Ein ähnliches Problem wie Fox hatte ich in meiner RPG-Gruppe auch, auch wenn nicht direkt auf SR bezogen. Langjährige Rollenspielerfahrung war vorhanden, aber die Charaktere waren stets, nun, nach meinem Maßstab zu unausgefeilt.
Also habe ich damit begonnen, die Spieler vor der jeweiligen Spielsitzung Fragen zu ihren Charakteren zu stellen. Zum Beispiel, ob sie sich willentlich mit einem bösen Nekromaten einlassen würden, um ein Dorf gegen eine andere Böse Macht zu verteidigen. Neben der Antwort ließ ich mir auch eine Begründung liefern. So entwickelten die Spieler ihre Charaktere auch außerhalb des "Ingames" und waren, wenn eine ähnliche Situation später auftrat in der Lage, diese besser zu lösen, da sie bereits eine Argumentationsgrundlage für ihren Charakter hatten.
Neben diesen Fragen habe ich verstärkt "Gesinnungs"-Problematiken gestellt, bei denen sich die Charaktere selbst fragen mussten, was sie nun wollen. Etwa haben die Charaktere eine Hexe, die gezwungenermaßen gegen die Charaktere vorging, gefangen genommen. Diese hat um ihr Leben gebettelt, geheult und ihre mehr oder weniger tragische Geschichte erzählt. Am Ende wurde sie verschont. Unabhängig von dem Ergebnis, mussten sich die einzelnen Charaktere (sie schoben sich die Aufgabe des Richtens mehr oder weniger hin und her) damit auseinander setzen, wie sie mit einem Gegner umgehen sollten, der nur aus Zwängen ihr Gegner war und ob sie nach dem eigentlichen Kampf eine unbewaffnete, um ihr Leben flehende töten konnten.
Das ganze ging soweit, dass sich die Gruppenmagierin, die am Anfang von ihrem Spieler als kalt und eher gefühlslos beschrieben worden war, die mitleidvollste Person der Gruppe wurde, die am ehesten bereit war, in solchen Fällen zu vermitteln.
Durch einige Outtimebemerkungen dazu ist nun der Spieler der Magierin zu dem Schluss gekommen, diese Entwicklung zum "warmen" hin dadurch sichtbar zu machen, dass sie nun verstärkt dem Wasser und nicht mehr dem Eis anhängt.
Solche Ingame-Problematiken hängen natürlich von der Gruppe ab: In meiner Gruppe werden die meisten Gefangenen geschont und man geht eher "nett" mit den Gegnern um.
In Gruppen, wo jeder Gegner nur ein Lebenspunktekonto, ein Loot-Objekt und Erfahrungspunktekonto darstellt, kann man solche Problematiken und Charakterentwicklungen natürlich nur mit größerem Aufwand implementieren.
Manche Spieler haben sich gebessert, was ihr Characterplay angeht und können nun die Entscheidungen ihrer Chars besser ingame begründen. Anderen Spielern hat die "gezwungene" Ingame-Charakterentwicklung mit Prüfungen jeglicher Art nicht so gut gefallen, da die Action dadurch in den Hintergrund gerückt ist.
Das Ende vom Lied war, dass es wieder mehr Action geben wird als vorher um auf die Wünsche der Spieler einzugehen. Die Gewissensproplematiken werden zwar noch weiterhin kommen, nun aber eher gemäßigt.
Immerhin ist es ein Kompromiss, den alle am Spieltisch eingehen und jeder sollte Spaß haben.
Vielleicht solltest du das mit den Fragen vor der Spielsitzung auch mal ausprobieren. Es ist kein Eingriff in die Action oder zwingt den Charakteren nicht "real" eine unangenehme Situation auf, aber die Spieler machen sich Gedanken darüber "was wäre wenn mein Charakter in dieser Situation wäre?". Wichtig ist, dass eine Begründung für die Antworten kommen und seien sie auch recht einfach gestrikt. Eine typische erste Frage für SR könnte sein, ob die Shadowrunner eine junge Frau mit Kind umlegen würden, um ihre Spuren zu verwischen, da diese sonst als Zeugin auftreten könnte.
Gruß, Saratek