[IP] Sinar Temaram / Zwielicht

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    Li glaubt im ersten Moment auch die Yakuza hätte die Strasse gesprengt um die Jade Blades zu erledigen. Aber das konnte nicht sein. Die Yaks waren für präzise Attentate bekannt und nicht für großflächige Kollateralschäden. Dennoch ist es sicher gut wenn Spark nach den Jungs schaut.


    "Gute Idee, sei vorsichtig Bruder." kommentiert er den Vorschlag den jungen Orkmagiers.


    Li wendet sich dem Major zu. Ob er sich vorstellen soll? Sicher hat Mas Hermann ihn schon angekündigt und er weiss wen er vor sich hat. Zum Glück ist Bomb nicht dabei um den Militär zu provozieren.
    Li verbeut sich leicht mit einem neutralen, weder unterwürfig noch unhöflichen "Selamat Malan Herr Major."

    Charaktere können auch nach der Charaktererschaffung schwanger werden, allerdings erhalten sie dadurch keinen Karmabonus.
    (Schattenhandbuch 2, Seite 165)

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    Hermanns Blick schweift flüchtig in die Richtung des Majors, der zustimmend nickt, als Spark seine Bitte vorbringt. Dann deutet der Mann auf die Sitzecke und setzt sich.


    "Mas Hermann hat mir davon erzählt, dass die Jade Blades sich in einem Konflikt mit der japanischen Unterwelt befinden. Wenn es gewünscht ist, könnte ich in dieser Sache vermitteln, wenn die Jade Blades sich dazu bereit erklären würden, einen Auftrag für mich auszuführen."


    Eröffnet Arianto an Li gerichtet.


    Derweil verlässt Sparks Astralleib dessen Körper und gleitet hinauf in den abendlichen Himmel über der Jalan Jaksa. Mit Mühe ruft Spark einen Geist herbei, spürt, dass das Band zwischen ihnen nur schwach ausgeprägt ist, merkt aber auch, dass die Herbeirufung ihn weniger angestrengt hat, als er erwartet hat.


    Glücklicherweise kennt Spark den Verlauf der Schnellstraße in- und auswendig, sodass es ihm im Astralraum überhaupt erst möglich ist, den Ort zu finden. Nur wenige Augenblicke später schwebt Spark über der Unfallstelle. Bereits aus der Entfernung nimmt er die negativen Schwingungen wahr, die sich im Astralraum wie Meereswogen in alle Richtungen ausbreiten und das Leid der Menschen unter ihm zur Quelle haben. Die Zerstörung ist auch aus dem Astralraum heraus betrachtet allumfassend. Ein ganzes Segment scheint in die Tiefe gestürzt zu sein und hat Strommasten, Häuserdächer und Fahrzeuge unter sich begraben. Dann nimmt er plötzlich zwei Auren wahr, die sich unterhalb der Schnellstraßenreste befinden.


    Bei der einen Gestalt handelt es sich um Iesye, Spark erkennt die Aura der Jade Blade sofort wieder. Sie muss mit ihrem Motorrad herabgestürzt sein, dann aber auf einen der herausragenden Stahlträger geschmettert sein, der sie vor dem Sturz in die Tiefe bewahrt hat. Die andere Gestalt - Spark vermutet Sai - klammert sich mit bloßen Händen verzweifelt an einen daneben liegenden Stahlträger, die Beine nach unten baumelnd. Dann rutscht eine Hand ab, lässt die Gestalt baumeln und fast in den Abgrund stürzen...

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    Spark schien schier verrrückt zu werden ob der Schwingungen, die der Anschlag auf der Astralebene verursacht hatte. Das Chaos würde nicht von Dauer sein, aber hier und jetzt erschien es ihm wie Klauen, die an seinen Nerven zerrten, krallenbewehrten Händen, die seinen Verstand in den Wahnsinn hinabreißen wollten.


    Dann erkennt er zwei bekannte Auren und schiere Verzweiflung gesellt sich zu dem Gefühlschaos. Er wusste grob, was Sai für Rico bedeutete und Iesye war eine Kameradin. Wie einfach erschien ihm rückblickend die Beschwörung des Geistes nahe Hermanns Villa, wiewohl der Ahne ihm zürnte und nur einen einzigen Dienst gewährte. Wenn er in seinem Körper gewesen wäre, hätten dem untersetzen Ork wohl die Schweißperlen auf der Stirn gestanden, als er fieberhaft nach einer Lösung suchte.


