Blue Dragon
Ein dumpfer Knall ertönt, danach ein "Umpfh...". Den Schmerzen in meiner Nase nach zu urteilen, kamen diese Geräusch von mir.
Ich machte die Augen auf und erblickte vor mir eine graue unidentifizierbare raue Masse, mit einem kleinen roten Fleck darauf. Ich hebe den Kopf ein wenig und identifiziere die Masse vor mir als meinen Schlafzimmerteppich und etwas später auch den roten Fleck, als mir ein zweiter Tropfen Blut aus der Nase auf den Teppich tropft.
"Verdammt...", murmle ich zu mir selbst und ziehe mich am Bettpfosten hoch. "Verdammter Grog."
Ich schlurfe ins Bad und werfe auf den Weg dahin einen Blick in meinen Kühlschrank: Drei Flaschen Soybier und ein Minzkaugummi. Ich nehme das Kaugummi und schiebe es mir zwischen die Hauer.
Im Bad angekommen begrüßt mich ein zerknautschter Ork mit Rändern unter den Augen im Spiegel und ich überlege einen Moment ob ich zurück grüßen, oder einfach wieder gehen soll. Ich bleibe und grunze ein wenig vor mich hin während ich versuche unter der kalten Dusche nicht zu erfrieren. Aber ich bin froh, dass ich überhaupt fließend Wasser habe.
Erstmal Frühstücken und herausfinden warum mein Schädel so weh tut.
Ich ziehe mir eine bequeme schwarze Cargohose, ein schwarzes Muskelshirt, das obligatorische blaue Kopftuch und meinen langen Mantel an. Heute ist mir nach Schwarz.
Dann schlurfe ich durch das Treppenhaus und schleife auf dem letzten Treppenabsatz vor der Haustüre einen stinkenden, sich eingenässten, menschlichen Chiphead hinter mir her. Ich lade ihn draußen vor der immer anwesenden Weißgesichts-Truppe ab, die meine Vermieter stellen und sich einbilden zu den Kabuki Ronins zu gehören, bis der Boss die neuen Wannabes satt hat.
"Ahoi Landratten,", grunze ich: "wen et im Haus nach Aas stinkt müss ihr eurem Boss erklärn warum euer einziger Dauermieter die Miete gestrichn hat!"
"Has du uns grad beleidigt?", nuschelt eine Weißfratze die ich noch nie gesehen habe.
"Warst' schonma Decksmann?"
Er kuckt leicht verwirrt und schüttelt den Kopf.
"Dann hab' ich dich nicht beleidigt!"
Während er noch über meine Worte nachdachte, schob ich mich an seinen Kollegen vorbei und schlenderte hinüber zur Bright Lantern.
Da ich wusste, dass der Vordereingang um diese Uhrzeit zu war, ging ich hintenherum zum Hintereingang, er war geöffnet und ein Rinnsal Wasser lief mir entgegen. Ich klopfte lautstark gegen den Türrahmen bis Jo durch die Wasserlache angestapft kam und mir den Wischmop fast ins Gesicht drückte.
"Aarrgh bäh... nimm das Ding wech!", rief ich und drängte mich an ihm vorbei in die nasse Küche.
"Wasch wilsste hie?", nuschelte Jo durch seine riesigen Hauer hindurch und blickte auf mich herab als wolle er mich fressen - das beherrschte er sehr gut.
"Da häschte ja gleisch hie schlafen könn!"
"Ahoi Jo, ich hätt' gern Frühstück... und n Abriss von Gestern."
"Grog und Dockschwalbe... viel Grog... Hier!", Jo drückte mir den Wischmop in die Hand und ging in den Kühlraum.
Ich fing an die Wasserlachen auf dem Boden aufzuwischen und versuchte mich an gestern Abend zu erinnern. Reiß dich zusammen, dachte ich, du bist nicht hier um dir deine Gehirnzellen wegzusaufen, sondern um was zu lernen!
Als Jo mit Brot, Wurst und Käse aus dem Kühlraum gestapft kam sagte er: "Warum tu isch dat alles für disch?"
"Weil ich so ein netter Matrose bin und dir helfe deine Kombüse aufzuklaren.", grinste ich ihn an.
"Aye!", Jo lachte und gab mir einen Klaps auf die Schulter der mich durch die halbe Küche taumeln ließ.
Während des Frühstücks rief ich Sunflower an, der wie immer leicht schräg am Telefon klang:
"Hoi Chummer was geht ab?!"
"Ahoi Heuerbaas, wird Zeit das du was für deine Dublonen tust!"
