• #001


    Seattle/UCAS - Irgendein Dienstag im November


    Die Temperatur beträgt 5°C. Der Himmel ist grau und wolkenverhangen. Nieselregen und der allgegenwärtige Smog beschränken die Sichtweite, sodass sich die grellen Neonreklamen in einiger Entfernung zu einem undifferenzierten Farbbrei vermengen. Massen von Lohnsklaven schieben sich über die Gehwege, semiautonome Fahrzeuge rollen durch die Straßen und abertausende unbemannte Drohnen bevölkern den Luftraum. Irgendwo in diesem sich selbst regulierenden Chaos findet ein Anruf seinen Weg zum Kommlink eines Mannes, der bis eben die Hektik der Stadt durch die getönten Scheiben einer Purple Haze Filiale betrachtet hat.
    "Guten Tag! Was kann ich für Sie tun?"
    ...
    "Verstehe, ich denke ich kann Ihnen weiterhelfen. Nennen Sie mir einfach die Art der Dienstleistung und das Honorar, dass Sie bereit zu zahlen sind."
    ...
    "Gut. Darf ich fragen von wem Sie meine Adresse haben?
    ...
    "Ok. Er wird Ihnen mitgeteilt haben, dass ich nicht in Vorkasse gehe. Überweisen Sie mir eine Anzahlung von 50% auf das Konto, dass ich Ihnen schicke. Ich melde mich morgen abend wieder bei Ihnen."


    Er überlegt kurz, dann wählt er eine Nummer:
    "Hey Cindy, ich brauche morgen abend ein Zimmer bei dir. So gegen 19 Uhr, auf den Namen Johnson."
    Für einen Sekundenbruchteil lächelt er.
    "Ich hoffe der Name ist nicht schon belegt."


    Kurz darauf erhalten einige Personen eine Einladung ins Dead Man's Hand, mit dem Versprechen ein paar Nuyen extra verdienen zu können. Bei einem ganz einfachen Job versteht sich.

  • Etwas früher.


    Ein nüchterner Pullover in einem hellen Beigeton, ein ebenso nüchterner knielanger Rock unter den eine Strumpfhose AR-unterstützt in Regenbogenfarben leuchten und sündhaft teure Designerwindjacke/Rucksack künden zusammen mit dem leicht gestressten Gesichtsausdruck von einer Bürodrohne welche sich nach der Arbeit entspannen will.
    Die Frau sucht sich einen gemütlichen Platz und hält wohl nach Kollegen Ausschau, vielleicht ein Date so wie sie die von der Kapuze der Regenjacke außer Form gebrachte Frisur zurecht streicht.
    Wenn man dem PAN der Frau glauben darf braucht man es gar nicht erst versuchen. Neben einer ganzen Reihe bunter Hobbys ist als Beziehungsstatus vergeben eingetragen. Irgendein Musiker.

  • -3-


    Jason war gerade unterwegs um etwas zu Essen zu besorgen, als ihn die Nachricht von Stretch erreichte. Da sein Komm ihm einen nur zu ernüchternden Kontostand zeigte, würde er sich das Ganze mal ansehen und schauen was draus wird. Es war kalt und wie so häufig in Seattle regnete es, also zog er den Schal noch etwas fester und die Mütze tief ins Gesicht. Jason wollte etwas "frische Luft schnappen", soweit man bei dem Smog von so etwas sprechen konnte, hatte deshalb das Motorrad stehen lassen und war zu Fuß gegangen. Sehr viele Leute waren bei dem Mistwetter nicht unterwegs - er hatte ein paar Jungs der lokalen gang gesehen, die ihn aber erkannten und in Ruhe ließen. Zwei Blocks weiter hatte er weniger Glück und ein Pärchen Go-Ganger auf Scorpions beäugte ihn neugierig. zum Glück konnte er die beiden täuschen, indem er die Illusion einer KE-Streife erschuf, vor der sie mit röhrenden Bikes davonschossen.


    Dann hatte er einen kleinen Vorrat an Fertiggerichten gekauft und wieder nach Hause geschleppt. Lieber hätte er die Einkäufe per Lieferdrohne bringen lassen, aber irgend ein Penner schien sich in letzter Zeit einen Spaß daraus zu machen, die Dinger zu hacken und abzufangen. Vielleicht ist es eines dieser Techno-Viecher, von denen manche munkeln? überlegte Jason, aber die Matrix war alles andere als sein Fachgebiet.


    Nachdem er die Einkäufe verstaut hatte, checkte er noch mal die Nachricht von Stretch und schaute sich schon mal den Weg in die gennante Bar an, dann machte er mit der Growler noch einen Abstecher zu Howling Owl um noch ein paar Reagenzien zu besorgen. Der Amerindianer war zwar eher auf Schmanen ausgerichtet, hatte aber auch fast immer etwas für Hermetiker da. Er schaute Owls Liste durch und entschied sich dann für ein Beutelchen mit Erzbrocken, die nach dem Kauf einfach in seinen eigenen Reagenzienbeutel kamen.