    "Hilf diesen beiden da aus ihrer misslichen Lage, Sai zuerst!" rief er nur Augenblicke später dem Geist zu, dazu verdammt, ein machtloser Beobachter des Dramas zu sein. Er würde einen weiteren Geist beschwören müssen, aber nicht hier. All dies würde Zeit kosten, Zeit, die seine Kameraden, nein seine Familie, nicht hatten ...


    "Bitte ihr Ahnen, lasst sie nicht sterben! Lasst sie mich retten! ging es ihm eindrücklich dirch den Kopf.

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    Fast schon widerwillig materialisiert sich der Geist und erhält damit eine stoffliche Gestalt. In Form eines Auswuchses des Sprawl, nur vage humanoid und gezeichnet vom Rot der Ziegeldächer, dem Grau der Straße und den undefinierbaren Farbabstufungen der Wellblechdächer, Plastikverkleidungen und Kunststoffüberdachungen, rast er hinab und packt, ohne sich anzukündigen, die am Rande des Todes baumelnde Sai. Er reißt sie mühelos nach oben und legt sie auf dem Asphalt der Schnellstraße ab, bevor er wieder nach unten eilt und sich Iesyes bewusstlosen Körper nimmt, um ihn ebenfalls auf die Straße zu betten. Gede und die anderen Jade Blades folgen dem dramatischen Schauspiel fassungslos. Nachdem er Sparks Befehl ausgeführt hat, ruht sein Blick noch einmal durchdringend auf seinem Beschwörer, und der astralreisende Magier meint sogar eine Spur von Feindseligkeit darin zu erkennen. Dann, ohne eine Wort, verlässt der Geist die diesseitige Welt und verschwindet. Jetzt liegt es an Gede und den anderen, Sai und Iesye, die aller Wahrscheinlichkeit nach verletzt sind, zu helfen. Aus dem Astralraum heraus kann Spark nicht viel mehr tun, als zu beobachten...

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    Oh Gott sei Dank! Allah war mir gnädig! ging es Spark durch den Kopf. Selbst der Geist suaer auf ihn gewesen war - Sai und Iesye waren vorerst gerettet. Ein leichtes Glücksgefühl überkam den Ork, trotz der furchtbaren Schwingungen des Ortes.


    Vielleicht helfen diese kleinen Dinge, den Astralraum schneller wieder in Ordnung zu bringen. hoffte er, bevor ihm einfiel, dass Gede und die anderen vielleicht für eine Erklärung dankbar wären. Mit einer nicht unerheblichen Willensanstrengung manifestierte sich Spark, so dass sein Astralleib durchscheinend für seine Gangkameraden sichtbar wurde.


    "Hi Gede, hi Leute. Bevor ihr euch wundert: Ich habe aus dem Trid von dem Anschlag erfahren und euch erkannt. Also wollte ich schauen, ob ich helfen kann und bin per Projektion hergekommen. Es war mein geist, der Sai und Iesye raufgeholt hat. Kümmert euch um sie und bringt alle hier weg! Wir sind noch bei Hermann! Ich muss wieder los."


    Er ließ die Manifestation wieder fallen und wollte schon fast verschwinden, als er es sich noch mal überlegte und sicherheitshalber die Auren der beiden noch einmal genauer unter die Lupe nahm. Nicht dass es irgendwelche ernsten Verletzungen gab, bei denen vielleicht ein Geist mit einem Heilen-Zauber den Unterschied zwischen Leben und Tod machen konnte ...

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    Im Chaos der Situation sind die Auren der beiden jungen Frauen für Spark nur schwer zu deuten. An Sais Armen erkennt der Jade Blade eindeutige Anzeichen für Verletzungen, während - bis auf einen deutlich zu erkennenden Schock - ansonsten keien Wunden zu entdecken sind. Iesye hingegen sieht eindeutig schwerer mitgenommen aus und bedarf sofortiger medizinischer oder magischer Unterstützung.

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    Drek! ging es Spark durch den Kopf, als er die üblen Spuren schwerer Verletzungen sah, die sich auf Iesyes AUra ausbreiteten. grellrote Fetzen roher Gewalt zogen sich über das natürliche Farbenspiel der Aura, unterbrochen von grellen Schlieren des Schmerzes. Er konnte förmlich spüren, wie der ganze Ort diese Schwingungen aufnahm, welche von der Unzahl der Verletzten oder gar Toten ausging. Er musste ihr sofort helfen, aber wenn er hier einen neuen Geist beschwor, würde ihn die Hintergrundstrahlung behindern.


