung war fertig geladen, so dass sie heute nur noch alles anschalten und den Knopf drücken musste. Inzwischen hört sie von draußen schon die ersten Liefer- und Lastwagen und auch das bisschen Brandgeruch aus dem Abzug würde bei laufendem Betrieb der Werkstätten und kleineren Firmen in der Umgebung nicht weiter auffallen.
Sie stellte die Messgeräte und den Lüfter an und zündete die Probeladung. Die kleine Menge detoniert mit einem dumpfen Knall, der die Panzerglasscheiben des Abzugs vibrieren lässt. In der Charge hatte sie eine etwas höhere Detonationsgeschwindigkeit angestrebt, damit sie mit weniger Dichte die gleiche Sprengkraft wie ein langsamerer Sprengstoff bringt.
Und weniger Dichte heißt weniger Lärm bei der Detonation, wer weiß wann das mal gut sein würde.
Das schwere Pendel zeigt den von ihr vorbestimmten Ausschlag an und mit den Sensoren ihrer Cyberaugen stellt sie zufrieden fest, dass die Delle in der Gegenplatte den korrekten Detonationsdruck widerspiegelt. Ihre Implantate helfen ihr die genaue Zusammensetzung zu berechnen, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen. Durch die positive Sauerstoffbilanz ihrer Mischung entstanden zwar keine Flammen, trotzdem war etwas mehr Rauch entstanden als sie erwartet hatte. Sie stellte den Abzug eine Stufe höher und war ziemlich zufrieden mit dem Ergebnis. Wer hätte damals gedacht, dass sie irgendwann mehr Zeit mit Zusammenmischen von Sprengstoffen als mit dem Entschärfen von Sprengsätzen verbringen würde.
Sie streckt sich ausgiebig um in ihrem Rücken die verspannten Muskeln von der konzentrierten Arbeit gestern zu lösen. Mal schauen was die Trainingspläne der anderen so sagen, Bewegung hilft halt doch am besten.
Sie spaziert an den Sofas für ihr „Heimkino“ vorbei zur Küche, um festzustellen, dass der Kühlschrank nicht wirklich irgendwas brauchbares mehr hergibt, jedenfalls kein Frühstück. Dann lieber ein spätes Frühstück im Hauptquartier oder Franklin soll ein paar von diesen Sandwiches aus seiner Nachricht gestern rüberwachsen lassen. Der Scherzkeks! Manchmal könnte man denken seine Sprüche sind ernst gemeint.
Sie steigt die offene Stahltreppe zur Empore nach oben um sich frische Klamotten zu holen und zumindest die Tagesdecke über’s Bett zu ziehen. Vermutlich wird sie die nächsten Tage sowieso im Hauptquartier bei den anderen bleiben.
Frisch geduscht in schwarzen Bootcut Jeans und einem königsblauen T-Shirt hängt sie sich noch ihre Kette um und geht an der Bilderserie im Popartstil von Galloping Gertie vorbei zu ihrem dunkelgrünen Truck. Das Licht das durch die Dachfenster und die Milchglasscheiben hereinfällt, bringt die kräftigen Farben der Bilder zum Leuchten. Es sind Aufnahmen vor, während und nach dem Einsturz, ein Sinnbild wie an Schwachstellen, ob jetzt geplant oder übersehen, schon geringe Kraft ausreichen kann, um zur vollständigen Zerstörung zu führen. Immer wieder faszinierend!
Sie wirft ihre anthrazitfarbene gepanzerte Lederjacke auf den Beifahrersitz und startet den Motor. Die etwas länger und tailliert geschnittene Jacke ist so angepasst, dass sie jederzeit das Werkzeug in ihrem Arm nutzen kann. Das Tor öffnet sich und sie fährt den Truck nach draußen. Sie wartet noch bis das Tor wieder fertig geschlossen und das Sicherheitssystem aktiviert ist, bevor sie nach Norden in Richtung Midway Park losfährt.
Direkt vom Midway Park Circle abgehend nimmt sie die Einfahrt in die Tiefgarage und fährt bis auf die unterste Ebene. Langsam öffnet sich das Tor zu Lysanders Fuhrpark und auch die meisten Maschinen des Teams stehen auf ihren Stellplätzen. Sie parkt ihren GMC Truck und macht sich auf den Weg zum Aufzug.