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Detroid – UCAS – 2070 - Nachts
Der Fortschrittsbalken, befand sich bei „95%“ und ruckelte auf die „96%“-Marke zu, als die Scheinwerferkegel eines Autos das Büro fluteten und den lochrasterförmigen Schatten des halb geschlossenen Rollladens an die gegenüberliegenden Seite warfen. Der Hacker zuckte kurz zusammen, zog mit einem wischen des Fingers durch die Luft, das Fenster des Ladebalkens beiseite und Beobachtete, das aus vier Kamerabilder bestehende Fenster, das dahinter erschien. Nichts Ungewöhnliches war zu sehen. Der löchrige Schatten wanderte quer durch das Zimmer und verschwand, als das Auto die Straße entlang fuhr um an der kommenden Kreuzung abzubiegen. „98%“ zeigte nun der Balken an, dann seufzte ein Türscharnier leise im Nebenraum. Der Hacker richtete sich auf und stand sofort stocksteif im Dunklen, seine Waffe im Anschlag auf die Tür zielend. Seine Schläfen pochten und kalter Schweiß sammelte sich auf Stirn und Nacken. Er verharrte so lange in dieser Pose bis sein Herzschlag sich wieder einpendelte. Dann löste sich seine linke Hand vorsichtig vom Griff der Pistole und wischte wieder den Ladebalken beiseite um die Bilder der Kameras zu sehen. Wieder nichts Ungewöhnliches zu sehen. Ein weiteres Wischen beförderte wieder den Ladebalken ins Sichtfeld und dann erst begriff er es. Der Ladebalken war bei „99%“ eingefroren. Hektisch drückte er sich durch die Schaltflächen und öffnete sein Analyseprogramm. Der Report wurde in Bruchteil einer Sekunde ausgespuckt. Vier Anwendungen befanden sich in einer Endlosschleife und waren somit Handlungsunfähig, darunter auch das Befehlsprogramm seiner Mikrokameras, die er vorher, im Gebäude, platziert hatte. Panik sprudelte, wie die Kohlensäure in einem frisch geöffneten Getränk, seine Nervenbahnen empor. Er nestelte mit der linken Hand an der Gürteltasche, in der sein Kommlink hing, und betätigte den Ausschaltknopf. Alle Fenster in seinem Sichtfeld erstarben. Danach griff er in die Innentasche seiner Bomberjacke und schaltete sein Ersatzkommlink ein. Jetzt knirschte eine Diele, ganz in der Nähe der Tür. Der Hacker lief rückwärts, die Waffe noch immer auf die Tür gerichtet, zum Fenster des Büros. Kurz spähte er auf die Straße hinab. Sie war leer und in das seichte orangene Licht der Straßenlaterne getaucht. Er richtete wieder den Blick auf die Tür und die linke Hand tastete den Fensterrahmen ab und suchte blind nach dem Fenstergriff und öffnete dann das Fenster. Eine kalte Brise wehte durch das Büro, die Gardinen tanzten im Wind und ebenso neue Schatten durch das Zimmer. Dann wanderte sein Blick wieder auf den Schreibtisch, er sah den Monitor und die Dockingstation, in dem das Kommlink der Zielperson eingesteckt war und welches er gerade entschlüsseln wollte. Wenn er schon diesen Job abbrechen sollte, wollte er nicht mit leeren Händen verschwinden. Langsam, Schritt für Schritt, bewegte er sich wieder zu dem Schreibtisch, der in der Nähe der Tür lag. Eine Hand, die linke wieder, streckte sich langsam zu dem Kommlink.
Die Fingerkuppe des Zeigefingers berührte schon, die Edelstahlverkleidung, des Fairlight Calibans, als die Tür zersplitterte.
Eine zwei Meter Gestalt stieß seitlich durch die Tür, als ob diese aus Papier gewesen wäre, eine Maschinenpistole lässig in der Hüfte haltend. Die Holzsplitter der zerbrochenen Tür flogen, lautstark, bis zum Fenster. Ruckartig drehte sich der Hacker zu der massigen Gestalt um und konnte nur noch in die weißen, toten, Linsen seines Gegenübers starren. Stroboskopisch leuchtete das Büro in einem grellgelben Schein mehrmals auf, als gedämpftes Knallen, den Hacker wie eine Marionette mit verknoteten Schnüren, tanzen ließ. Die Projektile durchdrangen seinen Körper und klatschten, lauter als die Schüsse an sich, in die Betonwand hinter ihm. Selbst als der Hacker am Boden lag wurde er mit weiteren Schüssen durchsiebt, bis die Maschinenpistole nach zweiunddreißig abgefeuerten Schüssen nur noch „klack“, „klack“, „klack“ machte. Abschließend klirrte das leergeschossene Magazin auf den Boden. Der dunkle Koloss, mit den zwei weißen Linsen, wo seine Augen hätten sein sollen, durschritt die Rauchschwaden des Schießpulvers, riss die komplette Dockingstation aus der Tischhalterung und verließ das Büro.
Vom Dach des gegenüber gelegenen Gebäudes aus, konnte man das Aufflackern des Mündungsfeuers, durch das Fenster sehen, und die Einschläge der Kugeln gedämpft hören.
„Er verlässt das Büro, gleich ist er im Wohnzimmer“ ertönte eine Stimme durch ein Im-Ohr-Empfänger im Ohr des Beobachters.