    In Gedankenschnelle verließ er daher kurz den Unglücksort, gerade soweit, dass der Fluss des Manas wieder ungestört zu spüren war. Sein Waffenfokus tauchte nicht wieder auf, aber das Abbild der Drachenklaue pulsierte wieder in gewohnter Stärke an seiner Brust, beruhigend und mit dem Versprechen von mehr Macht. Dort rief er erneut nach einem Helfer aus der Welt der Geister. Erneut ging er im Grunde über seine Grenzen hinaus, als der Astralraum vor ihm zu flimmern begann und sich der Schemen einer humanoiden Gestalt abzeichnete. Spark meinte sich zu täuschen, als er für einen winzigen Augenblick einen untersetzen Mann zu erkennen glaubte, gewandet in einen dicken roten Mantel, besetzt mit weißem Pelz, doch dann verschwand das Bild und der Geist nahm die Form eines alten Gelehrten an, der ihn durch seine Brille neugierig anblickte.


    "Bambang, ihr habt nach Hilfe ersucht, Schmerzen quälen euch oder eure Sippe? Hilfe sollt ihr erhalten, ich, Xi Hua, gewähre euch fünf Bitten!" hörte SPark die Stimme des Geistes in seinem Kopf.


    Trotz der dramatischen Lage seiner Kameraden huschte ein kurzes Grinsen über das astrale Anglitz des Orks, besonders da er spürte, dass die Ströme des Manas zwar an ihm gerissen hatten, jedoch keinen Schaden angerichtet hatten.
    "Seid gegrüßt, ehrenwerter Xi Hua. Ja, Hilfe ist bitter nötig. Es gab ein großes Unglück und Verletzte. Folgt mir!"


    Mit diesen Worten machte er sich auf den Rückweg zu Sai, Iesye und den anderen. Er wies seinen Geist an, Iesye zu helfen, manifestierte sich vorher noch kurz um seinen Kameraden nochmals Bescheid zu geben, dann betrachtete er, wie sich sein Geist materialisierte, wobei er dabei zu schrumpfen schien.

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    Li nimmt gegenüber von Major Arianto Platz. Er hofft das Spark den Jade Blades helfen kann, sofern sie verletzt sind. Leider kann er ihn diesmal nicht unterstützen da es den Major sicher befremden würde wenn er sich in eine Drachengestalt verwandeln und davon fliegen würde.


    Stattdessen anwortet er dem Major:


    "Eine Vermittlung in diesem Konflikt wäre in der Tat wünschenswert. Ich denke niemand ist daran interessiert das die Lage weiter eskaliert."zumindest bis wir stark genug sind die Red Suns vollständig auszulöschen.


    Li hatte zwar ehr gehofft die Armee würde ihn mit Superwaffen ausstatten um alle Japaner zu töten. Aber wenn sie die Yakuza davon abhalten könnten sich einzumischen wäre schon viel gewonnen.
    "Um welche Art von Auftrag handelt es sich, wenn ich fragen darf."

    Charaktere können auch nach der Charaktererschaffung schwanger werden, allerdings erhalten sie dadurch keinen Karmabonus.
    (Schattenhandbuch 2, Seite 165)

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    Arianto streift sich über den schwarzen Schnurrbart und lächelt. Dass Li so direkt zur Sache kommt, scheint dem Offizier zu gefallen.


    "Das da."


    Antwortet der Mann knapp und deutet mit einer Kopfbewegung auf die chaotische, blutgeschwängerte Szenerie auf dem Trideoschirm.


    "Wie Sie vielleicht bereits vermutet haben, ist es ein gezieltes Werk und kein Unfall. Der Archipel ist durchsetzt mit fanatischen Splittergruppen: radikalen Muslimen, die den Gottesstaat wollen und fordern. Der Archipel lebt seit langer Zeit mit ihnen, aber es gibt Zeiten, wo sie sich wieder erheben und die Waffen sprechen lassen, anstatt zu predigen. Ich weiß nicht, ob Sie darüber informiert sind, aber in der Unterwelt hat es in den letzten Monaten gravierende Veränderungen gegeben."


    Arianto macht eine kurze Pause und genehmigt sich einen Schluck schwarzen Tees, den der Gastgeber hat anrichten lassen. Dann fährt er in gewohnt ruhiger, aber harter Stimme fort.


