#7
"Guten Tag?" Der Anruf war fast sofort angenommen worden und die Stimme klang ersteinmal freundlich-abwartend. So schlimm schien die Uhrzeit also nicht zu sein.
"Guten Tag, hier ist Simon. Mir wurde Ihre Nummer gegeben, ich sollte mich bei Ihnen melden." Er fühlte sich bei diesem Satz reichlich lächerlich, aber die andere Seite schien das alles recht normal zu finden. Zumindest konnte Simon keine Überraschung aus der Antwort herauszuhören. wenn überhaupt wurde der Tonfall etwas persönlicher: "Ja, Jancis hatte Sie mir angekündigt. Ich freue mich, dass Sie es so schnell einrichten konnten." Jancis? Ach ja... Sie hatte kurz erwähnt, dass diese Leute sie unter anderem Namen kannten - Er war nur nicht 100% bei der Sache gewesen damals...
"Nun Mr. Simon, was halten Sie von einem kurzen Treffen? Nennen sie mich altmodisch, aber ich unterhalte mich lieber bei einem Getränk und in Person. Kennen Sie die Aurel-Bar? Vermutlich nicht..." Das Symbol für dem Empfang eines neuen Adresseintrags blitze in Simons Blickfeld auf."Ich habe heute Nachmittag etwas freie Zeit - sagen wir um halb drei?"
"... Klar, in Ordnung." Er hatte noch nicht mal nachgucken können wo diese Bar genau lag, aber was sollte er sonst schon sagen?
"Das freut mich - dann bis nachher, Mr. Simon."
Neugierig lies Simon sich die Adresse auf der Karte anzeigen. Die Bar schien nicht einmal besonders weit weg zu sein, nur einige Straßenzüge weiter. War das ein Zufall oder wusste dieser Mensch von der Lage seiner neuen Unterkunft? Beides wäre möglich - aber erstmal würde er sowieso einfach hingehen müssen... Inzwischen machte sich auch sein Magen bemerkbar und er inspizierte die Vorräte der Kochnische. Wie erwartet war einiges da. Nichts zu trinken... Im Moment war ihm das auch ganz recht so.
Zwei Tassen Kaffee und zwei Fertigsandwiches später beschloss er die verbleibende Zeit noch für etwas Training zu nutzen. Mit der unangenehmen Überraschung der Liegestütz von vorhin im Hinterkopf verbrachte er zwei Stunden mit einigen leichten Übungen und langen Pausen dazwischen. Auf keinen Fall würde er abgekämpft und fertig zu diesem Treffen gehen.
Eine kurze Dusche später griff er sich eine neue schwarze Hose und ein schlichtes dunkelblaues T-shirt. Beide waren dezent mit Kevlargewebe durchsetzt und genau in seiner Größe.
Na so ein Zufall...
Am Gürtel landeten ein Schnellziehholster sowie daneben ein Halter mit zwei Magazinen voll normaler Vollmantelgeschosse. Der registrierte Manhunter selbst war mit Gelmunition geladen und zusätzlich steckte Simon sich noch einen Teleskopschlagstock ein. Zwar war er überzeugt, mit dem meisten Straßenabschaum notfalls auch so fertig zu werden, aber er gehörte nicht zu den Leuten die bei sowas unnötige Risiken eingingen.
Über das T-Shirt zog er noch eine schwarze, besser gepanzerte Jacke, die er allerdings nur locker zumachte.
Er hatte immer noch etwa eineinhalb Stunden Zeit, die er nutzen wollte um zu Fuß gehen. Gerade von einem Motorrad aus konnte man sich einfach kein so gutes Bild von der Umgebung machen. Motorrad... Shit - Wenn das jetzt weg ist... Er verriegelte die Wohnung hinter sich und trat auf die Straße. Die Karre stand noch umberührt am Straßenrand. Erleichtert schüttelte Simon sich eine Zigarrette aus der Schachtel und nahm einen tiefen Zug. Glück gehabt, aber sowas sollte auch nicht wieder vorkommen... Die Gegend wirkte gar nicht so schlimm wie erwartet.
Er guckte vergeblich nach einem Zugang zu dem Hinterhof. Anscheinend war er nur durch den Hausflur selbst zu erreichen. Das war schlecht im Bezug auf Fluchtmöglichkeiten, aber gut um das Fahrzeug sicherer abzustellen. Kurzentschlossen schob er die Maschine an den einzelnen Wohnungstüren vorbei und in den Hof. Dort stellte er auch die Diebstahlerkennung auf sein Kommlink ein und aktivierte die Trackingfunktion. Mit dem Richtigen Passwort würde er die Maschine ab sofort orten können.
Theretisch jedenfalls, denn Simon machte sich wenig Illusionen darüber, wie lange ein guter Hacker brauchen würde um das zu umgehen - dafür hatte er zu lange mit einigen davon zusammengearbeitet. "Hacker" war schließlich nur eine andere Bezeichnung.
