Ein grauer Himmel liegt über der weit ausgedehnten Agglomeration des Jakarta Sprawl. Es ist eine jener Nächte, in denen es nicht wirklich dunkel werden möchte, in denen die Straßen und Häuser in einer Art Halbdunkel, einer seltsamen Halbwelt gefangen sind. In der Ferne haben sich düstere Sturmwolken am endlosen Horizont zusammengezogen und die beeindruckenden Muster kaskadierender Gewitterblitze huschen flüchtig über die Netzhaut des Betrachters.
Die Straßen Jakarta Selatan liegen ruhig da, obwohl dennoch geschäftiges Treiben herrscht. Unter Girlanden altersschwacher Glühbirnen und flackernder Neonröhren haben Händler ihre Stände auf den Nachtmärkten errichtet, die sich wie unaufhaltsame Geschwüre über den Asphalt ergießen und ganze Kreuzungen und Straßenzüge praktisch lahmlegen. Neben den zahlreichen Fußgängern, die über die Nachtmärkte schlendern, ist der Großteil der Menschen, so wie jede Nacht, auf Rollern, Mofas oder Motorrädern unterwegs, schlängelt sich entlang der Garküchen, aufgebauten Tische, Generatoren und Menschenansammlungen.
Straßenwächter der Kampung-Miliz verrichten ihren Dienst an den zahlreichen Zufahrtswegen und Schrankensystemen im Distrikt, plaudern, rauchen und genehmigen sich einen Mitternachtssnack von einem er kaki-lima-Händler, die mit stoischer Ruhe ihre kleinen, gebrechlichen Karren voller Köstlichkeiten durch die zwielichtigen Straßen schieben. An belebten Kreuzungen und den Zufahrtswegen in die Kampung verharren sie, packen ihre buntgespritzten Plastikhocker aus und beginnen mit dem Zubereiten von Sate-Spießen und anderen Gerichten.
Das Gang-Quartier liegt zu großen Teilen im Dunkeln. Wie überall in Jakarta ist der Strom auch in Selatan rationiert. Er wird entweder in vorab bezahlten Rationen von den Strombetreibern eingekauft oder mittels Brennstoff betriebener Generatoren selbst generiert. Zwar sind Stromausfälle nicht mehr wie während der alten Zeit ein alltägliches Phänomen, dennoch sorgt der Javaner wie zumeist vor, so dass im Kampung mehrere Generatoren gelagert werden, die die Nachbarschaft im Notfall mit Strom versorgen können.
Es ist November, und die Regenzeit hat begonnen. Doch die Stürme am Horizont scheinen fern, wie aus einer anderen Welt. In einem Abstellraum nahe des größeren Gemeinschaftsraumes stopft Del gewissenhaft einen kleinen Berg schmutziger Kleidung in eine verbeulte Waschmaschine. Das altertümliche Gerät ist Dels ganzer Stolz, doch seine Einweihung wurde von einem Missgeschick begleitet, das fast zu seiner Zerstörung geführt hat. Als Bomb argwöhnte, dass die Waschmaschine ein japanisches Produkt sein könne, begann er damit, auf sie einzuschlagen, bis Del ihm unter Tränen versichern konnte, dass es sich wirklich nur um einen chinesischen Nachbau eines Mitsuhama-Modells handele, was Bomb – angesichts der großen Wäscheberge, die sich mittlerweile im Abstellraum angehäuft hatten – zufrieden stellte. Seitdem konsultiert Del vorsichtshalber ein jedes Mal, wenn sie ein Gerät anzuschaffen gedenkt, Bomb, um ihn darauf vorzubereiten.
Auch in den übrigen Bereichen des Quartiers nimmt der Abend seinen alltäglichen Lauf. Einige Gang-Mitglieder bessern unter Chuans Anleitung – hin und wieder dahin gemurmelten Kommentaren – Schäden an ihren Bikes aus, die aus einem Nachtgefecht nahe der südlichen Tol-Station herrühren. Dort sind Teile der Gang vor einigen Tagen mit Sakos Jungs aneinander geraten. Aus einem Rennen und kleineren Geplänkel entwickelte sich eine regelrechte Schlacht auf der Schnellstraßenauffahrt, die auf beiden Seiten auch zu Toten geführt und zahlreiche Blechschäden hervorgerufen hat. Worum es bei dem Streit letztendlich ging, ist im Nachhinein niemandem mehr so recht bewusst gewesen – es ging halt um’s Prinzip.