    "Einer der großen Akteure, Pak Selani, von manchen auch Raja Selani genannt, ist mysteriöserweise von der Bildfläche verschwunden und nun tobt ein Nachfolgekampf. Zwar konnte einer von Selanis Leutnants die Führung übernehmen, doch nicht jeder ist damit zu frieden. Mit dem Aufkeimen der Unruhen, nutzen nun auch die radikalen Islamisten die desolaten Zustände, um sich mit Terroranschlägen Gehör zu verschaffen. Doch diese Leute gehen nicht mehr direkt vor. Sie arbeiten verdeckt und stellen dann die Regierung als unfähig hin, die Menschen beschützen zu können. Diese Leute kennen die kampung, sind selbst aus ihnen hervorgekrochen. Schwierig für Aussenstehende, diese Leute aufzuspüren. Und nun sind sie in Jakarta Selatan. In der Heimat der Jade Blades."


    Das Lächeln des Majors ist kalt und grausam, und lässt sogar Hermann innehalten.


    "Können die Jade Blades diese Leute finden?"

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    Li ist nicht wirklich überrascht. Die Feindschaft, oder Konkurrenz, zwischen Militär und radikalen Islamisten ist bekannt. Früher belächelte man die Ideen der Streggläubigen die im ländlichen Regionen Javas sogar durchsetzten das Frauen nur im "Damensitz" auf Motorrädern mitfahren dürften da breitbeiniges Sitzen unanständig war. Man stelle sich vor jemand würde Beauty vorschlagen so Motorrad zu fahren. Aber inzwischen sind das Hauptfeindbild der Islamisten ganz klar Metamenschen und Erwachte. Also würde Li in beide Kategorien fallen. Dabei ist in Jakarta die tolerante Islamic Renaissance Movement glücklicherweise am einflussreichsten. Doch die Frage ist wie lange, sollte die Strategie der Terroristen aufgehen.


    "Können die Jade Blades diese Leute finden?"
    "Wenn sie sich in unserem Revier verkriechen werden wir sie finden, keine Frage. Sofern wir natürlich etwas Luft in in Richtung der Yakuza haben."
    Die Red Suns würden sie natürlich weiterhin bekämpfen jetzt wo es mit den Allianzen so gut läuft.

    Charaktere können auch nach der Charaktererschaffung schwanger werden, allerdings erhalten sie dadurch keinen Karmabonus.
    (Schattenhandbuch 2, Seite 165)

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    In den sich legenden Staubwolken erkannte Spark, wie sich der Geist materialisierte und über Iesyes Körper beugte. Das pulsierende Leuchten vor den schattenhaft grauen Umrissen des toten Asphalts war ein eindeutiges Zeichen für das Fließen von Mana. Langsam strömte die Energie des Heilzaubers in den verwundeten Körper der jungen Frau und erfüllte ihn mit wachsender Lebenskraft. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, doch letztlich war sich Spark - der angespannt über den Vorgang wachte - sicher, dass Iesye es schaffen würde.


    Derweil kommentierte Arianto Lis Antwort mit einem zufrieden und harten Nicken.


    "Dann ist der Deal beschlossene Sache. Um die Yakuza brauchen sich die Jade Blades keine Sorgen mehr zu machen. Ich werde sofort in Verhandlungen treten. Jetzt ist die Beinarbeit der Blades gefragt. Es gibt so gut wie keine Informationen über diese Leute, aber sie alle gehören einer Vereinigung an, die sich Darul Islam nennt."

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    Li weiß zum Glück nichts von der Lage in der sich Gede, Lesye, Bambang und Sai befinden.Er muss darauf vertrauen, daß Spark ihnen magisch helfen kann oder
    zumindest Bomb und Rico informiert dies in der physischen Welt zu tun.


    Wenn der Deal mit dem Major klappt, und da Mas Hermann diesem vertraut hat er bis jetzt keinen Grund dies nicht auch zu tun, können sie die
    Probleme mit der Yakuza erst mal vergessen.


    Es war wahnsinnig von Bomb sich mit den Yak-Schwertkämpfer einzulassen. Ehrenvoll aber wahnsinnig.


    Long Li hatte damals gesehen wozu die mächtigeren Yaks fähig sind. Mit dem Jade Blades würde schon ein halbes Dutzend Yak-Ninjas kurzen
    Prozess machen. Dagegen waren die Suns Kinder.


    Li wendet sich wieder an den Major :
    „Wenn sich der Darul Islam in Jakarta Selatan ausbreitet und Mitglieder rekrutiert können wir uns natürlich erst mal in den hiesigen Koranschulen und auf der Straße umhören. Da wäre natürlich noch die Frage was passieren soll wenn wir das Hauptquartier oder die Führer finden.
    Möchten Sie dann informiert werden oder sollen sie einfach von der Bildfläche verschwinden?“

    Charaktere können auch nach der Charaktererschaffung schwanger werden, allerdings erhalten sie dadurch keinen Karmabonus.
    (Schattenhandbuch 2, Seite 165)

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    Major Arianto streicht sich erneut über den Schnurrbart, zuerst auf der rechten Seite, dann links. Bevor er Li antwortet, schwenkt er das Glas in seiner Hand, als würde es sich bei seinem Inhalt um erlesenen Wein handeln, und genehmigt sich einen Schluck des kühlen Fruchtgetränks.


