Zitat
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Teil 1
„Einen wunderschönen guten Morgen Seattle! Der Smog hält sich heute in Grenzen und man könnte fast die Sonne sehen. Die Tagestemperaturen werden vorraussichtl…“ Minions Faust lässt den altersschwachen Radiowecker verstummen und das bereits geborstene Plastikgehäuse knirschen. „Jaja, du mich auch.“ murmelt er und wälzt sich auf die Bettkante. Sein Blick wandert zu der halbleeren Flasche Soyfusel vom Vorabend neben dem wackeligen Nachttisch. Doch auch der Synthahol würde nicht gegen die Schmerzen helfen. Morgens sind sie am schlimmsten, nicht weil er mit seinen 36 Jahren schon zu alt wäre oder körperlich schwer gearbeitet hätte. Nein, die Kevlarknochen vom billigen Hinterhofchirurgen lassen vor allem morgens seinen ganzen Körper schmerzen. Damals wollte er härter werden, sich abstumpfen, auch gegen seine unbezwingbare Flut von Gefühlen. Damals, bevor auch noch der Rest seines Lebens den Bach runterging. Alles was ihm von damals geblieben ist, ist seine geliebte und zu teure Wohnung, ein Mausoleum der Erinnerungen, in dem Staubflocken tanzen im gedämpften und jalousiengesiebten Licht. Sie wirbeln und tanzen und legen sich auf die Holobilder seiner Tochter. Wie sie wohl jetzt aussehen mag?
Ächzend hievt er sich vom Futon, lässt die Gelenke knacken und kratzt sich am Sack. Er steigt in die altertümliche Duschwanne und säubert sich schnell. Schnell, weil sonst das lauwarme Wasser wegbleibt. Heute hat er Glück, dafür fällt beim Rasieren auf einmal der Strom aus. Verfluchte Grundversorgung. Ein prüfender Blick in den fast blinden Spiegel enthüllt ein asymmetrisches Gesicht („Ausdrucksstark“ hatte Muriel früher gesagt, „Hässlich“ wenn sie sich stritten) mit einem struppigen Dreitagebart. „Naja, geht noch so… Den Burgern wird es wohl egal sein.“
Pünktlich um 9 Uhr beginnt er seinen Dienst im McHugh’s, zieht seine Arbeitsuniform mit dem lächerlichen Hütchen an und verbringt 4 arbeitsreiche Stunden in Dunstschwaden von ranzigem Fett, eingepfercht zwischen standardisierten Geräten, standardisierter Nahrung und standardisiertem Lächeln. Ginge es nach den Konzernen würde das ganze Leben nach einer Gebrauchsanweisung im Aktenordner laufen. Genormte Brötchenhälfte, ein rund gezüchtetes Salatblatt (32,17cm²), SoyPattie, rote Soße, gelbe Soße (werden beide aus gleichem Container abgefüllt), exakt 5 Zwiebelkrümel, 2 plastifizierte Gurkenscheiben, Brötchenhälfte mit McHugh’s-Logo aus imitierten Sesamkörnern. Blinkende Sekundenanzeigen, fiepende Friteusen, quengelnde Kinder; der ganze Laden kotzt ihn an.
„Robert, auch wenn sie im produktorientierten Teil unserer gastronomischen Einrichtung tätig sind, der Kunde erwartet einen freundlichen und motivierten Service. Und sie möchten den Kunden doch nicht enttäuschen, oder?“ Speichellecker mit festgefrorenem Grinsen wie Greg Huang wurden für einen Job als Filialleiter geboren. Vor ihrem langweiligen, biederen Leben flüchten sie sich immer tiefer in ihre langweilige, biedere Arbeit. „Lasses gut sein, Greg. Wir sin’ hier alle am Limit, das weissu.“ Minion nickt Luisa Sanchez dankend zu. Die orkische Schichtleiterin ist der einzige vernünftige Mensch in dem ganzen Laden und irgendwie mag sie den hageren Ex-Knacki.
Als Bewährungsauflage wurde Minion zur „Resozialisierung“ ein Halbtagsjob verpasst, welchen genau durfte er sich aussuchen; willkommen in der freien Marktwirtschaft. Doch wer stellt schon einen ehemaligen Häftling ein, der sich von jeglicher Elektronik fernhalten muss. Besitz illegaler und nicht registrierter Hard- und Software, Datendiebstahl, Verletzung extraterritorialer Rechte und so weiter. Den Rest der Anklageschrift hatte er nicht mehr mitbekommen im Nebel des kalten BTL-Entzugs. So tief war er gesunken, hatte seinen gesamten Konzern-Lebensstil versetzt um sich in der elektronischen Glückseligkeit zu wahren. Schlotternd hatte er vor dem Richter gestanden und alles über sich geschehen lassen. Die Jahre in Queensboro haben ihn noch verbitterter gemacht. Nie wieder wollte er sich unterkriegen lassen. Und ist dann an Redfoot geraten. Charles Redding ist Bewährungshelfer mit guten Kontakten zu Richtern und Unterwelt, außerdem lässt er seine „Schutzbefohlenen“ für einen Hungerlohn auf Runs gehen. Natürlich gibt es genug Geschichten was mit Runnern geschehen sei, die nicht mehr für ihn arbeiten wollten. Robert ist erneut zu einem Schergen der Mächtigen geworden.