Schon von weitem fiel der teure Lincoln Mark V am Straßenrand auf. Vielleicht war sein Motorrad nicht über Nacht geklaut worden, aber hier eine Limousine zu parken war noch etwas anderes. Neugierig zoomte er sich das Fahrzeug und den gegenüberliegenden Eingang der Bar näher heran. In der Tür stand eine offensichtlich orkische Gestalt. Er trug einen weiß-grau gemusterten Tarnanzug, schwarze Stiefel und eine verspiegelte Sonnenbrille. Waffen waren so nicht zu erkennen, er lehnte einfach nur lässig mit verschränkten Armen neben der Tür. Simon brauchte nicht lange, um zu dem Schluss zu kommen, dass das martialische Outfit sehr berechnend gewählt war. Die Art, wie er sich regelmäßig umsah, gleichzeitig die ganze Umgebung im Blick hatte... Genau wie sich unter der vermeintlich lässigen Haltung eine gewisse Spannung, die Bereitschaft sofort zu handeln abzeichnete. Viele würden ihn wohl als billigen Schläger unterschätzen, aber in dem Ork dort steckte mehr, davon war Simon überzeugt.
Mit einem respektvollen Nicken ging er an ihm vorbei und betrat die Bar. Der Laden schien recht leer zu sein. Am Tresen lehnte ein einzelner Elf. Im Gegensatz zu dem Ork an der Tür trug er einen schlichten aber wohl teuren grauen Anzug. Sein Blick wanderte zu Simons Hüfte, wo dieser unter der Jacke die Waffe trug. Dann blickte er ihm in die Augen und schüttelte kurz den Kopf. Die Warnung war unmissverständlich.
Er deute zu einem der wenigen besetzten Tische.
Nur zwei Bodyguards? Natürlich könnten noch 10 Mann hinter dem Tresen hockten... Aber leise genug zu sein um Simons hochwertiger Audiowahnehmung in Verbindung mit den Geräuschfiltern zu entgegen wäre in einem so leeren Laden schon fast rekordverdächtig.
Er nahm Platz. Sein Gegenüber war ein Norm, vielleicht Mitte 40. Vom ersten Eindruck hätte er genauso gut irgendein aalglatter Mittelklassemanager sein können, akurates Äußeres, nichtssagender freundlicher Gesichtsausdruck. So langsam fing Simon an von diesem Getue hier genervt zu sein. Hätten sie nicht auch einfach telefonieren können? Reiß dich zusammen! Freundlich bleiben... Hat doch den ganzen Vormittag bestens geklappt...
"Ah, freut mich, dass Sie es einrichten konnten. Sie können mich übrigens Janus nennen."
Anstelle einer Antwort nickte Simon ihm freundlich zu, da konnte ihm nichts falsches rausrutschen. "Nun Mr Simon - ich will nicht neugierig erscheinen, aber was haben Sie eigentlich bisher gemacht?" "Hat... -Jancis Ihnen das nicht schon erzählt?" Er konnte sich nicht helfen, der Tonfall war doch leicht aggressiv gewesen. "Oh..." Seine Mundwinkel zuckten kurz, aber zum Glück eher amüsiert als verärgert. "Stimmt, wie dumm von mir... Warum die Dinge doppelt und dreifach bereden, nicht wahr?" Er blickte kurz zur Seite, wo auf einmal ein Kellner oder sowas stand. "Etwas zu trinken?" Wo kommt der denn her? Simon hatte ihn zwar kommen gehört, aber irgendwie hatte er die Informationen sich nicht bewusst gemacht... Was war los auf einmal? Seine Konzentration war wie weggeblasen und gereizt war er auch noch, völlig grundlos. "Ja, nen Drink... Wodka." Immerhin entging ihm nicht der kurze Blick des Barkeepers zu Janus und dessen unmerkliches Nicken. Ach, brauch ich jetzt schon deine Erlaubnis? Ein tiefer Atemzug, zurücklehnen, entspannen... Er zog die Zigarretten hervor. "Darf ich?" Janus nickte, immer noch freundlich, und Simon nahm einige wohltuende Züge.
Einen Moment später kam sein Getränk. Etwas zu eilig griff er nach dem Glas und versuchte dies durch einen besonders langgezogenen, scheinbar genießerischen ersten Schluck wieder auszugleichen.
"Wissen Sie, Simon... Jancis hat mir nicht erzählt was Sie früher gemacht haben, nur was Sie so können, angeblich. Sie scheint eine sehr hohe Meinung von Ihnen zu haben..." Auf einmal blickte Janus ihm über das gerade zum zweiten Schluck angesetzte Wodka-Glas hinweg direkt in die Augen.
"Und ich hoffe sehr, dass sie damit Recht hat...
Mein Vertrauen muss man sich gewöhnlich hart erarbeiten. Sie bekommen es erstmal gratis. Verspielen Sie das nicht... Dann stehen Ihnen vielleicht irgendwann mal einige interessante Türen offen..." Das gesagte hing einen Moment im Raum und innerlich ärgerte sich Simon über sich selbst. Den ganzen Tag noch keinen Drink, aber ausgerechnet jetzt... Was wusste dieser Janus?
Äußerlich unbeeindruckt drückte er die Zigarrette aus. "Nun, das klingt alles sehr schön, aber welche Rolle spielen Sie dabei eigentlich genau?" Er konnte sich die Antwort bereits denken, aber er wollte sicher sein.
"Oh, mein Geschäft sind Bekanntschaften - und es gibt einige Leute da draußen, die Personen wie Sie suchen...
Aber wie die Zeit vergeht, ich muss mich wohl schon wieder auf den Weg machen... Freut mich, Sie kennen gelernt zu haben. Ich kann sie unter der Nummer erreichen, von der Sie angerufen haben?"
Simon nickte.