    "Ich schlage vor, Sie informieren mich zuerst, bevor Sie zuschlagen."


    Damit sieht der Major die Angelegenheit für erledigt an. Weder hat er Li offenbart, ob er die Blades doch noch als Mittel der Gewalt zum Einsatz bringen möchte, noch ob er den Auftrag mit einer Observation als erledigt ansieht. Aber das ist eben die typische Indirektheit, mit der man hier leben muss, wie Li nur allzu gut weiß. Den direkten Weg findet man hier nur auf der Straße, und dann ist er meist direkter als es einem lieb ist.

  • -452-


    @Draca:


    Es ist Nacht und dennoch schlägt Scar die schwüle Hitze des Sprawl entgegen, dessen chaotisches und fremdes Innenleben bereits hier, weit im Norden, zu erahnen ist. Sie hat Glück gehabt, geht es ihr durch den Kopf. Anders als von einigen befürchtet, hatte die javanische Marine den chinesischen Frachter nicht aufgebracht und nach Flüchtlingen und anderen illegalen Einreisenden durchsucht. Das hätte wahrhaftig das Ende ihrer Reise sein können.


    Im Zwielicht der Hafenbeleuchtungen prallt der Reigen unterschiedlicher Eindrücke ungefiltert auf sie ein. Das maschinelle Ambiente zahlreicher Drohnen und Verladekräne vermischt sich am Dock mit den Wortfetzen aus Kantonesisch, Japanisch und Bahasa Indonesia zu einer fremdartigen Geräuschkulisse. Wachsam beobachtet sie, wie ihr Bike auf dem Boden aufsetzt, nachdem es zwei der chinesischen Besatzungsmitglieder mit einem einfachen Windensystem abseits der Hauptentladezone von Bord geschafft haben. Nach getaner Arbeit widmen sich die beiden Männer wieder ihrer eigentlichen Tätigkeit zu und lassen Scar wortlos zurück. Doch ein dritter Mann ist geblieben. Interessiert hat er sich die Szene aus einiger Entfernung angesehen. Es ist der Chinese, den sie an Bord kennen gelernt hat. Der einzige Mensch dort, der mehr als nur ein paar Worte mit ihr gewechselt hat. Der junge Mann mit dem zerzausten schwarzen Haar hatte sich ihr als Jing vorgestellt und war ihr ein willkommener Gesprächspartner in der engen Trostlosigkeit des chinesischen Frachters gewesen.


    Sein Blick wandert zu ihrer Maschine. Er lächelt. Doch das, so weiß sie mittlerweile, tun Chinesen fast immer.


    "Eine hübsche Maschine", spricht er sie wieder an und schaut dann indirket in ihre Richtung.


    "Weißt du schon, wo du unterkommen kannst? Ich kenne da vielleicht einen Platz... ."


    Und schon wieder dieses Lächeln.

  • -453-


    Scar war glücklich endlich angekommen zu sein. Die Ungewissheit und die Enge auf dem Frachter war fast unerträglich gewesen. Die Kleidung klebte ihr an der Haut und sie brauchte dringend eine Dusche. Warum musste es immer wieder mir passieren. Kaum fing ihr Leben wieder an Struktur zu bekommen. Wurde es jäh aus den Fugen gerissen. Sie hatte mit Meko eine Freundin finden können. Doch es hat nicht sein sollen. Die Häscher hattn ihr keine drei Tage später aufgelauert und sie hatte sich gerade so retten können. Die Häscher waren nicht die stumpfen Geldeintreiber gewesen, die sie von früher her kannte. Dies waren Konzerntruppen gewesen. Hätte Sylvie sie nicht verschleiert hätten die Truppen sie gefunden. Sie musste weg. Seattle wurde zu heiß. Manhattan und die ADL vielen auch aus. Man kannte sie dort.
    Sie hatte Webster den Piraten gebeten für sie eine Reise zu organisieren. Nur weit weg und so schnell wie möglich. Er hatte ihr Jakarta anbieten können. Jakarta. Sie wusste noch nicht mal wo das lag aber besser als nichts. Den Rover hatte sie als Preis für die Überfahrt gezahlt.