"Mmh... würd ich ja glatt machen Chummer, aber nach euren letzten zwei Aufträgen bei denen es ordentlich "Bumm" (er macht eine explodierende Geste mit den Händen) gemacht hat, ist das nicht so einfach... und bevor du jetzt anfängst mir erklären zu wollen das du da gar nix für kannst... das weiß ich, aber mitgehangen... du verstehst?! Du solltest dir mal Gedanken über die Leute machen mit denen du da zusammen arbeitest, Chummer!"
"Aye. Gute Winde!"
"Wie auch immer..."
Wütend stopfte ich mir das nächste Brot zwischen die Hauer und versuchte die Tischplatte vor mir allein mit bösen Blicken zum schmelzen zu bringen. Verdammtes Mädchen, verdammte Anarchisten. Schön und gut das die mir helfen wollen, aber bisher kam da nicht viel außer Ärger.
Nach dem Frühstück half ich Jo noch ein bisschen und trottete dann ziellos durch die Gegend, machte ein wenig Sport - um den Kopf frei zu bekommen.
Am Abend fand ich mich wieder bei Jo ein. Ein Anruf bei Coppra brachte auch nur Langeweile und nichts Neues. Dafür strahlte Jo mich aus riesigen Augen an als ich die Kneipe betrat. Kaum saß ich, bekam ich schon einen Teller mit Eintopf vor die Nase gesetzt.
"Hie für disch, du würst es brausche...", nuschelte er: "Isch hab n Job für disch gefunden... nix großes, aber immerhin!"
Ich sah ihn fragend an und er wies mit seiner Pranke nach weiter hinten in den Gastraum, wo eine Gruppe Matrosen saß und mindestens einer davon schien einer Packung Soyfischstäbchen entsprungen zu sein.
"Der da,", meinte Jo: "suscht nosch Leute für seine Mannschaft, ein Teil hat ihn sitzen lassen, naschdem sie ärger mit nem Geist hatten... und da hab isch disch vorgeschlagen!"
"Das sind weder Piraten noch Runner, Jo. Das sind ganz normale Matrosen. Die Heuer ist nicht gut genug um sich den Ärger zu machen, so Pleite bin ich nicht."
In dem Moment wird der Fischstäbchen-Kapitän auf uns Aufmerksam und kommt zu uns herüber gestapft.
"Aba besser als nischt tun isses alle mal... wenne wieder da bist, kriegste auch bestimmt wieder n ordentlich Job!", raunt Jo mir zu und zeigt dann den Kapitän sein schönstes Lächeln. "Hie dat isser!"
"Ahoi Matrose. Ich hab gehört du willst irgendwo anmustern? Meine Crew (er deutet zu den anderen Leuten am Tisch) und ich suchen noch einige willige Matrosen, nachdem drei unserer Leute hier im Hafen ihren Sack genommen haben und Jo hier meinte du wärst der richtige um auf ein Schiff aufzupassen."
Ich seufze: "Wo solls denn hin gehen?"
"In die Karibik. Morgen früh ist unser Kahn gelöscht, dann gehts los. Wir fahren von hier aus mit ein wenig Stückgut los und laden dann in der Karibik Alkohol und diverse Lebensmittel ein und dann wieder zurück nach Seattle. Wir fahren gut zwei Wochen hin und fast doppelt so lange zurück, weil wir auf dem Rückweg mehrere Häfen an der Küste ansteuern."
Ich zögere noch kurz, ich hätte auch noch genug Geld um die Zeit hier abzusitzen, bis neue Aufträge rein kommen. Andererseits hatte ich auch keine Lust wieder Kindermädchen zu spielen, also schlug ich ein.
"Aye, ich bin ihr Mann."
"Sehr schön, komm mit ich stell dir unsere Crew vor. Das da vorne ist Stew, unser Smutje. Das ist Bill unser Blitz. Jacki unser Moses und Aufklarer..."
Ich feierte nicht mit "meiner" neuen Crew, sondern beschloss mich lieber auf die Reise vorzubereiten. Ich schickte Coppra eine Nachricht und er versprach mir am nächsten morgen jemanden vorbei zuschicken, der mir Watchermaterialien für 5 Wochen bringen würde. Mehr konnte er in der kurzen Zeit nicht besorgen und ich weiß, dass sie einen in der Karibik bei solchen Sachen gerne über den Tisch ziehen.
Danach lief ich zum nächsten Stuffershack und kaufte ein billiges prepaid Handy, mit dem ich meinen Vater anrief. Als es aufhörte zu tuten und ein knacken anzeigte das jemand abgenommen hatte. Tippte ich die vereinbarte Tonfolge ins Handy:
"Ahoi Baas!"