„Ich habe ihn angepeilt und trianguliert, ich synchronisiere seinen Standpunkt mit unserer Map“,
„Check“, antwortete der Beobachter tonlos, durch sein Subvokalesmikrofon, das auf seinem Kehlkopf geklebt war. Ein kurzer mentaler Befehl, öffnete eine Karte mit dem Grundriss der Wohnung, die er gerade observierte. Ein roter Punkt erschien, auf der Karte, der sich langsam durch den Raum bewegte. Er synchronisierte die Koordinaten des Punktes mit seinem Reflexvisier und sah nun den roten Punkt an der Wand des Gebäudes, der Punkt bewegte sich langsam zum Fenster des Nebenzimmers. Der Beobachter drückte den Kolben seines leichten Maschinengewehres, welches auf einem Zweibein stand, enger an seine Brust, Das Fadenkreuz stets auf den roten Punkt gerichtet.
Der Punkt war nun kurz vor dem Fenster…
Seattle – UCAS – 2070 – Am nächsten Tag
Mit einem kurzem „schlurp“ fiel der letzte Tropfen des teuren Kaffees in die weiße Tasse. Der Snackpoint befand sich auf einem Plaza im mamorlook und war umrahmt von hüfthohen Hecken, die akkurat gestutzt waren. Der Plaza bot neun Kaffeetischen, im französichen Stil, die lustigerweise je mit einem Sonnenschirm versehen waren, platz und war gut besucht. Mitarbeiter standen an der Auslage um sich Sandwichs oder Gebäck zu holen, hielten Geschäftstelefonate oder genießten ihre Mittagpause im „Freien“. Lediglich der Kaffeevollautomat mit echten Kaffeebohnen, war kaum frequentiert, denn hier kostete eine Tasse echten Kaffees, 20 Creditpoints. Der hagere Konzernmann mit den graumelierten Haaren, nahm die Tasse mit dem dampfenden Kaffees und roch daran, ihm waren Creditpoints egal, er hatte die Autorisierung so viel echten Kaffee zu trinken wie er mochte. Er rückte sich seine blassblaue Satinkrawatte zurecht und verließ den Plaza. Eine Gruppe Anzugsträger auf Fahrrädern, radelte vorbei und grüßten ihn mit dem ringen ihrer Fahrradklingeln. Er nickte kurz ohne aufzusehen und schlenderte den geschwungenen Weg der Parkanlage entlang. Auf der Wiese spielten vier Angestellte Frisbee und eine katzengroße Gartendrohne surrte neben dem Blumenbeet entlang, goss erst die Geranien und schnitt dann mit einer kleinen Gartenschere gelbliche Blätter ab. Die Temperatur unter der großen Glaskuppel, die die gesamte Parkanlage umschloss, war stätig 20°C mit einem seichten erfrischenden Westwind, der unmerklich ab und an vorbei blies, das Innere der Glaskuppel zeigte einen strahlenden, beinahe wolkenlosen, Himmel mit hochstehender Sonne. Die Mitarbeiterabstimmung letzte Woche hatte ergeben, dass auch dieses Geschäftsjahr die Wettersteuerung das Programm „Sunny Spring“ simulierte, die Einstellung „Midsummer“ unterlag nur knapp. Er passierte gerade drei durchsichtige Plexiglascontainer, in denen je ein Tisch und zwei Sitzbänke, für vier Personen, eingebaut waren, altmodische Thinktanks, die aber alle mit fleißigen Mitarbeitern besetzt waren und erspähte dahinter die Sitzbank auf die er sich immer setzte, wenn die Zeiten es erforderten. Er ließ sich auf die Bank nieder und schlürfte an seinem Kaffee. Auf einem Segway kam ein weiterer Konzerner den Parkweg entlang gefahren, im gleichen Alter wie der Kaffeetrinker, nur ohne graues Haar, ein rundes Brillengestell saß auf seinem Nasenrücken, er lächelte dem Sitzenden zu. Der Brillenträger sprang vom Segway ab, welches weiterfuhr und rückwärts neben der Parkbank auf der saftig grünen Wiese parkte.
„Hey altes Haus“, vital ging er auf den Mann zu und streckte ihm die Faust entgegen. Der Mann auf der Bank lächelte und schlug freundschaftlich mit seiner Faust gegen die Entgegengestreckte.
„Dein Sohn, hat letzten Sonntag 23 Punkte geworfen, von dir hat er das nicht geerbt, oder?“ antwortete er daraufhin.
„Ich habe ihn als Trost für ein Wochenende auf die Basketballacademy geschickt, nachdem er den Monatscontest im Körbewerfen nicht gewonnen hat, aber mach dir nichts draus, dafür schreibt dein Sohn die besseren Noten“. Er setzte sich neben seinen Kollegen.
„Du hast ja keine Ahnung wie viel Nerven das meine Frau kostet“ sagte der Kaffeetrinker und beide lachten. Dann wurde der Brillenträger ernst,
„ich habe hier einen Job für deine Abteilung“, er reichte ihm einen standarisierten Datenchip. Diskret nahm der anderen ihn entgegen,
„Ich werde mich darum kümmern, wie immer“. Ein Lächeln breitete sich wieder auf dem Gesicht den Brillenträger aus,
„Das ist wirklich schön zu hören. Du, seh ich dich und Selma bei dem Familyday des höheren Managment?“. Der Kaffetrinker winkte ab,
„Nein, meine Zweitabteilung hat ihr Monatssoll zwei Tage vor Frist erreicht, ich gehe an dem Tag mit ihnen in die Squashhalle.“
„Bist ein guter Boss, mach’s gut und grüß Kate“. Wieder schlugen sie die Fäuste aneinander und der Brillenträger bestieg sein Segway, welches vorgefahren kam, und sauste davon.
„Die nächste Klausur wird ein ‚A‘ und das nächste Spiel mehr als 25 Punkte, verlass dich drauf“ er lachte noch einmal und verschwand als der Parkweg hinter einem großen Strauch vorbei führte. Der andere Mann trank die Tasse leer und stellte sie neben sich auf die Bank, erhob sich und schlenderte zum Ende der Glaskuppel, in Richtung seines Büros.