    Nun war sie hier Eine total fremde Stadt. Fremde Gesichter, fremde Gerüche, fremde Geräusche. Sie fühlte sich verwundbar. Sie hatte auf der Überfahrt Zeit gehabt sich ein bischen ein zu lesen. Sie wusste aber das es nicht reichen würde. Sie fühlte die vertraute Präsenz von Drachentöter nicht mehr und dies machte sie unsicher im Umgang mit fremden Metamenschen und Gebräuchen. Was ihr auffiel war, daß sie nicht so direkt angeschaut wurde, obwohl sie mit ihrer silbernen Haut und den Tätowierungen schon befremdlich aus sah. Sie fingerte Gedankenverlohren an der Halskette. Ihre Finger rieben über das glatte Material des Anhängers. Einer Auge der Shiva Muschel.


    Das chromglänzende Glitzern der Hafenlichter auf dem Motorrad beruhigten sie ein wenig. Das Motorrad bedeutete für sie ein wenig Heimat. Ein Anker in ihre Vergangenheit. Sie hatte die Maschine noch nicht lange aber sie hatte mit der Maschine tiefgreifende Erlebnisse gehabt.


    Iht Linguasoft übersetzt ein Teil der Hintergrundstimmen aber sie bleiben trotzdem ohne Bedeutung für sie. Ihre Augen haften auf der Maschine und ihre Gedanken sind in der Vergangenheit. Erst die vertraute Stimme von Jing reißt sie aus ihren Wachträumen. "Danke Jing." Am Anfang hatte sie probiert auf Mandarin mit ihm zu reden, aber ihre drei Brocken hätten eh nicht gereicht und er sprach eher Hanchinesisch. Sie sind dann zu Englisch über gegangen. Sie hatte auch seine Aura genau angeschaut gehabt. Zu oft war ihre Maskierung schon durchschaut worden. Bis jetzt hatte sie Glück gehabt und man hatte ihr nicht direkt ans Leder gewollt. "Sie bedeutet mir auch sehr viel." Dabei schaute sie ihn indirekt an. Nicht so direkt, wie sie es in Europa oder in den UCAs gemacht hätte. "Mach dir wegen mir bitte keine Umstände. Ich werde mir ein Sarghotel oder so was nehmen." Nach einer kurzen Pause fügte sie noch hinzu "Mit Garagenplatz." Der Zusatz klang nicht mehr so zuversichtlich. Es wäre schön wenn er mich mitnehmen würde. Ich habe noch nicht mal eine Idee wo ich anfangen soll. Sie lächelte leicht zurück.

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    Jing lächelt erneut, doch diesmal hat Scar das Gefühl, es würde sich um eine Nuance von dem ansonsten entwaffnenden Lächeln unterscheiden, das sie bisher gesehen hat.


    "Fremde haben es hier schwer. Wir sind die größte Minderheit hier und dennoch sind wir für viele immer noch Außenseiter. Und du wirst auffallen. Vielleicht nicht hier, aber ganz sicher im Sprawl selbst", erwidert Jing ihr mit überraschender Offenheit.


    "In unserer Gemeinschaft wird man dir nicht mit Ablehnung begegnen", fügt er schließlich nach einer kurzen Pause noch hinzu. Genau wie damals auf dem Frachter zeigt Jings Aura keinerlei Anzeichen von Verrat oder Lüge, obwohl Scar nach wie vor Schwierigkeiten damit hat, die feinen Nuancen, die sie bei ihrem Gegenüber spürt, richtig einzuordnen. Jings Aura wirkt harmlos und weltlich. Nichts weist darauf hin, dass er ihr wahres Wesen erkannt hat.


    Wie um seine Worte des Aufbruchs zu unterstreichen, schnappt sich Jing den zerschlissenen, alten Militärrucksack zu seinen Füßen und schnallt ihn sich um. Scar spürt, dass der Chinese nicht noch weiter in sie dringen wird. Sollte sie noch einmal ablehnen, würde er sie sicherlich genau so wortlos ziehen lassen, wie bereits die Crew des Frachtschiffes.

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    Ach Scheiße, warum kann ich nicht genau erkenne was er nun will. Denkt Scar ärgerlich. Aber sie wollte Jing nicht verlieren. Nicht in dieser großen Stadt. Nicht heute Abend. Deswegen sagt sie schnell, bevor er zu weit weg ist, nur. „Wenn wir mit meinem Motorrad fahren sind wir sicherlich schneller da.“ Sie hoffte, das er ihr Angebot annehmen würde und ise so ne Bleibe für heute Nacht haben würde. Ich hoffe er bringt mir noch ein paar Dinge über diese fremde Kultur bei, bevor sich unsere Wege trennen müssen. Denkt Scar noch mit einer inneren Enttäuschung, die sie schon zu oft erlebt hatte.

