Regenwolken verschleiern den Himmel über den Schiffswracks, Anbauten, Verbindungsbrücken und Pontons des Schmuggler- und Piratennestes Mompracen. Eine Sturmfront zieht heran, und wie fragile, aber mächtige Spinnennetze breiten sich Blitzkaskaden über dem grauschwarzen Himmel aus, während die Berge Sumbawas Feuer spucken und den Horizont verdunkeln. Die See ist unruhig, Kanjeng Ratu Kidul, die Göttin des Meeres, scheint aus ihrem trügerischen Schlummer erwacht und zügellos zu wüten. In der alt-javanischen Logik, dem Grundstein der einstigen, Inseln umspannenden Königreiche der hindu-javanischen Epoche, zeugten Naturkatastrophen, ein Aufbäumen der Umwelt stets den Beginn von Machtverschiebungen an. Aber in der javanischen Logik waren es nicht die Naturgewalten, die zum Sturz des Königs führten, da sie sein Land zerstörten, Hungersnöte herbeiführten oder Städte dem Erdboden gleich machten, sondern die schwindende Macht des Königs selbst, führte überhaupt erst dazu, dass diese Gewalten, die stets aufrechtzuerhalten gebotene Harmonie zwischen Mikro- und Makrokosmos irreparabel stören konnten. Sie waren ein Symbol für den Machtverlust, ein Zeichen für den Wechsel von Herrschaft oder den Tod eines Königs. Doch die wenigsten Bewohner Mompracens wissen um diesen Umstand, kennen das komplexe Gefüge javanischer Mythologie. Als der Regen mit zorniger Gewalt auf Mompracen niedergeht, flüchten die meisten in die umgebauten und modifizierten Schiffswracks oder verkriechen sich in anderen Löchern, die es in dem Schmugglernest zu Hauf gibt. Einige Wenige erinnern sich vielleicht der mächtigen, uralten Göttin der See und huldigen ihr, um größeres Übel abzuwenden. Doch für die meisten nimmt der Abend seinen gewöhnlichen Lauf, wäre da nicht dieses seltsame, unterbewusste Gefühl, dass weit entfernt, jenseits der Sturmfront, etwas Bedeutendes geschehen war.
Einer der Männer, die es besser wissen, die die Geschichten der alt-javanischen Könige kennen und achten, ist Radil, Leutnant des mächtigen Drogenbarons Selani. Manche mögen ihn abergläubisch nennen, so wie von den meisten Javanern gesagt wird, sie seien es. Aber Radil kennt einige der Wahrheiten, die tief in den komplexen, auf Koinzidenz basierenden Erzählungen der alten Lontar-Bücher ruhen. Nur der Tod eines Königs oder die tiefe, reinigende Meditation eines der machtvollen pandawa-Krieger können solche Naturgewalten herbeiführen – so zumindest steht es geschrieben. Und Zufälle sind ohnehin dem javanischen Denken äußerst fremd. Ein Bote muss entsandt werden. Ein neuer Wayang-Schirm ist errichtet, auf das eine neue Lakon beginne. Und Radil wird nicht abseits stehen, wenn die Schatten tanzen.
Als der Regen anbricht und Mompracen in seinen dichten Schleier hüllt, legt der Bote so eben das letzte Stück seines Weges zurück. Der kleine Mann ist äußerst flink, aber dennoch heimlich wie ein Schatten. Er scheint jeden Winkel des verzweigten Schmugglernestes zu kennen und legt seinen Weg unbeirrt zurück, ohne aber in Hast zu verfallen. Ein letztes Mal sucht er sich seinen Weg durch die düsteren Eingeweide eines aufgerissenen Schiffskörpers, aus denen Mompracen zu großen Teilen besteht – dann hat er den Liegeplatz der Shiva am nördlichen Rand, jenseits der mächtigen Korallenriffe erreicht. Obwohl sein Atem schnell geht, strahlt sein Körper Ruhe und Gelassenheit aus, als er sich dem ruhenden Piratenschiff und seinen Bewohnern nähert.