    Dann schwang sich der Norm wieder auf die Growler und fuhr in ruhe zu dem Treffen. Die Panzerweste drückte ihn leicht, wahrscheinlich ahtte er sie etwas zu straff angezogen, aber ganz ohne Schutz auf die Straße zu gehen wäre dummer Leichtsinn. Die leichte Pistolewar kaum sichtbar in ihrem Schulterholster, das aber von der langen Jacke weitestgehend verdeckt wurde. Ein Norm tat als Türsteher Dienst, was sich von den sonst üblichen Orks oder gar Trollen abhob. Jason hatte keine Lust auf Ärger, deshalb verzichtete er darauf, den Typen zu askennen. Drinnen erkundigte er sich an der Bar nach dem Zimmer aus Stretchs Nachricht, dann trank er noch einen Grog zum Aufwärmen, während er das Publikum in dem Laden mehr oder weniger unauffälig unter die Lupe nahm.

  • -4-


    Bill ist gerade beim Nahkampftraining an einem großen Sandsack, als sein Kommlink vibriert. Via Bildverbindung wird ihm die Nummer und der Name des Kontakts direkt in seinem Blickfeld angezeigt, mit einem mentalen Befehl nimmt er den Anruf an. Es ist Shrike, ein Kamerad aus seiner Einheit in der Armee aus der Zeit bevor er zur Spezialeinheit gewechselt war.
    "Na hat sich das Langohr langsam in Seattle eingelebt?"
    Shrikes Avatar, ein riesiger, schwebender Kopf eines Zwergen, ohne Körper aber dafür mit grellblauem Kurzhaarirokesen und langem, spitz zulaufenden Bart in der selben Farbe, grinst ihn breit ein und zeigt dabei seine makellosen Zähne.
    "Ich habe zwar noch keine Schuppen aber dafür bilden sich bei mir schon die ersten Schwimmhäute...",
    erwidert Bill trocken, ohne dabei seinen ehemaligen Kameraden anzuschauen, dessen Avatar schallend lacht.
    "...na dein Humor ist wenigstens noch nicht baden gegangen...",
    er prustet und lacht über sein Wortspiel. Nachdem er sich wieder beruhigt hat, schlägt er einen ernsteren, fast geschäftlichen Ton an,
    "...jetzt aber mal was anderes, da braucht ein gewisser... Mr. Johnson... jemanden mit deinen Fähigkeiten, für einen ganz einfachen Job, wie immer... aber wir wissen beide, dass es nie so einfach ist wie Mr. Johnson einem weiß machen will...schon gar nicht wenn der so jemanden wie dich dafür anheuern will...", Bill schneidet ihm mit einer scharfen Geste das Wort ab, die Paranoia seines Freundes kennt er schon, aber hat jetzt gerade keine Lust auf seinen Verfolgungswahn.
    "...ja und er arbeitet bestimmt für einen Drachen..."
    Der Zwergenschädel zieht eine Grimasse, bevor er ihm zu zwinkert.
    "...hmmm sicher bin ich mir da noch nicht...aber falls du trotzdem hinwillst, dann will sich...Johnson...mit dir und anderen heute Abend im Dead Man's Hand um Punkt 19 hundert treffen. Die Bar liegt auf dem Lake Washington Boulevard in Madrona...klingt echt gut...sollten wir vielleicht mal einen trinken gehen wenn du mit deinem Run fertig bist, falls du ihn annehmen solltest..."
    "Geht klar...aber ich weiß nicht ob sie da auch Drinks in deiner Größe haben...",
    erwiedert Bill, der Zwergenschädel grinst erneut breit, bevor er die Verbindung beendet.


    Der durchtrainierte Elf macht nach dieser Unterbrechung mit seinem Training weiter, bis er nach einer knappen Stunde aufhört und anschließend kalt duschen geht. Den restlichen Tag verbringt er mit dem zerlegen, überprüfen und anschließenden wieder zusammenbauen seiner Waffen. Bei den momentanen Temperaturen und dem anhaltenden Regen entscheidet er sich für warme Kleidung, wie die letzten Tage auch, aber in dunklen Farben gehalten. Für das Treffen mit dem Johnson hat er seine Waffen schon gewählt, die beiden Colt America mit aufgeschraubten Schalldämpfer verstaut er in den Springarmen, die in den Ärmeln seines gefütterten Mantels verborgen sind, die beiden Ruger Super Warhawk wandern in die Schnellziehholster, die jeweils unter den Achseln liegen und dadurch nur halb von dem langen Mantel verborgen werden, was aber seine Absicht ist. Das Überlebensmesser steckt er in die Schnellziehscheide, auf höhe seiner Nieren. Die Hardliner, die für den einfachen Betrachter wie ganz normale dunkle Lederhandschuhe aussehen, runden sein Outfit ab. So gerüstet betrachtet er sich noch einmal im kleinen Wandspiegel im Badezimmer, lässt die Schutzgläser seines Sonnenbrillenimplantats ausfahren, nickt und macht sich schließlich zu Fuß auf den Weg, bis er den Rand des Ganggebietes der Crimson Crush erreicht. Von dort nimmt er sich ein Taxi, das ihm zwei Blocks von der Bar entfernt wieder absetzt. Den Rest des Weges legt er wieder zu Fuß zurück, sodaß er 10 vor 7 die Bar betritt, nachdem er dem Türsteher, einem Norm, kurz zugenickt hat. Drinnen steuert er direkt die Bar an, während er sich auf dem Weg dahin unauffällig umsieht und einen Whiskey bestellt. Als die Bedienung ihm seinen Drink hinstellt und er ihr den Betrag plus Trinkgeld überwiesen hat, fragt er sie mit einem leichten Lächeln in seinem sonst unergründlichem Gesicht, ohne jedoch die Gläser seiner Sonnenbrille zurück zu klappen.
    "Ich habe hier gleich ein Treffen mit einem gewissen Mr. Johnson...können Sie mir da weiterhelfen...?"