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    Als Scar ihre Meinung ändert, wendet Jing seinen Kopf. Für einen kurzen Moment treffen sich ihre Blicke direkt und diesmal ist sich Scar sicher, dass das Lächeln, welches sie auf dem Gesicht des Chinesen sieht, ein offenes und ehrliches ist. Ohne sichtbare Berührungsängste gesellt sich der Chinese zu Scar auf die Maschine.


    "Ich werde dich lotsen. Der Verkehr hier ist ziemlich chaotisch, aber ich bin sicher, du wirst deinen Rhythmus finden. Glodok, Chinatown, ist nicht allzu weit von hier."


    Bald schon stellt Scar fest, was Jing mit 'chaotisch' gemeint hat. Der Verkehr Jakartas scheint wie ein eigenes Lebewesen, ein gewaltiger Kraken in der Nacht, dessen einzelne Arme nicht zu wissen scheinen, was die jeweils anderen anstreben. Und doch gibt es diesen pulsierenden Rhythmus auf dem Asphalt der Straße, die fragilen, kaum wahrnehmbaren Stränge innerhalb des chaotischen Reigens aus Fahrzeugen, Lärm und Menschen.
    Obwoht die meisten Menschen aus ärmlichen Verhältnissen zu stammen scheinen, ist doch ein jeder motorisiert. Endlose, ineinander verwobene Kolonnen aus alten Mofas, Rollern und Motorrädern bahnen sich ihren Weg durch die weit verzweigten Adern des Sprawl, die daneben auch noch von einem Strom anderer Fahrzeuge, waghalsigen Fußgängern, Straßenhändlern und den Aufbauten der Nachtmärkte bevölkert werden. Es scheint Scar unmöglich, all diese Eindrücke bewusst zu verarbeiten und sich gleichzeitig auf den Verkehr zu konzentrieren. Doch Jing ist ein guter Wegweiser. Da sie ohne legale SIN eingereist ist, ist ihre Maschine ohne Verbindung zum sprawlweiten Verkehrsleitsystem - doch damit ist sie bei weitem nicht die einzige. Am grauen Nachthimmel ziehen Drohnen vorbei, kreisen wie fremde Vögel über einem sich windenden Moloch.


    Dann wird das System der Straßen verwinkelter und unübersichtlicher. Die Dichte der Bebauung nimmt noch einmal zu und mit ihr die einzelnen Menschengruppen, die die Straßenränder und Gassen bevölkern. Jeder scheint hier unterwegs zu sein, und dennoch sind immer wieder Inseln der Ruhe auszumachen, die der Hektik der Straße eisern die Stirn bieten. An einer solchen Insel der Ruhe weist Jing Scar an, die Fahrt zu verlangsamen und dann zu stoppen. Sie befinden sich an einer kleinen T-Kreuzung und erst jetzt bemerkt Scar in der Dunkelheit die Anwesenheit alter Mauern und Pagodendächer. Es ist ein Tempel, vor dem sie Halt gemacht haben. Durch einen Eingang erkennt sie Teile eines größeren, aber gleichfalls verwinkelten Innenhofes.


    "Wir sind da", informiert sie Jing und steigt ab. Anerkennend nickt er ihr zu.


    "Du fährst gut."

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    Scar schwingt sich behände auf die Maschine und startet sie mit einem Kickstart. Sofort erwacht die Maschine brüllend zum Leben. Der Satte und kräftige Ton der Maschine vermischt sich mit den Hafengeräuschen. Jing setzt sich hinter Scar und sie spürt seine Nähe und die Wärme sofort. Sie ist etwas verlegen, da sie schon durch das schwülwarme Klima sie sofort zu schwitzen angefangen hatte.


    "Ich werde dich lotsen. Der Verkehr hier ist ziemlich chaotisch, aber ich bin sicher, du wirst deinen Rhythmus finden. Glodok, Chinatown, ist nicht allzu weit von hier."