"Schön mal wieder etwas von dir zu hören. Wie geht es dir auf dem Land?"
"Ganz gut, wie gehts dem Schiff? Und ist die Crew wieder vollständig? Ich werd' n kleinen Abstecher in die Karibik machen und wollte fragen ob du mir Infos geben kannst ob wir dort Kontakte haben. Andere Seeleute, oder irgendwelche Sippen Treffpunkte?"
"Die Reparatur des Schiffes läuft noch und wir suchen immer noch fähige Leute. Was willst du denn in der Karibik? Komm lieber wieder zurück! Aber wie du meinst... ich werd' dir die Infos dann über Vodoo zukommen lassen."
"Aye Pa, bestell allen schöne Grüße!"
"Mach ich und du Coppra?!"
"Aye!"
Nach dem Telefonat warf ich das Handy über die Kaimauer ins Meer. Sollten die verseuchten Fische damit ihren Spaß haben.
Ich lief zurück zu meinem Wohnhaus wo die ersten Matrosen und Decksmänner mit den Weißgesichtern über den Preis für die Nacht feilschten und mir einige ärgerliche Blicke hinterher warfen als ich die drei Jungs mit einem Handzeichen grüßte und an ihnen vorbei ins Treppenhaus ging.
Oben in meiner Wohnung kontrollierte ich meine Ausrüstung und packte alles zusammen.
Da Schiffe im allgemeinen sehr früh auslaufen stand ich noch vor Sonnenaufgang mit gepackter Tasche über der einen Schulter und zwei Armbrüsten über der anderen und um Schmiergeld für den Hafenaufseher ärmer am Dock vor dem Frachter und fragte mich welcher Dämon mich da gestern geritten hatte. Aber jetzt war es zu spät und vielleicht taten mir ein paar Wellen unterm Hintern auch mal wieder ganz gut.
In meiner Wohnung waren nur die Bierflaschen im Kühlschrank zurückgeblieben, sollten die Weißgesichter sie genießen.
Wie immer kam Coppras Laufbursche rechtzeitig und übergab mir das Päckchen mit den Materialien, die ich in meiner Tasche verstaute.
"Bestell Coppra schöne Grüße von meinem Alten, er weiß schon Bescheid!"
Er nickte und weg war er wieder. Kurz darauf ging ich an Bord und der Kapitän zeigte mir meine Kajüte und den Rest des Schiffes. Ich erklärte mich freiwillig bereit die Hundswacht zu übernehmen, Ruhe und Frieden und jede Menge Zeit zum Nachdenken.
Da Jo dem Kapitän bereits alles über mich erzählt hatte konnte ich mir lästige Erklärungen sparen und der Kapitän erklärte sich bereit das Schiff von meinem Watcher zusätzlich überwachen zu lassen.
Die erste Wache war ruhig. Zeit Puck ein bisschen Arbeit zu bescheren. Ich legte mir auf dem Deck die Materialien bereit die ich für Pucks Beschwörung brauchen würde, immerhin sollte der Kleine die ganzen drei Wochen auf das Schiff aufpassen. Das würde nicht leicht werden.
Während ich mich konzentrierte, eine kleine Melodie vor mir her summte und den Vorgang aus dem Astralraum überwachte, erschien Pucks blauer Schatten vor mir, bis er schließlich ganz sichtbar war und vor meinen Augen langsam mit den Flügeln schlug.
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"Ahoi Puck, schön dich zu sehen!", begrüßte ich den Kleinen, der nur nickte.
"Wir werden eine ganze Weile auf diesem Schiff sein, du kennst das ja. Ich möchte das du auf dem Schiff patrouillierst und Alarm gibst wenn dir etwas gefährlich erscheint. So wie immer."
Puck nickte und machte sich schon auf den Weg das Schiff zu erkunden. War noch nie der Gesprächigste gewesen, aber er leistete innerhalb seiner Möglichkeiten gute Arbeit. Jetzt hieß es nur noch die Fahrt genießen und hoffen, dass wir keine großen Zwischenfälle bekommen würden. Die Heuer war nicht groß genug für zu viel Ärger.
Das leichte ziehen hinter meinen Schläfen erinnert mich daran, warum ich nach Seattle gegangen bin. Ich sollte wirklich langsam anfangen an meinen Fähigkeiten zu arbeiten. Immerhin kann ich hier auch in Ruhe mit meiner Schleuder üben, wenn ich mir ein paar leere Konserven aus der Kombüse besorge.