  • -5-


    Die Bedienung, eine nette Norm-Lady, war freundlich, als sie Jason die dampfende Tasse hinstellte. Sie konnte aber ein Schmunzeln nicht ganz unterdrücken, als sich der Mage nach einem "Johnson" erkundigte.


    "Johnson? Sehr kreativer Name, Honey. Aber kleinen Augenblick, ich schaue kurz nach." Sie griff wahrscheinlich gleich über ihr Komm auf das System der Bar zu, denn ihr Blick huschte nur sehr kurz in weite Ferne. "Ja, da sind sogar zwei Zimmer gebucht. Aber du sagtest ja um sieben. Dann ist das Nummer 3. Dwayne sollte dich durchlassen." Bei der Erwähnung des Namens deutete sie kurz auf den masigen Ork, der für den Zugang zur Treppe zuständig war, die ins Obergeschoss führte.


    Jason dankte ihr und gab noch eine Kleinigkeit Extra-Trinkgeld. Er lag noch ganz gut in der Zeit, also trank er erst einmal aus. Er war nicht der beste Beobachter, daher gelang es ihm vermutlich nicht, bereits jetzt die anderen Teilnehmer des Meetings zu entdecken, die ja vermutlich auch bereits hier sein mussten. Dann kam ihm noch eine Idee, bevor er endgültig zum Meeting ging: Nach einem mehr an sich selbst gerichteten Achselzucken trank er den letzen Schluck der heißen Brühe, die sie hier als Grog servierten, dann schlenderte er Richtung Toilette. Dort erleichterte er sich erst und dann nutzte er den Hauch von Abgeschiedenheit in der Kabine, um einen Geist zu rufen. Jason hoffte, dass das Mana durch die vielen Leute hier nicht irgendwelchen Turbulenzen unterworfen war, als er magische Energie sammelte und damit einen Luftelementar herbeirief. Das beruhigende Pulsieren seines Rings half ihm sich zu konzentrieren und nur Augenblicke später spürte er die Präsenz des Geistes, der auf der Astralebene erschien und sich manifestierte. Trotzdem zehrte das Mana an ihm und ein leichter stechender Schmerz breite sich hinter seinen Augen aus. Ganz glatt war die Beschwörung also nicht gelaufen.
    Du hast mich gerufen, Magier, was ist dein Begehr? fragte ihn das Wesen mit durchdringendem Blick.
    Ich brauche deine Hilfe heute Nacht. Nicht sofort, aber ich werde dich rufen. antwortete Jason in höflichem Ton. Er wusste immernoch nicht genau warum, aber der letzte Erdgeist, den er gerufen hatte war wie die anderen vorher angepisst gewesen. Der Magier konnte sich nicht erinnern, dieser Geistersorte etwas getan zu haben, aber vielleicht waren sie auch einfach aureninkompatibel. Der gerade beschworene Luftgeist war zwar ebenfalls höflich distanziert, jedoch in keiner Form feindseelig.
    Gut, dies sei dir gewährt: über die Miene des Geistes huscht - soweit das bei Geistern möglich war - ein Grinsen Drei Dienste, nicht mehr nicht weniger. Und bevor die Frage kommt: Keine Sachen mit Gefühlen beeinflussen oder Toten zum Leben erwecken - das hatte dieser Aladin damals schon mal gefragt.
    Jaso war zufrieden und schickte den Luftgeist vorerst wieder auf seine Metaebene. Dann rieb er sich die Augen, warf sich noch eine Handvoll kaltes Wasser ins Gesicht und machte sich auf den Weg zur Treppe zum Obergeschoss.


    Dwayne, der Ork hatte ihn schon entdeckt und wahrscheinlich hatte Stretch irgend eine Art von Foto bereitgestellt, denn der Türsteher hielt ihn nur ganz kurz auf:
    " 'K Chummer. Geh nach oben, du stehst auf meiner Liste. Raum Nummer drei und NUR Nummer drei, so ka? Mach keinen Blödsinn und wir haben alle einen netten Abend."
    Jason antwortete mit einem kurzen Nicken, dann ging er selbstbewussten Schrittes an dem Ork vorbei, der ihn um mehr als einen Kopf überragte.