    "Danke Jing." Sagt Scar nur und fährt los. Schon bald kommt sie in den chaotischen Verkehr. Die große Maschine ist für schnelle Fahrten auf offener Straße gebaut und so hat Scar ihre Mühe sich durch die Blech-und Menschenlawine zu schlängeln. Schnell läuft ihr der Schweiß in Sturzbächen runter. Ihr Stirnband bewahrt sie davor, daß ihr der Schweiß in die Augen läuft. Ein Helm wäre die reinste Folter gewesen und das war Nachts. Wie würde es nur am Tage sein. Der Gyrostabilisator bewahrt sie des öfteren die Maschine auf die Straße zu legen. Scar nutzt jede Möglichkeit auf offene Straßenabschnitte zu kommen um die Maschine mit mehr Geschwindigkeit fahren zu können. Als Jing dann endlich die erlösenden Worte "Wir sind da." sagt ist Scar leicht erschöpft. Bei "Du fährst gut." kann sie nur müde lächeln. "Soll ich in den Innenhof fahren? Ich würde nur ungern mein Schmuckstück auf der Straße stehen lassen." Sie betrachtet den chinesischen Tempel. Sie hatte als Jing die Gemeinschaft erwähnt hatte alles erwartet nur nicht einen Tempel. Was hatte mir Tsung Li noch mal alles über Chinesische Kultur beigebracht? Hätte ich da nur besser zu gehört, aber es war immer so öde und so weit weg auf dem Piratenschiff. Denkt Scar beim Anblick der Pagode. Ach es wird schon klappen. Redet sie sich innerlich Mut zu. Sie wollte nur noch Duschen und irgendwo schlafen können. Morgen würde viel zu schnell kommen. Dann müsste sie sich der neuen Welt stellen.

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    "Am besten fährst du außen herum, auf dem Tempelgelände sind keine Fahrzeuge erlaubt", schlägt Jing vor und weist dann auf eine dunkle Gasse, die sich direkt zwischen der Tempelmauer und dem benachbarten Gebäude erstreckt. Scar muss vorsichtig manövrieren, bis sie die enge Kurve genommen hat und auch danach bleibt ihr nicht viel Platz, doch letztlich erreicht sie mit dem Ende der Gasse einen weiteren Innenhof. Der kleine Platz befindet sich direkt angrenzend an das Tempelgelände und verfügt gleichfalls einen Durchgang, um auf den größeren Tempelplatz zu gelangen, den sie bereits vom Haupteingang aus gesehen hat.
    Schon beim Rangieren ihrer Maschine erkennt sie mehrere andere Motorräder hier stehen. Jede der Maschinen ist individuell modifiziert und auf Geschwindigkeit ausgelegt.


    "Deine Maschine ist hier sicher", versichert Jing.


    "Komm, ich bringe dich rein."


    Jing wartet, bis sie sich ihre Sachen geschnappt hat und führt sie dann in das Gebäude, das direkt an die Tempelmauern angrenzt und über einen Zugang zu dem Hof verfügt, in dem sie so eben ihr Motorrad abgestellt hat. Auch im Inneren des Gebäudes herrscht Zwielicht. Nur hin und wieder kann sie ein dämmriges, künstliches Licht erkennen. Die Bauweise ist eng, verschachtelt und unübersichtlich. Kaum ein Einrichtungsgegenstand oder Gerät, dessen sie gewahr wird, ist jünger als zwei Dekaden. Während Jing sie hinein und dann über eine Treppe nach oben führt, beginnt er zu erzählen.


    "Jinde-Yuan, so heißt der Tempel nebenan, ist die älteste chinesische Tempelanlage im Sprawl. Du kannst ihn dir morgen ansehen. Außer dem Hof gibt es noch mehrere Tempelgebäude. Er ist einen Besuch wert. Auf der anderen Seite liegt ein chinesischer Friedhof. Ansonsten sind wir hier mitten im tiefsten Glodok. Hier gibt es viele kleinere Geschäftsleute, Familienbetriebe und sehr viel... Straßenkultur."


    Jing hält kurz inne und deutet auf eine einfache, alte Kunststofftür am Anfang eines schmalen Korridors, deren verwinkelte Ende Scar nicht mehr erkennen kann.


    "So, da wären wir. Hier kannst du dich ausbreiten."


    Jing öffnet die Tür und offenbart Scar ein kleines, spartanisch eingerichtetes Zimmer. Die Wände sind kahl und verblichen, das Bett alt, Stauraum gibt es nur in Form einer Transportbox, die auf dem mit Bambusmatten ausgelegten Boden ruht. In der Ecke steht ein vorzeitlicher Ventilator, der die aufgewärmte Luft zumindest einiger Maßen erträglich macht. Es ist ganz sicher keine luxuriöse Unterkunft, aber sie ist sauber und sie gehört ihr alleine.


    "Hier, das ist gegen die Moskitos. Das Bad ist direkt gegenüber." Jing reicht ihr eine eingeschweißte Folie mit einem farblosen Gel, das man auf den Körper auftragen kann.


    "Mach es dir gemütlich. Morgen reden wir weiter."